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Windows 2000 - Hit oder Niete?

14.02.2000
Antiquierte Prognosen drücken auf Microsofts Aktienkurs

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Aktienkurs von Microsoft hat seit Mittwoch vergangener Woche um rund zehn Prozent nachgegeben. Erster Grund war die Meldung, die Europäische Union werde Windows 2000 auf mögliche Kartellrechtsverletzungen hin untersuchen (CW Infonet berichtete). Schon diese Hiobsbotschaft ließ den Microsoft-Kurs von annähernd 110 auf 106,18 Dollar purzeln. Am Freitag folgten dann ein Report der Gartner Group und Aussagen von Michael Dell, die beide ins selbe Horn bliesen: Unternehmenskunden würden mit der Einführung des NT-Nachfolgers eher vorsichtig sein. Diese beiden "Tiefschläge" schickten die Aktie nochmals um mehr als sechs auf 99,94 Dollar in den Keller.

Konkurrent Novell nützte prompt die günstige Gelegenheit, um auf ein angeblich schweres Sicherheitsproblem im Windows-2000-Verzeichnisdienst "Active Directory" - Konkurrenz für die "Novell Directory Services" (NDS, neuerdings auch "eDirectory") aus dem eigenen Hause - hinzuweisen. Microsoft reagierte prompt mit einer Stellungnahme, in der Fehler in der Methodik von Novell unterstellt wurden. Man sei zu dem Ergebnis gelangt, dass der vorgebliche Fehler nicht existiere.

Dell, Gründer und CEO des gleichnamigen PC-Direktanbieters, hatte im Rahmen eines Conference Calls mit Analysten erklärt, er sehe eine eher verhaltene Nachfrage nach Windows 2000 und gehe davon aus, dass das neue Betriebssystem im Unternehmensumfeld nur langsam vorankommen werde. Dell sagte darüber hinaus, das Open-Source-Unix Linux werde immer mehr zu einer ernst zu nehmenden Alternative zu Windows.

Die Gartner Group prophezeite, gerade drei bis sechs Prozent der bisherigen NT-Anwender würden bis Ende dieses Jahres auf Windows 2000 umsteigen. Ein Jahr später soll sich dieser Anteil dann allerdings bereits auf 50 Prozent erhöhen. Mit dieser vorsichtigen Prognose steht Gartner allerdings recht einsam da - mehrere andere Studien sind zum Ergebnis gekommen, dass rund 30 Prozent der Nutzer bereits in diesem Jahr Windows 2000 einsetzen werden. [Zu diesem Ergebnis kam übrigens auch die "Frage der Woche" im CW Infonet in der vergangenen Woche - 29 Prozent gaben an, sie wollten Windows 2000 noch in diesem Jahr als Server-Betriebssystem einführen].

Übrigens erwartet auch Microsoft selbst keineswegs einen Riesenansturm auf Windows 2000, wie er bei Desktop-Betriebssystemen in der Vergangenheit schon vorgekommen war. "Eine ´Midnight Madness´ wie seinerzeit bei Windows 95 wird es sicher nicht geben", glaubt Marketing-Director Keith White. "Aber große Unternehmen und Dot.coms schreien geradezu nach der neuen Technik."

Die Gartner Group geht davon aus, dass ein Viertel aller mittleren und großen Unternehmen im Zuge des Umstiegs auf Windows 2000 Kompatibilitätsproblemen auf Anwendungs- und Netzwerkebene hinnehmen müsse. Die Experten empfehlen daher dringend, mindestens das erste Service Pack (SP1) abzuwarten, das Microsoft dem Vernehmen nach bereits im kommenden Juni veröffentlichen will (CW Infonet berichtete).

Die Warnungen aus dem Hause Gartner sind aber beileibe keine Neuigkeiten - was der federführende Analyst und Vice-President Michael Gartenberg übrigens auch freimütig einräumte. Die jüngste Veröffentlichung, so der Marktforscher, fasse im Prinzip nur die im Laufe des vergangenen Jahres geäußerten Bedenken zusammen. Unter anderem hatten die Auguren im vergangenen September vor horrenden Migrationskosten gewarnt (CW Infonet berichtete) und unlängst von dem Einsatz des neuen Windows-2000-Verzeichnisdienstes "Active Directory" abgeraten (CW Infonet berichtete). Die gesammelten Ansichten der Bedenkenträger kann jedermann bereits seit letztem Jahr auf der Gartner-Site nachlesen. "Die Investoren reagieren auf eine wieder aufgewärmte Geschichte, die schon ein Jahr alt ist", kommentiert Michael Kwatinetz von Credit Suisse First Boston.

Dass der Einsatz von Windows 2000 mit geschätzten 32 Millionen Zeilen neuen Quellcodes Risiken birgt, ist kein Geheimnis. Der Brancheninformationsdienst "Computergram" zitiert in diesem Zusammenhang ein internes Memo der Gates-Company. Darin ist von mehr als 65 000 bekannten "potentiellen Punkten" ["potential issues"] die Rede, die sich zu echten Bugs auswachsen könnten - 28 000 davon sollen wahrscheinlich zu "echten Problemen" ["real problems"] führen. Auf der anderen Seite befindet sich Windows 2000 seit Monaten im öffentlichen Beta-Test - beispielsweise hatte sich Dell bereits im Januar 1999 mit der Ankündigung aus dem Fenster gelehnt, Server auf Wunsch mit der vorläufigen Testversion des Betriebssystems anzubieten (CW Infonet berichtete). Der Hersteller hat nach eigenen Angaben allein 160 Millionen Dollar investiert, um das Betriebssystem so stabil wie möglich zu machen - nach ersten Tests und Aussagen von Anwendern durchaus erfolgreich.

In jedem Fall dürfte Windows 2000 bereits in diesem Jahr zu einem Hauptumsatzfaktor für Microsoft werden. Das "Wall Street Journal" zitiert David Readerman, Analyst bei Thomas Weisel Partners, mit der Einschätzung, allein die Server-Version des neuen OS werde in diesem Jahr rund 3,5 Milliarden Dollar in die Kassen des Softwareriesen spülen. Zusammen mit weiteren mehr als fünf Milliarden Umsatz im Desktop-Bereich entspräche dies mehr als einem Drittel der avisierten Gesamteinnahmen von 25 Milliarden Dollar.