Interview

"Wir setzen unsere Zukunft nicht auf Intel"

16.12.1998
Mit Ken Batty, Marketing-Manager für IBMs RS/6000-Linie in Europa, sprach CW-Redakteur Wolfgang Herrmann

CW: Vor 18 Monaten hat IBM eine gemeinsame Strategie für die verschiedenen Server-Linien angekündigt. Heißt das, ein Vertriebsbeauftragter verkauft nun alle Server-Produkte - vom PC-Server bis zum Mainframe?

Batty: Das stimmt nicht ganz. Wir haben nicht alle Plattformen zusammengeführt. AS/400-, RS/6000- und Netfinity-Produkte sind eine Gruppe. Die S/390-Systeme bilden einen zweiten Bereich. Das Know-how, das für die Kundenbetreuung über alle vier Linien erforderlich wäre, ist nach unserer Ansicht derzeit zu groß.

CW: IBM hat die RS/6000 und die AS/400 in technischer Hinsicht weitgehend vereinheitlicht. Wo unterschieden sich die Plattformen noch?

Batty: Der erste Unterschied ist, daß die RS/6000 auch eine komplette Produktlinie technischer Workstations umfaßt. Diese Maschinen mit einer oder zwei CPUs sind auf eine hohe Fließkommaleistung hin optimiert. Aber auch bei den Multiprozessor-Servern gibt es Unterschiede. Die AS/400 ist mit einigem zusätzlichen Mikrocode ausgestattet, der den Betrieb des Betriebssystems OS/400 und der integrierten Datenbank ermöglicht.

CW: Wie sieht es auf der Anwendungsseite aus? IBM positioniert sowohl die AS/400 als auch die RS/6000 für den Betrieb von Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Anwendungen. Gibt es da nicht Kannibalisierungseffekte?

Batty: Nein. Wir vertreiben die Systeme an individuelle Kunden und wissen in der Regel schon vorher, ob es sich um einen AS/400- oder RS/6000-Account handelt. Im Zweifelsfall würde es durch die vorhandenen Applikationen klar. In einem zehnminütigen Gespräch läßt sich mit 95prozentiger Sicherheit klären, welches System das geeignete ist.

CW: Aber ist die Entscheidung nicht auch davon abhängig, aus welcher Systemwelt der jeweilige Verkäufer kommt?

Batty: In diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Wir müssen sicherstellen, daß ein AS/400-Verkäufer nicht zu Ungunsten der RS/6000-Linie handelt oder umgekehrt. Daran arbeiten wir derzeit noch.

CW: Die Verkaufszahlen der RS/6000 waren in letzter Zeit eher enttäuschend. Woran lag das?

Batty: Die Umsätze der RS/6000 sind in Europa seit der ersten Ankündigung im Jahresvergleich noch nie zurückgegangen. Allerdings sind wir in den vergangenen Jahren nicht so schnell wie der Markt gewachsen. Das ist kein Rückgang nach Umsätzen; allenfalls ergibt sich ein geringerer Marktanteil.

CW: Die Gewinne sind aber doch alles andere als zufriedenstellend ausgefallen.

Batty: Wir brechen den Gewinn nicht auf Produktlinien herunter.

CW: Die schwache Profitabilität der RS/6000 ist ein offenes Geheimnis in der Branche.

Batty: Wir haben die RS/6000 immer als profitables Produkt angesehen. Natürlich hat es nie auch nur annähernd soviel Gewinn wie die AS/400 abgeworfen. In der ersten Jahreshälfte waren wir von der Wachstumsrate sehr enttäuscht. Im Zuge der Reorganisation ging die Fokussierung etwas verloren. Das dritte Geschäftsquartal verlief für die RS/6000 aber überaus erfolgreich.

CW: Im Rahmen des "Monterey-64"-Projekts entwickelt IBM gemeinsam mit SCO und Sequent ein Unix-Derivat, das sowohl auf Power-PC-Pozessoren als auch auf Intels kommenden IA-64-CPUs laufen soll. Eines Tages könnten Besitzer leistungsstarker Netfinity-PC-Server mit IA-64-Chips unter dem AIX-Nachfolger arbeiten. Ist die RS/6000 damit nicht auf lange Sicht in ihrer Existenz bedroht?

Batty: Nein. Sie sagen ja, daß IBM sich damit möglicherweise von der eigenen Power-PC-Plattform trennen könnte. Ich glaube, kein Journalist würde etwa Sun Microsystems fragen, ob das Unternehmen sich mit der Portierung von Solaris auf IA-64 von der Sparc-Architektur verabschiedet. IBMs Situation ist der Suns sehr ähnlich. Natürlich gibt es auf lange Sicht die theoretische Möglichkeit für IBM, den Power-PC fallenzulassen und dennoch ein überlebensfähiges Unix-Geschäft zu behalten. Aber was würde dann aus dem AS/400-Geschäft werden?

CW: Spielt nicht auch die Unabhängigkeit von Intel eine Rolle?

Batty: Natürlich. Es ist schwierig, sich von anderen Anbietern zu unterscheiden, wenn man ausschließlich Intel-Technik verwendet. Die Netfinity-Mannschaft hat viel zu tun, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Wir in der RS/6000-Welt wollen unsere Zukunft nicht auf Intel setzen.