Apple-Tochter Filemaker ringt um Autonomie

"Wir haben ein Schlauchboot zu Wasser gelassen"

08.05.1998

CW: Auf wessen Idee basierte die Entscheidung, sämtliche Claris-Produkte außer der Datenbank "Filemaker" an Apple abzutreten?

Aschenbrenner: Diese Entscheidung kam von beiden Firmen. Es war ein Arrangement, das zwischen Apple und Claris getroffen wurde, weil Apple das Betriebssystem unbedingt wieder zurückhaben wollte.

CW: Wie lauten die Einzelheiten des Deals?

Aschenbrenner: Den Deal kenne ich auch nicht genau. Aber es war bereits in den letzten Jahren ein Bestreben von Claris, als unabhängige Tochter zu agieren.

CW: Es kann doch nicht von einem Arrangement gesprochen werden, wenn der Deal nicht für beide Seiten Vorteile bringt oder aber wenigstens transparent ist?

Aschenbrenner: Zu diesem Arrangement kann ich nicht viel sagen.

CW: Wie ist das Verhältnis zwischen Filemaker und Apple?

Aschenbrenner: Die Verbindungen zwischen Apple und Filemaker werden sich mehr und mehr auflösen. Sie können das Projekt auch Titanic nennen. Wir haben ein Schlauchboot zu Wasser gelassen, die Firma Filemaker sozusagen, die aber noch mit der Titanic verbunden ist.

CW: Nun, die Titanic ist bekanntermaßen ruhmlos gesunken. Erwarten Sie ein ähnlich dramatisches Schicksal?

Aschenbrenner: Das weiß ich nicht. Jedenfalls wollen wir unsere eigenen Weg gehen.

CW: Können Sie unter den Fittichen von Apple denn überhaupt eigenständig und unabhängig agieren?

Aschenbrenner: Filemaker ist nach wie vor eine 100prozentige Tochter von Apple. Trotzdem glaube ich nicht, daß diese Konstellation weiterhin Sinn macht. Es existieren kaum Synergien.

CW: Haben Sie nicht das Gefühl, von Apple über den Tisch gezogen worden zu sein?

Aschenbrenner: Das kommt darauf an, was die Zukunft bringt. Es konnte nicht so weitergehen. Wir konnten nicht als Division von Apple irgendwie weiterexistieren.

CW: Unter diesen Umständen hat also Filemaker den Schwarzen Peter gezogen?

Aschenbrenner: Wir waren wie ein Floß auf einem Fluß, das mal schneller und mal langsamer gefahren ist. Steuern konnten wir es jedenfalls nicht. Wir haben nun die Chance, in Ruhe ohne Reibereien mit Apple zu arbeiten.

CW: Zu welchen Auseinandersetzungen war es gekommen?

Aschenbrenner: Sicherlich gab es Interessenkonflikte. Apple mußte die Programmierer an die Kandarre nehmen und fordern, daß Anwendungen für das Mac-OS zuerst entwickelt werden. Wir als Entwickler haben andererseits ein gewisses Plattform-Standing vorausgesetzt. Ich konzentriere mich doch zunächst auf den Bereich, aus dem der Return of Investment zuerst kommt. Genauso verhält es sich mit den Marketing-Geldern. Dieses Problem kennzeichnet die Krise zwischen Apple und Claris wohl am besten.

CW: Heißt das, Apple hat Claris in gewisser Weise unter Druck gesetzt?

Aschenbrenner: Selbstverständlich. Ich würde auch so agieren, wenn ich bei Apple wäre. Apple stand ständig bei uns auf der Matte.

CW: Und wie hat Claris reagiert?

Aschenbrenner: Der Mac-Markt hat sich kontinuierlich verschlechtert, der Windows-Markt sich exorbitant entwickelt - und das mit Wachstumsraten von weit über 100 Prozent. Wir haben versucht, Claris als erfolgreiche Company im Softwaremarkt zu etablieren. Aber das war schwierig. Unser Paradepferd - das stand fest - war und ist Filemaker. Vor allem das Geschäft mit Windows macht rund 60 Prozent, das mit Filemaker für Macintosh etwa 40 Prozent aus.

CW: Heißt das, sämtliche anderen Produkte außer dem Filemaker waren Fehlentwicklungen?

Aschenbrenner: Die Nachfrage für die Produkte ist zusammen mit der für den Macintosh gravierend zurückgegangen.

CW: Dann haben Sie also die Produkte abgestoßen, die keinen Profit abwarfen?

Aschenbrenner: Wir haben die Produkte aufgeteilt, die zum Partner passen. Apple wird die Pakete "Impact" oder "Emailer" brauchen, um sie mit seiner Hardware zu bündeln.

CW: Aber derartige Hard- und Softwarekoppelungen wurden doch schon mit Claris praktiziert?

Aschenbrenner: Ja, aber unser Augenmerk galt anderen Märkten. Da hatte es Apple schwer. Wir hatten den Auftrag, die Mac-Plattform durch Software zur stärken. Andererseits hatten wir einen Profit-Auftrag. So sind wir in ein Dilemma gestürzt. Apple kann nun über den Fortbestand der Mac-Produkte selbst entscheiden.

CW: Was geschieht mit den zahlreichen Claris-Mitarbeitern, seitdem das Gros der Produkte nicht mehr bei Filemaker ist?

Aschenbrenner: Wir zählten vor der Reorganisation weltweit knapp 1000 Mitarbeiter. Davon mußten rund 300 ihren Platz räumen.

CW: Erwarten Sie keinen Druck von etablierten Datenbankkonkurrenten? Microsoft offeriert mit "Access" etwa ein direktes Wettbewerbsprodukt, und auch "Visual Foxpro" ist nicht zu vernachlässigen, oder?

Aschenbrenner: Wir weisen ein solides Business im mittleren Bereich aus. Access ist immer noch die Nummer eins. Der größte Wettbewerb kommt von der Seite der Office-Pakete - im speziellen von "Office Professional". Aber ich glaube, daß Microsoft momentan andere Märkte im Sinn hat. Ich bin auch davon überzeugt, daß sich Microsoft etwas aus dem Low-end-Datenbankgeschäft zurückzieht.

CW: Oder Microsoft übernimmt Filemaker?

Aschenbrenner: Möglich, das kann niemand vorhersehen.

CW: Wie geht es mit dem Produkt Filemaker weiter?

Aschenbrenner: Wir werden sowohl im Low-end- als auch High-end-Bereich entsprechende Filemaker-Lösungen anbieten. Ein neues Development-Kit mit Plug-in-Funktionen wird demnächst kommen. Das nächste Release erhält SQL- und ODBC-Funktionalität. Ein Front-end für den Server also, mit ODBC- und SQL-Schnittstelle. Außerdem werden fertige Lösungen auf Filemaker-Basis für vertikale Märkte folgen.

CW: Sprechen Sie von der Zielgruppe, die Microsoft mit dem SQL Server auch im Visier hat?

Aschenbrenner: Ja, es wird für den Client-Server-Einsatz eine SQL-Anbindung geben.