Wie sich Beziehungen rechnen

09.01.2007
Von Sabrina Uthe 
Auf der Suche nach strategischen Wachstumsoptionen nehmen die Geschäftsleitungen die Kunden - und hier vor allem die "wertvollen Kunden" - immer mehr ins Visier.
Wichtig ist es, die Verteilung des Kundenwertes zu analysieren.
Wichtig ist es, die Verteilung des Kundenwertes zu analysieren.

Bekannt ist mittlerweile, dass der Unternehmenswert nicht nur durch den Substanzwert bestimmt wird: Anlage- und Umlaufvermögen sowie stille Reserven machen nur einen Teil davon aus. Der Ertragswert, also der Wert der künftig zu erwartenden Erträge, ist eine ebenso wichtige Steuergröße, die maßgeblich von der Möglichkeit bestimmt wird, den "Share of Wallet" bestehender und künftiger Kundenbeziehungen zu steigern.

Die Betrachtung des Kundenwerts ist vor allem in den Branchen wichtig, in denen der Buchwert wesentlich geringer ist als der Ertragswert, wie in der IT, der Telekommunikation und bei Finanzdienstleistern. Auch der Einzelhandel, insbesondere Kauf- und Warenhäuser, Drogerien und Parfümerien sowie seit neuestem Apotheken, beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, ihre Kunden nach dem Wert zu segmentieren und über segmentspezifische Ansprache einerseits den Share of Wallet zu steigern und andererseits die kundenbezogenen Kosten möglichst gering zu halten.

Wachstumsmotor

Der Kundenwert (Customer Equity) ist eine wirtschaftliche Kundenlebenszeitbetrachtung, bei der quantitative und qualitative Kriterien im Mittelpunkt stehen. Der Kundenwert bezeichnet den aktuellen und den künftigen Beitrag von Kunden oder Segmenten zum Erfolg des Unternehmens. Entsprechende Bewertungen zur Selektion von aktuellen und potenziellen Kunden stützen sich dabei auf qualitative Kriterien, wie beispielsweise Umsatz- und Ertragspotenzial, sowie auf qualitative Kriterien, wie etwa Loyalität und Referenzwirkung.

Nicht jeder Kunde ist für ein Unternehmen gleich viel wert. In jedem Kundenstamm gibt es Kunden, für die mehr Geld für Beziehungspflege ausgegeben wird, als an ihnen verdient wird. Um diesen unerfreulichen Zustand zu verbessern, müssen Kundenbeziehungen regelmäßig auf den Prüfstand mit dem Ziel, sie profitabel auf- und auszubauen.

Kundenwert-Management schafft die notwendigen Voraussetzungen, um den Marketing-Mix individuell an den Kundensegmenten auszurichten. Produkte, Services, Kommunikation und Preise werden bedarfsorientiert und wertorientiert gestaltet. Welche Vertriebskanäle, Marketing-Maßnahmen und Servicekonzepte dann für das Segment bereitstehen, hängt von der Attraktivität der Kundengruppe ab.

Zur Ermittlung des Kundenwertes werden verschiedene Verfahren eingesetzt:

Verbreitet ist die ABC-Analyse nach Umsatz, bei der die Kunden nach der Pareto-Regel eingeteilt werden: Die 20 Prozent der umsatzstärksten Kunden sind A-Kunden, die 20 Prozent der umsatzschwächsten Kunden sind C-Kunden, der Rest sind B-Kunden. Der Umsatz ist aber als alleinige Kennzahl ungeeignet, da er vergangenheitsbezogen ist und wichtige Elemente des Kundenwertes vernachlässigt.

Aufschlussreicher ist die ABC-Analyse, wenn auch die Kundenrentabilität, gemessen am Kundendeckungsbeitrag, als Kennzahl hinzugezogen wird. In diesem Kontext sollte auch die Kundenzufriedenheit analysiert werden, denn ein ertragreicher, aber unzufriedener Kunde ist aufgrund der Abwanderungsgefahr wesentlich weniger wertvoll als ein loyaler Kunde.

Beim Customer-Lifetime-Ansatz (CLA) wird nach einer Kapitalwertberechnung für die Perioden eines Kundenlebens die Profitabilität der Geschäftsbeziehung berechnet. Auch hier ist ein Zusammenhang zwischen Kundenwert und Kundenzufriedenheit erkennbar. Der CLA-Ansatz eignet sich besonders gut zur Bewertung längerfristiger Geschäftsbeziehungen, wie sie etwa im Automobilhandel oder im Maschinenbau üblich sind.

Scoring-Modelle vergeben für unternehmensspezifisch ausgewählte Kundenwertparameter Punktwerte, die gewichtet und bewertet zur Kundeneinteilung herangezogen werden. Dieses Modell betrachtet nicht nur den Kundenwert aus vergangenheitsorientierten Parametern wie Umsatz, Gewinn, Zahlungsverhalten, Lieferanteil, Kauffrequenz und Kaufwert. Es kann auch zukunftsgerichtete Werte und weiche Faktoren in die Betrachtung einbeziehen. Das Informations- und Innovationspotenzial kann ebenso berücksichtigt werden wie die Zahlungsbereitschaft, das Referenzpotenzial und das Cross- und Upselling-Potenzial. Diese Methode ist wegen der Auswahl der individuellen Wertindikatoren sowie der Gewichtung und Bewertung relativ aufwendig, liefert dafür aber sehr zuverlässige Ergebnisse.

Für den RFMR-Ansatz werden die Parameter Recency (Aktualität des letzen Kaufs), Frequency (Häufigkeit des Einkaufs) und Monetary Ratio (Kaufwert) herangezogen, um den Kundenwert zu ermitteln. Dieser Ansatz ist im Handel recht weit verbreitet.

Am umfassendsten ist die Kundenpotenzialbewertung, eine Kombination aus Scoring-Modell und Portfolioanalyse. Der im Scoring ermittelte Kundenwert kann in Beziehung zu unterschiedlichen Analysedimensionen gesetzt werden, etwa zum relativen Lieferanteil (Share of Wallet) oder zur Kundenzufriedenheit.

Aufwendig, aber genau

Um den Kundenwert bestimmen zu können, bedarf es einer Vielzahl von Informationen. Kundenwert-Management funktioniert nur, wenn der Wert der Kunden zuverlässig ermittelt werden kann. Das heißt: Aktuelle Informationen über die Kunden und ihr Kaufverhalten müssen so miteinander verknüpft werden können, dass daraus eine umfassende Kenntnis des Kunden beziehungsweise des Kundensegments resultiert. Vorreiter in Sachen "Customer Intelligence" sind diejenigen Unternehmen, die kontinuierlich in CRM-Strategien und ihre operative Nutzung investiert haben. Insbesondere bei Banken, Versicherungen und im Handel gibt es bereits langjährige Erfahrungen im Kundenwert-Management.

Während die Data-Warehouses der Finanzdienstleister aufgrund der branchenspezifisch langfristigen Kundenbeziehungen gut gefüllt sind, setzt der Handel auf Informationen, die er aus Kundenkartenprogrammen erhält. Wichtige Informationsquellen sind zum Beispiel Warenwirtschaftssysteme, Kundendatenbanken, Kassensysteme, Daten aus Kundenbindungsprogrammen und aus der Kundenkartennutzung, Service- und Beschwerdedatenbanken, Kundenbefragungen, Fokusgruppen und Kundenforen, Gespräche mit Mitarbeitern aus Vertrieb, Service und Marketing, Branchenberichte und Studien sowie Marktforschungsdaten.

Dabei sollten Unternehmen mit wenigen, überschaubaren Hebeln beginnen und erste Erfahrungen mit dem Kundenwert-Management sammeln. Mit klar definierten, überschaubaren Etappenzielen kann dann die Komplexität nach und nach gesteigert werden. Prinzipiell gilt: Je mehr Daten und Informationen in das Kundenwert-Management einfließen, desto genauer sind die abgeleiteten Ergebnisse.

Kosten und Nutzen im Blick behalten

Kundenwertanalysen tragen in jedem Fall dazu bei, die Kunden und ihren Wert besser kennen zu lernen. Dieses Wissen ist notwendig, wenn Unternehmen gezieltes, erfolgreiches und somit kosten- und ressourcenschonendes Marketing betreiben möchten. Kundenwert-Management hilft dabei, die Kundenbasis nach Werthaltigkeit der Kundenbeziehung (heute/morgen) zu segmentieren. Maßgeschneiderte, kundengerechte Angebote leisten einen Beitrag zu mehr Kundenzufriedenheit und größerer Kaufbereitschaft. Trotzdem werden Marketing- und Vertriebskosten eingespart. Anstatt, wie bisher vielfach geschehen, Marketing mit der Gießkanne zu betreiben, wird der Kommunikations-Mix auf Basis des Kundenwerts zielgruppengenau orchestriert.

Nicht jeder Kunde darf König sein

Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, dass es nicht jeder Kunde oder jedes Kundensegment verdient (und erwartet), königlich behandelt zu werden. Die Kundenwertanalyse bringt es ans Licht: Erfahrungswerte zeigen, dass 40 Prozent der Kunden so hohe Kosten verursachen, dass die Margen aus dem Verkauf schnell wieder aufgezehrt werden. Nur rund 60 Prozent der Kunden tragen überhaupt zum Unternehmensgewinn bei.

Eine Kundenwertanalyse funktioniert nur, wenn sie als dynamisches System verstanden wird, das in die Zukunft gerichtet ist.

*Sabrina Uthe ist Business Unit Manager der namics (deutschland) gmbh in München und Partnerin der BRAICONN Deutschland.