SGI richtet sich neu aus

"Wir glauben mittelfristig an den Erfolg von Linux"

24.09.1999
MÜNCHEN (CW) - Nach etlichen verlustreichen Quartalen will sich SGI (vormals Silicon Graphics) strategisch neu aufstellen. Mit Joachim Redmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Silicon Graphics GmbH in Grasbrunn, sprachen die CW-Redakteure Jörg Schröper und Wolfgang Herrmann.

CW: SGI hat eine weitreichende Restrukturierung angekündigt. Mehrere Geschäftsbereiche, darunter die Supercomputer-Sparte Cray, sollen abgetrennt oder verkauft werden. Weltweit fallen zirka 1500 Stellen weg. Welche Veränderungen werden sich für die deutsche Tochtergesellschaft ergeben?

Redmer: Restrukturierungen in jeder Form sind zunächst einmal für jedes Unternehmen etwas sehr Positives, wenn sie rechtzeitig und konsequent angegangen werden. In diesem Fall ist das geschehen.

CW: Für einige Mitarbeiter dürfte sich die Situation aber weniger erfreulich darstellen...

Redmer: Für die deutsche GmbH ist das durchaus eine positive Entwicklung. So etwas kommt ja nie von heute auf morgen. Da wir die jetzt angekündigten Schritte in gewisser Weise schon vorhergesehen haben, ist die deutsche GmbH heute personell auf einem Niveau, das in diesem Umfang auch benötigt wird.

CW: Was bedeutet das in Zahlen ausgedrückt?

Redmer: Wir haben in Deutschland zirka 105 bis 110 Mitarbeiter im Sales-Bereich. Dazu zählen Systemingenieure und Vertriebsbeauftragte. Hinzu kommt das Marketing. Im Customer-Service arbeiten etwa 70 bis 80 Leute. Weitere 20 bis 25 Mitarbeiter sind in der Sparte Professional Services angestellt. In all diesen Bereichen sind wir auch bezüglich des neuen Geschäftsmodells richtig aufgestellt. Die Entwicklung kam für uns nicht überraschend.

CW: SGI hat mit der NT-basierten "Visual Workstation" ein Produkt vorgestellt, das in technischer Hinsicht sehr interessant war. Warum blieb der Erfolg dennoch aus?

Redmer: Wir haben die Komplexität des Produkts und des Marktes vielleicht an ein bis zwei Stellen unterschätzt. Zum einen hat die Entwicklung des Produkts länger gedauert, als wir gedacht hatten. Dafür ist es aber auch besonders gut geworden. Die Nachfrage war exorbitant hoch. Wir haben auch sehr viele Maschinen ausgeliefert, waren aber nicht in der Lage, eine kompromißlose Volumenfertigung auf die Beine zu stellen. Zweitens konnten wir auch die erforderlichen Vertriebskanäle nicht kurzfristig aufbauen.

CW: Sie hatten anfangs auch Lieferprobleme. Haben Sie die Nachfrage falsch eingeschätzt?

Redmer: Ja. Die Nachfrage lag erheblich über unseren Erwartungen. Es wäre aber nun der falsche Weg gewesen, aus diesem Geschäft auszusteigen. Statt dessen haben wir überlegt, was wir besser machen können. Wir verhandeln nun mit einem großen PC-Hersteller über eine Allianz.

CW: Ist die Entscheidung für einen Partner schon gefallen?

Redmer: Ja. Den Namen kann ich aber aus börsenrechtlichen Gründen noch nicht nennen. Wir werden aber in jedem Fall die Produktentwicklung weiter mit unserem High-end- und Grafik-Know-how versorgen. Das ist Bestandteil der Allianz. Der Partner wird nichts weiter tun, als die Produkte zu fertigen und sie über seinen alternativen Kanal zu vertreiben. Wir werden die Produkte auch weiterhin selbst anbieten. Es ist aber absehbar, daß über den Kanal des Partners erheblich höhere Stückzahlen fließen werden als über unseren eigenen.

CW: Bleibt das SGI-Label erhalten, oder wechselt man auf die Marke des Partners?

Redmer: Wenn ich der Hardwarehersteller wäre, würde ich die gewährte Option, das "Gold-Nugget"-Label SGI zu verwenden, nutzen. Ob er das tut, weiß ich nicht. Das ist eine Business-Entscheidung. Man darf dem Partner hier keine Vorschriften machen.

CW: Wer übernimmt künftig den Support für die NT-Workstations?

Redmer: Der Support wird gegenwärtig über einen Vertrag mit der Firma ICL gewährleistet. Dieser wird entweder auf die dann erheblich breitere Installationsbasis ausgeweitet, oder es wird ein Kontrakt mit einem neuen Partner geschlossen.

CW: SGIs Supercomputer-Sparte Cray soll ausgegliedert und eventuell veräußert werden. Welche Gründe waren für diese Entscheidung ausschlaggebend?

Redmer: Der Cray-Markt und speziell der Markt für vektorbasierte Rechner ist einerseits ein Markt mit erheblichem Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Andererseits ist die Anzahl der Kunden sehr begrenzt. Es gibt pro Region jedes Jahr nur eine Handvoll großer Beschaffungen. Das wäre an sich noch kein Problem, wenn es nur ein bis zwei Hersteller gäbe. Mittlerweile sind aber fünf Anbieter aktiv, die alle gewillt sind, sich in diesem prestigeträchtigen Markt zu engagieren. Es freut mich für die Kunden, die damit Rechenleistung zu einem sehr günstigen Preis bekommen. Für uns ist das aber kein tragfähiges Geschäftsmodell.

CW: SGI hat angekündigt, sich künftig auf die drei Kernbereiche Hochleistungs-Systeme, also Mips-basierte Server, Visual-Computing-Lösungen sowie Breitband-Internet-Systeme konzentrieren zu wollen. Die Cray-Sparte hat in diesem Konzept keinen Platz mehr.

Redmer: Wir werden uns mittelfristig auf die eigenen Server konzentrieren, also die Scalar-basierten Maschinen mit 512 bis über 1000 Prozessoren und auf die Grafiksparte. Das ist unsere Kernkompetenz. Der Rest wird innerhalb von SGI isoliert und in ein eigenes Geschäftsmodell gebracht mit der Option, ihn in eine Allianz einfließen zu lassen.

CW: Ihr Unternehmen hat im Rahmen der Restrukturierungspläne auch ein verstärktes Linux-Engagement angekündigt. Was bedeutet das? Wie grenzen Sie das Open-Source-Betriebssystem gegen Ihr eigenes Unix-Derivat Irix ab?

Redmer: Wir glauben mittelfristig an den Erfolg von Linux. Der Bedarf an offenen Systemarchitekturen im Markt wird größer. Wir erfahren das nicht nur aus Zeitungen wie der Ihren, sondern auch von unseren Kunden. Deshalb legen wir einen starken Fokus auf die Entwicklung Linux-basierter Systeme.

CW: Was heißt das konkret?

Redmer: Wir werden einige unserer kritischen Kernels von Irix in Linux einbringen. Das ist dringend erforderlich, weil Linux heute für hohe Skalierung ungeeignet ist. Es gibt eine logische Grenze von 128 Prozessoren. Aber auch hier läßt die Leistung zu wünschen übrig. Wir werden auch diese Grenze früher oder später sprengen.

CW: Wie sieht die Abgrenzung zu Irix aus?

Redmer: Wir werden Irix weiter unterstützen. Das ist ein Muß.

CW: Wie lange?

Redmer: Wenn ich das wüßte, wäre ich vor ein paar hundert Jahren wegen Hexerei verbrannt worden. Die Frage ist: Wie schnell entwickelt sich Linux? Wie schnell ist Linux in der Lage, Irix zu ersetzen, so daß ein reibungsloser Übergang möglich ist?

CW: Das hängt ja auch von Ihrem Beitrag ab.

Redmer: Natürlich. Das ist ein Prozeß, der sich selbst verstärkt. Wir werden kompromißlos in die Linux-Welt einsteigen. Wir werden uns aber nicht die Möglichkeit nehmen, Systeme so groß zu bauen, wie wir das heute mit Irix tun können. Hier ist Linux derzeit noch ein Hindernis. Man kann heute mit Linux noch kein 512-Prozessor-System im Non-Clustered-Mode betreiben. Wir brauchen diese Systeme aber. Wir haben sie verkauft und installiert.

CW: Sollen die Teile, die Sie zu Linux beisteuern, sich auch an dem Open-Source-Gedanken orientieren?

Redmer: Wir werden den Spielregeln des Open-Source-Gedankens konsequent folgen. Das ist ein ziemlich binäres Thema. Entweder man macht es, oder man macht es nicht.