Multiuser-Funktionen für Windows NT

Wincentrik bietet preiswerte Alternative zu WTS an

17.07.1998

Grafische Multiuser-Umgebungen, die das X-Window-System unter Unix seit über zehn Jahren kennt, werden seit einiger Zeit auch für Windows angeboten. Sie sollen die Unterhaltskosten von PCs senken helfen, weil Anwendungen sowie Nutzerkonten dabei zentral installiert und gepflegt werden. Auch heterogene Umgebungen können auf diese Weise durch plattformübergreifende Präsentationsprotokolle mit Windows-Anwendungen bedient werden. Die Tekcentrik Corp. ist ein neuer Anbieter auf dem Markt der Windows-Multiuser-Systeme. Die erste Ausführung von Wincentrik wurde auf der CeBIT '98 vorgestellt und liegt mittlerweile nach Fehlerbereinigungen in der Version 1.00.5 vor.

Anwendungen laufen vollständig am NT-Server ab

Die Multiuser-Technik für Windows NT 4.0 teilt eine Anwendung, ohne daß sie geändert werden muß, in Anwendungs- und Präsentationslogik auf. Dabei laufen alle Anwendungen zu 100 Prozent auf dem Server ab, während zum Client lediglich der Bildschirminhalt transportiert wird. Auf diese Weise greifen bei allen Anwendungen sämtliche Sicherheitsmechanismen des Servers sowie alle hier vorhandenen Verwaltungswerkzeuge.

Wincentrik besteht aus den Server-Modulen "Application Agent" und "Wincentrik Service" sowie dem Wincentrik-Client. Die Bildschirminhalte der Anwendung gelangen über das hauseigene "Remote Presentation Protocol" (RPP) zum Desktop-Rechner, auf dem umgekehrten Wege werden Tastatureingaben und Mausklicks zum Server geschickt. Laut Hersteller ist RPP in puncto Bandbreite genügsam, so daß Zugriffe per ISDN oder gar Modem mit befriedigender Geschwindigkeit möglich sein dürften. Wünschenswert wäre aber, daß Wincentrik zusätzlich das weit verbreitete Citrix-Protokoll "Independent Computing Architecture" (ICA) unterstützt. Als Netzprotolle akzeptiert Wincentrik TCP/IP, Netbeui oder SPX/IPX, bei Bedarf auch parallel. Demgegenüber läßt sich Microsofts WTS nur über TCP/IP nutzen.

Das Wincentrik-Add-on macht einen NT-Server zu einem Multiuser-Applikations-Server, der die gesamte Arbeitslast der Clients übernehmen muß und entsprechend großzügig bemessen sein sollte. Laut Tekcentrik können auf einem 200-Megahertz-Pentium zwölf bis 15 simultane Office-97-Nutzer arbeiten. Empfohlen wird ein Arbeitsspeicher von mindestens 64 MB, wobei pro Anwender 1,5 MB für den Wincentrik-Login plus der jeweils von der Anwendung benötigte Speicher nötig ist. Nicht ratsam ist der Einsatz von Multimedia- und anderen grafikintensiven Anwendungen. Neben der erforderlichen hohen Rechenleistung verbieten sie sich auch wegen der hohen Netzbelastung. Ziel von Wincentrik ist, den Zugriff auf Windows-Anwendungen unabhängig vom eingesetzten Endgerät zu machen. Dementsprechend unterstützt es eine Reihe von Plattformen: 16- und 32-Bit-Windows, DOS, Java, Unix (Motif) sowie Plug-ins für Web-Browser.

Die Installation verläuft schnell und unproblematisch. Folgende Voraussetzungen sind dabei zu beachten: Grundlage ist NT 4.0, dabei muß das Servicepack 3 sowie eine S3-Grafikkarte oder der Standard VGA-Grafiktreiber installiert sein. Die Server-Komponenten umfassen lediglich 13 MB. Das Server-Add-on läuft als NT-Dienst, bei dem es normalerweise nichts zu konfigurieren gibt. Er akzeptiert sofort Wincentrik-Logins von jedem bekannten NT-Nutzer. Dabei bietet die Software derzeit aber leider keine Möglichkeit, pro Client Login-Restriktionen vorzugeben, beispielsweise nach IP-Adresse oder Domain.

Auf der Client-Seite erfolgt die Installation unter Windows ebenfalls automatisch. Anwendungen werden im "Netscape Navigator" mittels eines eigenen Plug-in ausgeführt, während in Microsofts "Internet Explorer" ein Active-X-Control zum Einsatz kommt. Weitere Programme sind nicht erforderlich. Für den Unix- beziehungsweise Linux-Client ist lediglich eine Binärdatei auf dem Client-Rechner zu installieren. Der Client erkennt automatisch alle erreichbaren Wincentrik-Server und bietet sie als Icons im Startfenster an. Unter Windows 95 und NT ist die Bedienung Desktop-orientiert und intuitiv gelöst: Nach dem Login als NT-Nutzer wird das Startmenü des Servers im lokalen Startmenü zusätzlich eingeblendet. Der Anwender kann so auf alle Server-Applikationen in gleicher Weise wie auf lokale Programme zugreifen. Er sieht die Fenster der entfernten Anwendungen auf seinem lokalen Desktop. Alternativ zum Startmenü kann auch ein einzelnes Icon pro Anwendung präsentiert werden, beispielsweise um für aufgabenorientierte Nutzer die Bedienung zu vereinfachen. Wincentrik-Clients unter anderen Betriebssystemen können entfernte Anwendungen entweder über die Kommandozeile starten oder den "Remote Explorer" nutzen, eine Variante der Windows-Oberfläche.

Die Ablaufgeschwindigkeit der entfernten Anwendungen ist akzeptabel, eine leichte Verzögerung des Cursors zum Beispiel bei schnellem Wechsel zwischen Menüpunkten zeigt jedoch gewisse Einbußen durch die Verlagerung des Programms auf den Server.

In der Theorie sollten sowohl alle auf dem NT-Server lauffähigen 16-Bit-Anwendungen als auch alle 32-Bit-Programme normal lauffähig sein. Während unserer Tests stellten sich jedoch wiederholt Probleme mit älteren 16-Bit-Applikationen ein: Entweder passierte nach dem Aufruf überhaupt nichts, oder der jeweilige Bildschirmausschnitt wurde zerstört. Fehlermeldungen blieben in jedem Falle aus.

Unterstützung auch für DOS-Clients

Der DOS-Client funktioniert bis auf einige kleine Schönheitsfehler einwandfrei. Er präsentiert den Windows-Startbutton auf Windows-grünem Desktop-Hintergrund. Getestete 32-Bit-Anwendungen liefen einwandfrei. Leider fehlt hier eine Installations- und Konfigurationsbeschreibung. Lediglich Muster für die Konfigurationsdateien liegen bei.

Der Lieferumfang von Wincentrik ist derzeit etwas dürftig, vor allem fehlen noch Administrations- und Diagnosewerkzeuge, beispielsweise um den Anwendern abhängig vom Benutzerprofil maßgeschneiderte Startmenüs anzubieten oder den Zugriff auf bestimmte Anwendungen zu sperren. Sie sind für Juli dieses Jahres angekündigt und werden kostenlos nachgeliefert. Auch der Java-Client wird erst im Laufe des Sommers verfügbar sein.

Wincentrik besticht durch die Einfachheit der Installation, Verwaltung und Bedienung. Überzeugend ist auch die Vielfalt der unterstützten Clients. Gespannt darf man vor allem auf den Java-Front-end sein, der sich besonders für NC-Umgebungen eignen dürfte, aber auch neue Anwendungsmöglichkeiten in Intranets eröffnet.

Angesichts der Preispolitik von Microsoft ist Wincentrik auch in puncto Kosten konkurrenzfähig. Der Einführungspreis liegt bei 2590 Mark für fünf Nutzer.

Anbieten dürfte es sich vorzugsweise für Datenerfassungsprogramme, beispielsweise bei Banken oder Versicherungen. Laut Visional Solutions, dem internationalen Vertriebspartner von Tekcentrik, besteht starkes Kundeninteresse am Unix-Client für den Zugriff auf Windows-Anwendungen von X-Terminals aus. Weitere Informationen zum Produkt gibt es im Internet unter http://www.visional.com.