Richter gibt Zeit für weitere Beweisführung

Wieder etwas Hoffnung für Apple im Streit um die Mac-Oberfläche

22.05.1992

SAN FRANZISKO (CW) - Ein Fünkchen Hoffnung bleibt der Apple Computer Inc. im Rechtsstreit mit Microsoft und Hewlett-Packard um die Rechte an grafischen Benutzeroberflächen. Richter Vaughn Walker, der Mitte April dieses Jahres die Ansprüche von Apple in fast allen Punkten abgeschmettert hatte, gab sich selbst eine Bedenkzeit.

Nach dieser Eigenart der US-amerikanischen Rechtsprechung ("to reconsider") stellt ein Richter einen schon ergangenen Beschluß für 20 Tage - in diesem Fall ab 15. Mai 1992 - auf Eis und gibt Klägern wie Beklagten die Möglichkeit, weitere Argumente zur Beweisführung vorzubringen. Microsoft ist dem schon nachgekommen, HP hat zusätzliche Dokumente angekündigt.

Vor allen Dingen aber gewinnt Apple etwas Zeit, weiteres Material vorzulegen, das die eigenen Vorwürfe belegen könnte. Apple beansprucht Urheberrechtsschutz auf die Symbole der Macintosh-Oberfläche ebenso wie auf die Gesamtidee zur grafischen Anwenderschnittstelle. Das Unternehmen war gegen Microsoft und HP wegen unberechtigter Nutzung von Apple-Ideen in den Oberflächen Windows beziehungsweise Newwave gerichtlich vorgegangen und forderte eine Zahlung von insgesamt 5,6 Milliarden Dollar.

Debatte soll wieder versachlicht werden

Richter Walker hatte die Apple-Klage in allen wichtigen Punkten abgewiesen und dabei den Rechtsanwälten der Company vorgeworfen, die eigenständige und erstmalige Entwicklung der Benutzeroberfläche nicht belegt zu haben. Außerdem seien bestimmte Symbole, etwa der Papierkorb für zu löschende Dateien, naheliegend und damit nicht schutzwürdig (vergleiche CW Nr. 17 vom 24. April 1992, Seite 1 und 2).

Amerikanische Prozeßbeobachter rechnen aber kaum damit, daß der Richter seine Entscheidung grundlegend revidieren könnte.

Vielmehr ginge es Richter Walker wohl darum, die Debatte in dem Verfahren, in dem noch mehrere Runden vor Gericht anstehen, wieder zu versachlichen.

Auch möchte sich Walker nicht dem Vorwurf aussetzen, in diesem wichtigen Verfahren den Parteien zu wenige Möglichkeiten gegeben zu haben, ihre Positionen darzulegen. Bisher allerdings sieht der Richter keinen Anlaß zu einer Revision seiner ersten Entscheidung: "Das Gericht ist sehr versucht Apples Ansprüche in vollem Umfang zurückzuweisen, und ich glaube, mich auf sicherem rechtlichen Boden zu bewegen, wenn ich so urteile."