Willkommen im Assessment-Center

16.09.2008
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Glückwunsch, Sie werden befördert. Bevor sich Mitarbeiter über diesen Satz freuen dürfen, müssen sie sich erst beweisen - nicht nur im Alltag, sondern zunehmend auch im manchmal mehrtägigen Auswahlverfahren.

Leichte Nervosität macht sich breit. Kritisch beäugen sich die Kontrahenten wie Langstreckenläufer vor dem Startsignal. Schließlich warten auf die Teilnehmer eines Assessment-Centers ein bis zwei Tage Dauerstress. Zwischen den vielfältigen Übungen, Gesprächen und Tests bleibt ihnen kaum Zeit für weiche Knie. Selbst ein aus Ratgebern mühsam antrainiertes Verhaltensrepertoire vergessen viele schnell, die Simulation wird Realität.

An die Postkorbübung erinnern sich manche Berufseinsteiger noch mit Schrecken: Möglichst effizient mussten sie Unterlagen sortieren, Arbeitsaufträge verteilen und das Wichtigste zuerst bearbeiten. Wer denkt, mit zunehmender Berufserfahrung solchen Übungen entwachsen zu sein, irrt sich. Gerade wenn es darum geht, talentierte Mitarbeiter auf ihre Führungsqualitäten zu testen, setzen wieder viele Firmen auf das mehrtägige, kostspielige Testverfahren.

Microsoft etwa lädt alle zwei Monate rund zehn Mitarbeiter zu einem eineinhalbtägigen Assessment-Center ein. "Uns geht es dabei ausschließlich um Soft Skills und nicht um Fachwissen", erläutert Tim Ackermann, Personaler bei Microsoft in München. Kommunikatives Verhalten, Teamgeist und Konfliktfähigkeit sowie Führungskompetenz sollen die angehenden Führungskräfte in aufeinander aufbauenden Rollenspielen und Übungen unter Beweis stellen.

Ein externer Dienstleister entwickelt mit dem Unternehmen die Fallbeispiele und übernimmt Organisation sowie Abwicklung. HR-Mitarbeiter und Führungskräfte von Microsoft sowie unabhängige Beobachter des Dienstleisters beobachten und beurteilen die Kandidaten. Das Vorschlagsrecht für die Teilnahme liegt bei den direkten Vorgesetzten.

"Die Akzeptanz des Verfahrens unter den Mitarbeitern ist sehr hoch", berichtet Ackermann. Selbst wenn es kein konkretes Jobangebot am Ende der eineinhalb Tage gibt, fasst ein persönlicher Entwicklungsplan die Ergebnisse zusammen und zeigt Perspektiven auf. Wer an seinen Schwachstellen arbeitet und seine Vorgesetzten von den Fortschritten überzeugen kann, nimmt möglicherweise in der nächsten Runde wieder teil. Denn wer sich für eine intern ausgeschriebene Führungsaufgabe bewerben möchte, muss vorher seine Soft Skills im Assessment-Center überzeugend darstellen.

Laienschauspieler halten nicht durch

Treffen hochqualifizierte Kollegen in einem Auswahlprozess aufeinander, können Gewinner und Verlierer am Ende eines Verfahrens für Zündstoff innerhalb der Firma sorgen. Bekommt der Büronachbar den Job, auf den auch andere gehofft haben, kann die Motivation in Frustration umschlagen. Annette Glitz, Management- und Personalberaterin in München, konzipiert und moderiert seit mehr als 20 Jahren Assessment-Center-Verfahren für Unternehmen. Gerade wenn es darum geht, künftige Führungskräfte zu identifizieren, sollten Firmen vorab offen das Ziel des Verfahrens besprechen. "Transparenz ist sehr wichtig. Die Teilnehmer sollten beispielsweise erfahren, welche Übungen sie erwarten, nach welchen Kriterien sie beobachtet werden bis hin zur möglichen Kleiderordnung."

Mit diesen Informationen ausgestattet, kann sich jeder entsprechend vorbereiten. Schauspielerisches Talent sollten die Teilnehmer allerdings nur wohldosiert einsetzen. "Niemand kann den Beobachtern über mehrere Tage hinweg etwas vorspielen", warnt Glitz. Sie empfiehlt authentisches Verhalten.

Wer dagegen glaubt, mit vornehmer Zurückhaltung die Beobachter von seinen versteckten Qualitäten zu überzeugen, irrt ebenfalls. Geschickt eingesetzte Eloquenz zahlt sich aus, schließlich geht es darum, seine Talente und Fähigkeiten sichtbar zu machen. In Beobachterschulungen wird genau festgelegt, welches Verhalten wie bewertet werden soll. "Führungskräfte müssen kommunikativ sein; das heißt auch, dass sie Spaß daran haben, sich zu zeigen, und ihre Qualitäten darzustellen", so die Beraterin.

Führungspositionen innerhalb eines Unternehmens über ein Assessment-Center zu besetzen, sieht Annette Glitz kritisch. Vorgesetzte und Personaler sollten aufgrund von Projekterfolgen, regelmäßigen Mitarbeitergesprächen oder Entwicklungsplänen längst wissen, wer sich für die Aufgabe eignet. Mehr Chancen lägen in so genannten Entwicklungs- oder Development-Centern, die das Potenzial von Mitarbeitern verdeutlichen. Mit den Ergebnissen lassen sich maßgeschneiderte Entwicklungspläne erarbeiten und die Führungskräfte von morgen schulen.

Thomas Leibfried, Leiter Personalentwicklung und -beschaffung von Computacenter, setzte Assessment-Centers bisher ausschließlich für die Auswahl von Hochschulabsolventen für das Trainee-Programm ein. Inzwischen nutzt der Personaler das Tool auch zur Personalentwicklung. "Wir schicken sechs Kandidaten für eineinhalb Tage in ein Auswahlverfahren. Pro Jahr wollen wir sechs bis acht Assessment-Center veranstalten", so Leibfried. Der Wunsch nach einem Verfahren, das mehr Transparenz in die Auswahl der angehenden Führungskräfte bringt, ging von den Mitarbeitern aus. "In unserer letzten Mitarbeiterbefragung haben wir die Rückmeldung erhalten, dass es wenig Transparenz bei der Besetzung von Führungspositionen gibt. Viele kritisierten, dass wir nicht immer die richtigen Führungskräfte befördern würden."

Auf diese harsche Kritik folgte die Idee eines strukturierten Auswahlverfahrens mit Assessment-Center. Dort können ausgewählte Mitarbeiter ihr Potenzial beweisen und sich für künftige Aufgaben empfehlen. "Bei manchen Kandidaten wird auch deutlich, dass sie kein Führungspotenzial haben. Um Frustrationen zu vermeiden, erteilen wir nach dem Assessment-Center Empfehlungen, wie sich die Mitarbeiter weiterentwickeln können", so Leibfried. Jedes Jahr gibt es bei Computacenter rund 40 neue Positionen mit Führungsverantwortung; Leibfried hofft, dass das jetzige Verfahren dem Unternehmen bald eine Auswahl an geeigneten Kandidaten bringt und die Positionen leichter besetzt werden können.

Assessment-Center gelten als besonders aussagekräftig, allerdings auch als aufwändig und teuer. Deshalb beauftragen Firmen gern Dienstleister, die nach ihrem Anforderungsprofil ein solches Auswahlverfahren umsetzen. Einer davon ist DDI in Meerbusch. Die Auftraggeber liefern ein Erfolgsprofil, daraus entwickelt DDI Übungen und Aufgaben für das meist eintägige Assessment-Verfahren. Elmar Kronz, Geschäftsführer von DDI in Deutschland: "Oft setzen Firmen auf unsere Methode, wenn sie Bewerber für Führungsaufgaben suchen oder neue strategische Positionen besetzen wollen." Etwa wenn Firmen neue Niederlassungen im Ausland aufbauen oder neue Geschäftsfelder erschließen.

"Die Bewerber erhalten meist ein Feedback über ihre Leistung. Für die Ausgewählten ist es intensiver, denn wir erstellen auch ein Profil der Entwicklungschancen. Das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erschwert es Unternehmen häufig, abgelehnten Bewerbern eine ausführliche Aussage über ihre Leistung zu geben", so Kronz. Den Service von DDI nehmen in erster Linie internationale Konzerne in Anspruch. Die Kosten pro Bewerber für eine gehobene Management-Aufgabe belaufen sich auf 5000 bis 8000 Euro.

Unternehmensrelevante und aufeinander aufbauende Übungen innerhalb des Assessment-Centers erhöhen den Erfolg. Selbst wenn maßgeschneiderte Aufgaben anfangs teurer sind, lohne sich der Aufwand. "Der Bezug zum Unternehmen und ein roter Faden bei den Aufgaben sind wichtige Erfolgskriterien", sagt Beraterin Glitz. Fundierte Feedback-Gespräche erhöhen ebenfalls die Akzeptanz. Doch für die Ergebnisse gilt absolute Vertraulichkeit. Neben dem Teilnehmer verfügen nur die Personalentwickler über eine Kopie. Glitz rät davon ab, direkte Vorgesetzte als Beobachter einzusetzen. Besser sei es, eine Führungskraft der nächsten Hierarchieebene mit dieser Aufgabe zu betrauen, da sie den Mitarbeiter nicht aus dem Arbeitsalltag kennt und deshalb auch unabhängiger urteilen kann. (am)

Wozu Assessment-Center gut sind

  • Personalauswahl: das häufigste Einsatzgebiet. Häufig durchlaufen Hochschulabsolventen für den ersten Job das Auswahlverfahren. Auch Berufserfahrene und angehende Führungskräfte müssen sich im Assessment-Center bewähren.

  • Einzelbeurteilung: Meistens lädt ein Unternehmen mehrere Teilnehmer gemeinsam zu einem Assessment-Center ein. Firmen verwenden das Verfahren aber auch, um die Führungsqualitäten eines einzelnen Managers intensiv zu testen.

  • Entwicklungs- oder Development-Center (DC): Hier gibt es keine Gewinner und Verlierer. Die Fähigkeiten und Talente jedes Teilnehmers stehen auf dem Prüfstand; ein individueller Entwicklungsplan dient der Personalentwicklung.

Hier lesen Sie ...

  • weshalb Unternehmen Assessment-Center nutzen;

  • welche Aufgaben angehen-de Führungskräfte dort erwarten;

  • wie sie sich vorbereiten können;

  • wann ein Assessment- Center wenig Sinn hat.

So kann ein Tag im Assessment-Center aussehen

Assessment-Center-Verfahren umgibt eine Aura des Geheimnisvollen. Elmar Kronz, Geschäftsführer des Personaldienstleisters DDI, stellt einige Übungen vor:

Rollenspiele

  • Partnergespräch: Teilnehmer müssen mit dem Partner eines Zuliefererbetriebes über Qualitätsprobleme sprechen und Lösungsvorschläge unterbreiten.

  • Kundengespräch: Ein verärgerter Kunde beschwert sich über schlechten Service und fehlerhafte Produkte einer größeren Bestellung. Aufgabe des Teilnehmers ist es, den Kunden zu beruhigen und konstruktive Lösungen zu finden.

  • Mitarbeitergespräch: Mit einem Mitarbeiter sollen dessen Leistungsprobleme besprochen und Lösungsansätze erarbeitet werden.

  • Analyseübungen: Die Kandidaten sollen einen Geschäfts-, Marketing- oder Vertriebsplan präsentieren und die Ergebnisse diskutieren. Auch die geplante Akquisition einer anderen Firma kann Thema sein.

  • Postkorb: Diese Übung wird den Teilnehmern in Form von E-Mails präsentiert, die der Kandidat im Lauf des Tages abarbeiten muss.

Als Sparringspartner für die Rollenspieler schlüpfen verschiedene, speziell dafür ausgebildete DDI-Assessoren in die Rolle des Kontrahenten.

Den Kandidaten steht während des Assessment-Tages neben Drucker und Telefon ein persönlicher PC oder ein Laptop zur Verfügung, damit sie über eine MS-Office-Umgebung E-Mails erhalten und verschicken sowie Termine planen und Aufgaben bearbeiten können. Außerdem gibt es einen Zugang zum Intranet des virtuellen Unternehmens, für das sie im Rahmen des Assessment-Centers arbeiten, um dort nach wichtigen Informationen zu Unternehmen, Strategie, Kunden oder Produkten zu suchen.

Quelle: DDI, Elmar Kronz.