Novell-CEO Jack Messman im CW-Gespräch

"Wir hatten immer die Mentalität eines Klempners"

31.05.2002
Für viele ist Novell, der einstige Shooting-Star im Netzwerk-Business, bereits angezählt. Mit CEO Jack Messman sprach CW-Redakteur Jürgen Hill über die Zukunft des Unternehmens.

CW: Sie lenken jetzt seit einem Jahr die Geschicke von Novell. Wo sehen Sie die Problemfelder des Unternehmens?

MESSMAN: Wir hatten zunächst Schwierigkeiten, weil sich die Konjunktur nicht gut entwickelte. Deshalb konnten wir unsere Strategie nicht so verwirklichen, wie wir wollten. Wäre das Consulting Business auf einem so hohen Level geblieben wie zum Zeitpunkt der Akquisition von Cambridge Technologies, dann wären wir heute bereits weiter.

CW: Also bereitet Ihnen die Consulting-Sparte zurzeit mehr Kummer als der Produktbereich?

MESSMAN: Ja, das Consulting-Geschäft brach in den letzten acht bis neun Monaten zusammen. Ich hoffe, dass die Talsohle nun erreicht ist, aber für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Erfreulich entwickelte sich dagegen unsere Produktsparte. Dabei ist der Channel eine Ausnahme, hier war das Geschäft rückläufig, während wir im Großkundenbereich Zuwachsraten hatten. Das lag zum einen an der geringeren Nachfrage nach der Jahr-2000-Umstellung, zum anderen haben wir einen Fehler gemacht: Wir gründeten eine eigene Direct-Sales-Mannschaft, die in Konkurrenz zu den Händlern stand.

CW: Der Channel ist eine Seite des Marktes, auf der anderen stehen die Bedürfnisse der Anwender.

MESSMAN: Richtig, die Bedürfnisse adressieren wir dadurch, dass alle unsere Produkte künftig zu den neuen Web-Standards kompatibel sind. Warum tun wir das? Nun, das Web-Services-Geschäft wird von einer Inside-out-Strategie geprägt sein. Zuerst verwenden die Unternehmen die Services, um ihre internen Integrationskosten zu senken und um Softwarekomponenten intern wiederzuverwenden. In einem zweiten Schritt werden sie sich den Outside-Aspeketen widmen und die Interaktion zwischen ihren Kunden und Zulieferern organisieren. Viele dieser Produkte, die in Sachen Web-Services erforderlich sind, hat Novell bereits. Nur hießen sie bislang Net Services. Und diese Dienste werden wir bis zum Jahresende an Soap, XML und andere Standards anpassen.

CW: Entwickelt Novell darüber hinausgehende Web-Services selbst, oder werden Sie ein Unternehmen kaufen?

MESSMAN: Es ist immer schwierig, vorherzusagen, wann eine Akquisition der richtige Weg ist. Zumal wir uns auf den Bau einer Plattform fokussieren, die über den Funktionsumfang heutiger Web-Application-Server wie etwa IBMs Websphere oder BEAs Weblogic hinausgeht. Wenn wir bei der Konzeption dieser Plattform feststellen, dass uns etwas fehlt, dann stehen wir vor der Wahl: selbst entwickeln, Partnerschaften eingehen oder kaufen.

CW: Und was fehlt Ihnen?

MESSMAN: Das werde ich nicht öffentlich sagen. Sonst könnten die Preise für Technologien, die Novell zukaufen muss, in die Höhe schnellen. In der derzeitigen wirtschaftlichen Situation gibt es einige interessante Akquisitionskandidaten.

CW: Vor einem Jahr sagten Sie aus Consultant-Sicht noch, Netware müsse nicht die Basis für alle Net Services sein. Nun betonen Sie die strategische Bedeutung dieses Produkts.

MESSMAN: Darin sehe ich keinen Widerspruch. Als Consultants sollten wir dem Anwender das Beste empfehlen. Und Netware hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen. Warum sollten wir also Netware nicht als Plattform empfehlen? Und wenn ein Anwender in großem Stil in andere Produkte investiert hat, warum sollten wir diese nicht integrieren. Also, wir geben weder Netware auf, noch unsere Unabhängigkeit als Consultants.

CW: Schädigen Sie mit dieser Strategie nicht Ihr Netware-Geschäft? Warum soll ein Anwender noch Ihre Plattform kaufen, wenn die Novell-Web-Services auch auf anderen Systemen laufen?

MESSMAN: Ganz einfach, die Anwender wollen nicht von Microsofts Preisstrategie abhängig sein. Jedes Unternehmen, das nur auf Microsoft setzt, hat in den nächsten Jahren aufgrund des neuen Lizenzierungsmodells mit signifikanten Kostensteigerungen zu rechnen. Wir offerieren dagegen plattformübergreifende Produkte zu kalkulierbaren Kosten. Das ist angesichts der drohenden Preissteigerungen bei Microsoft ein starkes Argument. Persönlich glaube ich allerdings, dass sich Microsoft mit seinem neuen Lizenzmodell nicht durchsetzt und es zurücknimmt.

CW: Schön, dann migrieren die Anwender eben gleich zu Linux und zahlen keine Lizenzgebühren.

MESSMAN: Sicher, deshalb adressieren wir in unserer Strategie auch Linux. Aber im Zug der allgemeinen Linux-Euphorie sollte eines nicht vergessen werden: Viele Applikationen, die heute für Windows oder Netware erhältlich sind, stehen unter Linux nicht zur Verfügung. Dies ändert sich im Bereich der Enterprise-Anwendungen auch nicht so schnell.

CW: Wie wollen Sie die unabhängigen Entwickler zurückgewinnen, die eine Schlüsselrolle für den Erfolg der Web-Services von Novell innehaben?

MESSMAN: Ganz klar, wenn sich ein Programmierer dazu entscheidet, für die Microsoft-Plattform zu entwickeln, dann hat er eine potenziell größere Zielgruppe. Aber Microsoft dürfte kaum alle Werkzeuge haben, die ein Entwickler benötigt. Wir sind seit über zwanzig Jahren im Networking-Geschäft und haben uns in dieser Zeit in Bezug auf plattformübergreifende Interoperabilität ein Know-how erarbeitet, das kaum ein anderes Unternehmen besitzt. Das ist unser Wettbewerbsvorteil.

CW: Die knifflig zu programmie-renden Netware Loadable Moduls (NLMs) dürften bei den Entwicklern aber keine Begeisterungsstürme auslösen.

MESSMAN: Ja, die Vorteile kamen nicht zum Tragen, weil wir unter Netware keine Entwicklungsumgebung hatten. Ich gebe ja zu, mit dem Konzept der NLMs war es sehr schwierig, unter Netware Applikationen zu schreiben. Deshalb werden wir in der Web-Services-Ära eine Entwicklungsplattform haben. Keine Application-Server-Plattform, denn diese sind in Zukunft Commodity. IBMs Websphere oder BEAs Weblogic wird es in letzter Konsequenz kostenlos geben. Das ist aber nicht das Marktsegment, auf das Novell zielt. Eines darf nicht vergessen werden, Web Services sind keine Applikationen, die Anwender kaufen, weil sie von der Industrie als das nächste heiße Ding propagiert werden. Die User haben mittlerweile gelernt, dass sie den kernigen Marketing-Sprüchen der Industrie nicht glauben können. Sie achten nun darauf, dass es einen echten RoI gibt, denn allen IT-Abteilungen bereiten die Integrationskosten Sorgen. Und dieses Problem adressiert Novell.

CW: Also sehen Sie Novell in der Rolle des EAI-Providers?

MESSMAN: Ja, wir hatten immer die Mentalität eines Klempners. Wir verbanden die verschiedenen Einzelteile und sorgten für das Zusammenspiel.