Unschlagbarer Klassiker

Wie sich der analoge Kinofilm gegen den Untergang stemmt

05.05.2008
Von Handelsblatt 
Totgesagte leben länger - vor allem in Hollywood: Trotz Digitalisierung werden auch heute noch die meisten Kinofilme auf Celluloid gebannt.

Als Kai Langner vor drei Jahren bei der Stuttgarter Tochter zum Geschäftsführer von Kodak Entertainment Imaging berufen wurde, fragte sich mancher, ob diese Position Zukunft hat. Handys mit eingebauten Kameras, Videoplattformen wie Youtube im Internet, Digitaldruck: Die Revolution war längst vollzogen. Auf den ersten Blick gab es keine besonders guten Zukunftsperspektiven für Langner und das analoge Kerngeschäft von Kodak. Inzwischen ist die Skepsis verflogen. Das weltweite Absatzvolumen für 16- und 35-Millimeter-Aufnahmefilme ist seit 2002 um fünf Prozent gestiegen. Die analoge Technik hat sich behauptet - auch weil Filmproduktionen auf den Einsatz von klassischem Filmmaterial nicht verzichten wollen und können.

Es gibt sogar noch Innovationen: Die Vision2-Filmplattform zum Beispiel - ein Farb-Negativfilm, der in diesem Jahre mit einem Technik-Oscar prämiert wurde, weil er einen Durchbruch in Sachen Filmgeschwindigkeit, Lichtempfindlichkeit, Korn und Schärfe und dadurch Bildqualität gebracht habe, wie die Jury ihre Wahl begründet. Und es geht weiter. Auf der Berlinale präsentierte Kodak mit dem "Vision3 500T-Negativfilm" eine Film-Emulsion mit noch dünneren Schichten. Das Material verspricht mehr Belichtungsspielraum, verbesserte Farbnuancierung und eine deutlich reduzierte Kornstruktur.

Bei der Ausstattung von Kinofilmen sieht sich das Unternehmen sogar vor dem Wettbewerber Fuji. Den Markt für Kinofilm-Massenkopien teilen sich beide mit Agfa. "Nahezu alle Premium-Serien und Event-Movies werden auf Film gedreht", sagt Langner, der für den deutschen Markt "eine stabile Mengenentwicklung" voraussagt. Ein Hauptargument für den analogen Film ist seine Lagersicherheit. Die begrenzte Lebensdauer von Festplatten konnte gegenüber der in 100 Jahren erwiesenen Haltbarkeit von Filmmaterial bisher nicht überzeugen.

Bei ihren wertvollen Filmbibliotheken mit teilweise über 100 Millionen Dollar teuren Werken gehen die Studios, wie der Münchener Constantin Film, keinen Kompromiss ein. Allerdings setzen sie zum Teil zusätzlich elektronische Speicher ein, um Erfahrungen zu sammeln. So paradox es auch klingen mag: Für das digitale Kino ist diese Beharrungskraft der analogen Technik ein deutliches Plus. Denn die elektronische Bearbeitungskette verlangt immer höhere Eingangsqualität, da bei der digitalen Projektion im Kino sichtbar mehr Qualität ankommt als bei 35-Millimeter-Massenkopien. Um beide Welten ohne Qualitätsverlust zu verbinden, setzt beispielsweise Kodak auf hybride Technik. Darunter befindet sich eine Software, die beim Einscannen von Filmmaterial automatisch Staub und Kratzer entfernt und so die digitale Bearbeitung ermöglicht.

Verkehrte Welten? Treiben nicht gerade die gleichen amerikanischen Studios, die noch auf die analoge 35-Millimeter-Aufnahmetechnik setzen, die Digitalisierung des Kinos voran? Die Erklärung ist einfach. Bei Filmbearbeitung, Distribution und Abspiel ist die Digitalisierung wirtschaftlich und qualitativ sinnvoll. Die Aufnahme- und Archivtechnik für Kinofilme steckt im digitalen Bereich in einer frühen Phase, die einen radikalen Schwenk verhindert.

Zwar gibt es Anbieter, die erste hochauflösende digitale Kinofilmkameras anbieten. Doch in einer Branche, in der Qualität und Verlässlichkeit bei teuren Filmen erstes Gebot ist, verlassen sich die Produzenten auf die Weltmarktführer Arri aus München und die amerikanische Panavision. Für die Anforderungen der großen Leinwand sehen beide noch Entwicklungsbedarf. Hinzu kommt, dass viele Regisseure und Kameraleute auf herkömmliches Filmmaterial schwören, was die Münchener Bavaria gerade bewogen hat, ihren Leihpark mit analogen Filmkameras neu aufzurüsten.

Das zeigt: Totgesagte leben länger. Film als Aufnahmematerial sei in den nächsten zehn Jahren "unverzichtbar", sagt Martin Moszkowicz, Produktionsvorstand von Constantin Film in München. Er ist einer der größten deutschen Rohfilm-Einkäufer. Digitale Produktionstechnik nutzt das Unternehmen dort, wo Special-Effect-Szenen gefragt sind - wie bei der Produktion des Horrorfilms "Resident Evil". Solche Szenen könne die digitale Postproduktion ohne Bruch verarbeiten.

Sollten eines Tages keine Filmkopien mehr durch die Projektoren rattern, wird der Kodak-Konzern trotzdem im Kino präsent sein. Neben Digital-Projektoren wurde ein komplettes Kino-Content-Management-System entwickelt, über das auch alternative Attraktionen, wie Sport- und Live-Großereignisse, neben den Filmen auf die Kinoleinwand finden. Gerade verkündete Kodak stolz, dass in dem hart umkämpften Markt bereits 2000 seiner Digital Cinema Lösungen in 14 Ländern im Einsatz sind. Zu den Wettbewerbern zählen Sony und Spezialanbieter wie der international agierende Kinoausrüster Kinoton aus München.