Kreativitätsreserven der Mitarbeiter bisher noch ungenutzt:

Wildwuchs ist kein Krankheitssymptom

12.08.1988

MÜNCHEN (CW) - DV-Chefs sträuben sich nicht selten bei Folgen von Endbenutzerinitiativen wie dem "PC-Wildwuchs" die Haare. Sozialwissenschaftler erkennen darin indes den Willen der DV-Laien, mit Phantasie und Lernbereitschaft Bürotechnik zur Lösung von Arbeitsproblemen einzusetzen - und spielerisch neue Chancen zu erfahren.

Moderne Informations- und Kommunikationstechniken haben die Zusammenarbeit in den Betrieben erheblich verändert. Häufig beklagen Beteiligte den Verlust an "Unternehmenskultur", beispielsweise an zwischenmenschlicher Kommunikation - besonders aber bemängeln sie fehlende Mitspracherechte bei der Einführung neuer Technik.

Angesichts dieser Defizite erscheint der "Wildwuchs" von Personal Computern in den Fachabteilungen recht verständlich, kommentiert Friedrich Weltz: "Der Nutzer greift Möglichkeiten der neuen Technik auf, um jene Restriktionen, die ihn bislang behinderten, zu umgehen." Dies sei nichts anderes als eine "radikale Form der Nutzerbeteiligung", um schließlich Technik so zu nutzen, daß sie unmittelbar helfe, schlußfolgert der Leiter der sozialwissenschaftlichen Projektgruppe SPG in München.

"Kulturkritik" sei fehl am Platz, betont Peter Atteslander vom Lehrstuhl für Soziologie der Universität Augsburg. Allerdings drohe DV-Nutzern ein "Realitätsverlust durch allzu einseitige Verwendung der Möglichkeiten moderner Bürotechnik". Bislang werden nämlich allein die MIPS-Rechenkapazitäten der Computer in den Vordergrund der Betrachtung gestellt, die Kreativitätsreserven der Mitarbeiter aber viel zu wenig genutzt. Anwender der Daten- und Informationstechnik sollen sich nicht in diese von Technik-Spezialisten produzierten Zwänge begeben. Wenn sie lernten, spielerisch mit den Computern umzugehen, so der Augsburger Soziologe, könnten sie selbst entscheiden, nicht nur wie sich die Technik erfolgreich nutzen lasse, sondern wozu sie diese Werkzeuge nutzen müßten: nämlich zu einer Optimierung der Chancen.

Erkennbar sei, sekundiert Weltz, daß die neue Bürotechnik zum "Selbstläufer" werde, sobald für den Mitarbeiter einsichtig sei, daß sie ihm spürbar und unmittelbar bei seiner Arbeit hilft und ihm Erleichterung bringt.

Untersuchungen in Industrieunternehmen der High-Tech-Branche zeigten dem SPG-Experten Weltz, daß offensichtlich ein beachtliches Potential existiere, das, auf die Optionen der Technik angewandt, eine beträchtliche "Produktivkraft" darstelle. Diese Produktivkraft allerdings werde gegenwärtig Untersuchungen zufolge nur zu einem Bruchteil genutzt. Häufig "schlägt die Keule der Kompatibilität nicht nur die erforderlichen Schneisen für zukünftige Integration, sondern auch viel individuellen, nützlichen Ideenreichtum entzwei".

Sozialwissenschaftler Weltz resümiert: Als Ergebnis zeichnet sich eine enorme Verschwendung nicht nur von Investitionsmitteln ab, sondern vor allem von Kapital an Ideen, Motivation und bereits produzierten erfolgreichen Lösungen.

Produktivfaktor Kreativität

Integration und kreative Nutzer-Partizipation bisher getrennter Informationstechnik stehen an oberster Stelle auf dem Technologiefahrplan, will ein Unternehmen auf dem Markt künftig vorsprungorientiert handeln können. Dabei wird klar: Konzepte für das "Büro der Zukunft" gibt es nicht von der Stange. Beispiele, wie DV, Nachrichten- und Bürotechnik derzeit bereits mitarbeitergerecht zusammenwachsen, stellt der "4. Europäische Kongreß für Bürosysteme und Informations-Management" der COMPUTERWOCHE am 27. und 28. September in München vor.

Informationen: CW CSE, Rheinstraße 28, 8000 München 40,

Telefon 0 89/3 60 86-1 66, -1 69, Seminarorganisation Frau Susan Gotwalt.