Wiedig weg - reichlich spaet Dieter Eckbauer

21.01.1994

Nach dem Beispiel der IBM, die Louis Gerstner den Posten von John Akers anvertraute, besetzt Siemens den SNI-Chefsessel mit einem Externen: Gerhard Schulmeyer ersetzt Hans-Dieter Wiedig (Seite 1) - reichlich spaet, finden SNI-Kritiker. Das Urteil spricht gegen Wiedig, nicht fuer Schulmeyer. Dem ABB-Manager gelten Hoffnungen auf jene Internationalitaet, die dem SNI-Geschaeft abgeht - den Beweis muss Schulmeyer erst antreten. Dem gelernten Kaufmann Wiedig war von vornherein nicht zuzutrauen, die von Fusionswehen geplagte und verunsicherte SNI-Mannschaft motivieren zu koennen. Es gehoert zu den Besonderheiten der Siemens-Politik, Personalentscheidungen nicht zu Streitfragen werden zu lassen. Das mag in ruhigen Zeiten vernuenftig sein, der SNI-Situation war und ist es nicht angemessen.

Wiedig geht - was wird sich aendern? "Nichts kann toerichter sein, als falsche Erwartungen zu wecken", schrieben wir im Januar 1990 ueber die geplante Siemens-Nixdorf-Ehe. Angesprochen waren die Besorgnisse insbesondere der Nixdorf-Anwender, die einiges zu verlieren hatten. Nach vier Jahren haben es die SNI-Kunden immer noch mit einem Unternehmen zu tun, das zu sehr mit sich selbst beschaeftigt ist - die Verrenkungen beim Wiedig-Rueckzug sprechen dafuer -, als dass es ein Gespuer fuer die Veraenderungen des Anwenderverhaltens entwickeln koennte.

In seinem Abdankungsschreiben (Seite 6) zaehlt Wiedig den Preisverfall zu den Ursachen fuer die Branchenkrise. Das ist Unsinn, der die wahren Gruende vor den SNI-Mitarbeitern verschleiert. Der noch amtierende SNI-Chef weiss natuerlich, dass sich BS2000-Mainframes zu Listenpreisen nicht mehr verkaufen lassen. Die Anwender sind muendig geworden, ohne indes gleich einer No-Mainframe-Ideologie anzuhaengen - nur werden sie die Loyalitaet nicht mehr so weit treiben, die Angebote der Server-Hersteller auszuschlagen. Der Server im Enterprise-Netz kann auch ein 486-PC sein. Die SNI-Politik, dies die Konsequenz, muss geaendert werden - sichtbar und nachvollziehbar fuer Kunden und Mitarbeiter, ohne wehmuetigen Blick zurueck, ohne Schoenfaerberei ("BS2000 - Best Saver", wie eine SNI-Anzeige verkuendet), die kurze Beine hat.

Als Nur-Bewahrer kann SNI nicht gewinnen, das lehrt die juengere DV-Geschichte. Wer auf die Entwicklung hin zu netzwerkzentrierten Loesungen Einfluss nehmen will, muss etwas tun. Dazu gehoert die Vorstellung davon, was der Markt braucht, gleichbedeutend mit: was die Anwender wollen und fordern. Gemessen daran hat SNI, wie sich das Unternehmen etwa im Client-Server-Wettbewerb darstellt, keine Kontur. Eine klare Linie ist nicht erkennbar; man kooperiert auf nahezu allen Gebieten mit beinahe jedem; ein technologischer Mischmasch kommt heraus, der Vielfalt und Flexibilitaet vortaeuscht, in Wahrheit jedoch ohne Gehalt bleibt. Damit waere fuer den Wiedig- Nachfolger Schulmeyer der Weg vorgezeichnet: Eine SNI auf Erfolgskurs muss mehr von sich und den Anwendern verlangen - die guten alten BS2000-Zeiten sind vorbei. Wenn erst die Kunden reagieren, wird es fuer SNI zu spaet sein.