Helmut Krings, scheidender Deutschland-Geschäftsführer von Sun, im CW-Gespräch

"Wir haben den Markt arg lange warten lassen"

08.06.2001
Seit 17 Jahren leitet Helmut Krings die Deutschland-Geschäfte von Sun. 2001 endet diese Ära. Anfang Juli übergibt der Manager die Leitung an seinen Nachfolger Helmut Wilke. Mit Helmut Krings sprach CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Inwieweit wird Ihr Abschied von Sun durch die zuletzt weniger erfreuliche Geschäftsentwicklung und die Gewinnwarnung vor wenigen Tagen überschattet??

Krings: Nach den neuesten Medienberichten könnte man meinen, Sun hätte die Weltwirtschaft erschüttert. Da fragt man sich: Kommt einem einzigen Unternehmen wirklich eine solche Rolle zu? In diesem Quartal ist der wirtschaftliche Abschwung auch in Europa fühlbar geworden. Unsere amerikanischen Kollegen hatten im vergangenen Quartal schon zu leiden. Damals schienen wir hier in Europa noch immun dagegen zu sein. Aber mittlerweile hat es den Anschein, dass sich das Geschäft in den USA auf einem niedrigeren Niveau konsolidiert hat. Parallel dazu ist jedoch das Geschäft bei uns abgebröckelt. Die Frage ist jetzt: Haben wir die Talsohle schon erreicht, oder geht es noch weiter nach unten?

CW: Welche Folgen hat die Entwicklung für Sun?

Krings: Zwei bis vier Cent Gewinn pro Aktie, das ist nicht mehr sehr viel. Man muss jedoch zum Glück sagen: Es sind zumindest noch ein paar Cent Gewinn, weil die seit über einem Quartal laufenden Sparmaßnahmen erfreulicherweise gegriffen haben.

CW: Was haben die Sparmaßnahmen bislang gebracht?

Krings: Der kürzlich beschlossene Zwangsurlaub nützt hier in Europa zunächst einmal gar nichts.

CW: Der ist auf USA beschränkt?

Krings: Das ist richtig. Allerdings ist es nicht so, dass Sun einfach eine Woche die Tore schließt. Man darf nicht vergessen: Ein Großteil unserer Mitarbeiter ist im Servicebereich tätig. Da kann man nicht den Betrieb einstellen. Dazu kommt ferner, dass in den ersten beiden Juli-Wochen der Jahresabschluss fällig wird. Das heißt, dass die Verwaltung sowieso mit Hochdruck arbeitet.

CW: Wie wollen Sie dann in Deutschland Kosten einsparen?

Krings: Wir werden Zeitverträge nicht verlängern und Verträge mit externen Dientleistern auf ein Minimum reduzieren. Auch im Kleinen soll gespart werden. Das beginnt damit, dass man sich überlegt: Wie viele Meetings, vor allem internationale mit den entsprechenden Flugkosten, sind wirklich notwendig? Tut?s vielleicht auch eine Telefonkonferenz? Die Mitarbeiter werden angehalten, mit ihrer Reisekostenplanung etwas vorsichtiger umzugehen. Bei Firmenveranstaltungen muss man den äußeren Rahmen den gegebenen Umständen anpassen. Dinge wie die berühmten Cookies, von denen man sich bei tagelangen Meetings ernährt hat, wird es nicht mehr geben.

CW: Denkt man bei Sun auch an Entlassungen?

Krings: Während einige unserer Mitbewerber sagen, zehn oder 15 Prozent der Leute müssen raus, hat Sun bislang keine Entlassungen ausgesprochen. Wir werden versuchen, das zu verhindern. Wenn sich das Geschäft auf einem reduzierten Volumen stabilisiert, das unter dem Strich ein positives Ergebnis einbringt, dann kommen wir auch ohne Entlassungen aus.

CW: Ihre US-Mutter hat den Europäern die Schuld für die jüngste Gewinnwarnung in die Schuhe geschoben. Ziehen Sie sich diesen Schuh an?

Krings: Zum Glück war der Anteil des Dotcom-Geschäfts in Europa deutlich geringer als in den USA. Als die Welle abebbte, führte das in Amerika dazu, dass gebrauchtes Sun-Equipment in großem Stil auf den Second-Hand-Markt kam und wiederverkauft wurde. In großen Auktionen wurde unser Zeug versteigert. Ganze Dotcom-Generationen hätten sich hier spottbillig neu ausstatten können. Das hat den Markt teilweise blockiert. Zum Teil waren die Geräte kaum benutzt, zum Teil sogar noch original verpackt. Den Dotcoms ging das Geld aus, noch während sie die Ware empfingen. Man muss aber sagen, dass es auch in Deutschland einige Firmen dieser Art gab. Sun war deren primärer IT-Lieferant.

CW: Sind die Dotcoms auch in Deutschland inzwischen ein Problem für Sun geworden?

Krings: Nein, hier haben in letzter Zeit unsere großen Kunden vorsichtiger investiert. Da sind in erster Linie die Telekommunika-tionsunternehemen zu nennen. Dinge wie UMTS bereiten der Branche sehr viele Sorgen. Die Zinsbelastungen sind immens. Es ist zwar nicht so, dass nichts mehr gekauft wird. Der Kaufrausch vergangener Tage ist jedoch vorbei. Ähnliches stellen wir bei den großen Finanzinstituten fest. Dort haben wir eine Reihe der großen Finanzportale ausgestattet. Die sind aber momentan mehr oder weniger fertig. Die weiteren Investitionen hängen jetzt stark vom Erfolg des jeweiligen Portals ab. Als dritter großer Bereich ist die Fertigungsindustrie zurückhaltender geworden. Aufgrund der Unsicherheiten im Markt überlegen sich Firmen im Mittelstand IT-Investitionen sehr genau.

CW: Welche Auswirkungen hat das auf Ihr Geschäft?

Krings: Es sind nicht viele Projekte gestorben. Aber es gibt weniger Projekte, und die bei den Kunden diskutierten IT-Vorhaben scheinen eine längere Entscheidungsphase zu benötigen. So haben auch unsere Mitbewerber mehr Gelegenheit, von diesen Projekten rechtzeitig zu erfahren. Diese Wettbewerbsauseinandersetzung mit den entsprechenden Nachverhandlungen und Nachbesserungen führt dazu, dass alles länger dauert.

CW: Und die Margen nach unten gehen?

Krings: Die Margen leiden etwas darunter, wobei ich sagen muss, dass es sich noch in Grenzen hält. Aber natürlich müssen auch wir unsere Angebote teilweise nachbessern.

CW: Auf der Produktseite sehen Sie keine Probleme für Sun?

Krings: Mit den neuen Ultrasparc-III-Produkten haben wir den Markt etwas arg lange warten lassen. Selbst nach der Ankündigung konnten wir nicht sofort voll liefern. Bis Ende des Quartals soll der Auftragsüberhang abgebaut sein. Wir kommen dann bei den Ultrasparc-III-basierten Servern zu normalen Lieferzeiten. Möglicherweise haben wir das eine oder andere Projekt sogar verloren, weil wir nicht liefern konnten.

CW: Verärgern Sie mit den Verzögerungen nicht Ihre Kunden?

Krings: Die Branche hat momentan einfach den Trend, dass Dinge etwas länger dauern. Die Verspätungen des Ultrasparc III haben den einen oder anderen Kunden durchaus verärgert.

CW: Intel-basierende Standard-Server verbuchen hohe Zuwachsraten. Der Itanium wird voraussichtlich das Highend-Segment im Server-Geschäft angreifen. Wie schätzen Sie die Aussichten des Unix-Marktes und der Sparc-Solaris-Nische ein?

Krings: Wir hatten diese Diskussion schon vor drei, vier Jahren. Damals hat man mich gefragt: Jetzt kommt Merced und NT. Welche Nische bleibt da noch für Sun? Das war die Phase, in der wir unser Server-Spektrum nach oben erweitert haben. Ohne Zweifel gibt es sehr leistungsfähige Mehrprozessor-Systeme auf Intel-Basis. Aber typischerweise im Vier- oder Acht-Prozessor-Bereich. Viele, die mit ihrer NT-Strategie an die Wand gefahren sind oder kurz davor waren, sind wieder auf Unix umgestiegen.

CW: Sie haben also keine Angst vor IA 64 und Windows 2000?

Krings: Nein, erstmal nicht. Ich glaube, die Systeme werden leistungsfähiger werden, aber da braucht man schon einen mehrjährigen Horizont, um das zu sehen.

CW: Was können Sie Ihrem Nachfolger mitgeben?

Krings: Es ist nicht typisch, dass man die Tochter eines US-Unternehmens startet und diese dann, wie in meinem Fall, 17 Jahre lang führt. Normalerweise folgen in einer solchen Periode sieben bis acht Geschäftsführer. Man muss als Organisation, nicht als Einzelperson eine akzeptable Leistung bringen. Wichtig ist es, ein gutes Team um sich zu scharen. Das Team muss sich mit den gemeinsamen Zielen identifizieren. Und wenn es gut funktioniert, gehört auch die entsprechende Belohnung dazu, sonst macht es keinen Spaß.

CW: Wissen Sie schon etwas über die Pläne Ihres Nachfolgers?

Krings: Das wird sich in den nächsten Wochen herausstellen. Was immer er vorhat, wird er sinnvollerweise schnell einführen. Die nächsten vier Wochen werden wir zusammen verbringen. Da dann das neue Geschäftsjahr beginnt, wäre es optimal, das bis dahin zumindest wesentliche Änderungen vollzogen sind. Wenn man das erst im Lauf des Jahres macht, wird es meist organisatorisch etwas holprig und lenkt vom laufenden Geschäft ab.

CW: Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?

Krings: Ich möchte in der nächsten Lebensphase etwas weniger fremdbestimmt leben. Witzbolde im Unternehmen meinten daraufhin, ich sei doch verheiratet. Nach 128 Quartalen in einem US-Unternehmen brauche ich in Zukunft den Quartalsdruck nicht mehr. Ich werde versuchen, der IT-Branche weiter verbunden zu bleiben, allerdings nicht mehr in einer operativen Rolle, sondern mehr begleitend.