Interview

"Wir haben aus dem Y2K- Problem nichts gelernt"

04.02.2000
Mit dem Jahr-2000-Experten Peter de Jager sprach "Computerworld"-Redakteurin Dominique Deckmyn

CW: Das Jahr-2000-Problem scheint erledigt. Sie hatten wahrscheinlich als erster am 6. September 1993 in einem "Computerworld"-Artikel auf die Datumsproblematik hingewiesen. Darin haben Sie vorausgesagt, dass für die Vorbereitungen auf das Y2K-Problem zwischen 50 und 75 Milliarden Dollar auszugeben sein würden. Die Gartner Group glaubt hingegen, dass weltweit insgesamt rund 600 Milliarden Dollar für die Behebung des Y2K-Fehlers investiert worden sein dürften. Insofern war Ihre Schätzung ja ausgesprochen vorsichtig.

de Jager: Das war in der Tat sehr konservativ geschätzt. Ich mache übrigens mittlerweile eine ganz sonderbare Erfahrung: Ständig werde ich gefragt, ob das ganze Gerede um das Jahr-2000-Problem eigentlich nur Hype, nur Luftblasen waren, und ob die ganzen Vorbereitungs- und Sicherheitsmaßnahmen wirklich alle nötig waren. Leute, die so fragen, gehen davon aus, dass es überhaupt kein Datumsumstellungsproblem gab. Sie glauben auch, dass nur deshalb so viel Geld für die Y2K-Bewältigung ausgegeben wurde, weil Mahner wie ich den Rest der Welt überredet haben, es sei notwendig, entsprechende Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen. Um ehrlich zu sein, finde ich diese Argumentation ziemlich eigenartig.

CW: Was für Lehren haben IT-Profis aus der Y2K-Thematik gezogen? Haben sie überhaupt irgendwas gelernt?

de Jager: Ich würde ja nur zu gern antworten, dass die Erfahrungen aus der Y2K-Problematik eine heilsame Wirkung hatten. Genug zu lernen gäbe es ja aus der Thematik. Ich befürchte aber, wir haben gar nicht profitiert. Immer noch dokumentieren IT-Abteilungen ihre Aktivitäten nicht richtig. Immer noch stricken wir Übergangslösungen an Systeme, die eigentlich ausgemustert gehören, anstatt sie endgültig durch neue zu ersetzen. Und nach wie vor existiert die Kluft zwischen den IT-Verantwortlichen und dem obersten Unternehmens-Management. Im Prinzip hat genau letzteres Problem indirekt auch die Y2K-Thematik bewirkt: Die IT-Verantwortlichen waren nämlich immer nur an den technischen Aspekten ihrer Arbeit interessiert.

Die Jahr-2000-Problematik geht jedenfalls in die Geschichte der DV als eine der größten Peinlichkeiten ein, weil wir bis heute aus dieser Erfahrung keine Lehren gezogen haben. Der beste Beleg dafür ist, dass wir das Y2K-Problem nur insofern überwanden, als wir es einfach verschoben haben. Oder uns Tricks ausdachten, wie wir Applikationen, die mit zweistelligen Jahreszahlen arbeiten, vorgaukeln, sie hätten vierstellige. Die sogenannte Windowing-Technik etwa ist nur ein Notbehelf, um Applikationen Y2K-tauglich zu machen. Und für die Berechtigung, solche Taschenspielertricks anzuwenden, benutzen die DV-Leute jetzt wieder ähnliche Argumente wie anfänglich in der Y2K-Debatte.

CW: Wird die Erfahrung mit dem Y2K-Bug uns künftig besser dokumentierte, vielleicht gar besser entwickelte Systeme bescheren?

de Jager: Nein, absolut nicht. Wenn Sie heute IT-Organisationen fragen, wie sie die Y2K-Problematik in ihren Applikationen umschiffen und ob sie ihre Windowing-Designs ordentlich dokumentiert haben, dann werden Sie sehen, dass Ihnen die meisten keine Auskunft geben können.

CW: Gibt es denn irgendeinen positiven Effekt, den die Erfahrung mit den Y2K-Schwierigkeiten uns gebracht haben könnte?

de Jager: Vielleicht den, dass uns allen sehr bewusst geworden ist, wie sehr wir von Technologie abhängen. Und vielleicht, ganz vielleicht haben die Manager in den obersten Etagen unserer Unternehmen realisiert, dass die IT-Abteilungen nicht nur Wasserköpfe sind, nicht nur Kostenverursacher, sondern tatsächlich ein wichtiges Mittel zur Durchsetzung von Unternehmensstrategien.

Was aus der Y2K-Erfahrung auch erwachsen könnte, ist die Einsicht in die Notwendigkeit, dass DV-Manager künftig von Gesetzes wegen gezwungen sein werden, eine spezielle Zertifizierung zu erlangen, wenn sie berechtigt sein wollen, an bestimmten Projekten zu arbeiten. So ähnlich wie bei Ärzten, von denen auch nicht jeder Herzoperationen vornehmen darf. Ich könnte mir vorstellen, dass solche speziellen Ausbildungszertifizierungen in den kommenden fünf Jahren eingeführt werden.