Branchen Regatta begibt sich in offenes Fahrwasser

Wie Pressesprecher die Situation der Computerindustrie sehen

10.01.1992

"Völlige Umkehr aller Werte, dramatischer Absturz im PC-Bereich, Preise wie auf dem Fischmarkt, Fusionen, Kooperationen, Verbrüderung ehemaliger Erzfeinde als letzte Rettung, nicht zuletzt schmerzhafte Operationen im Bereich Personal allerorten - das alles ist ganz klar auch eine Überlebensfrage." Als wir von einigen DV-Herstellern wissen wollten, welches für sie das wichtigste Ereignis des DV-Jahres 1991 gewesen sei, hatten wir nicht mit derart offenen Statements gerechnet. Denn Gabriele Weyher, Pressesprecherin der Olivetti Systems & Networks GmbH in Frankfurt, steht mit ihrer Meinung nicht allein da. Nichts wird beschönigt. Da tragen für Peter Dörntlein von Philips "Kooperationen eher zur Verunsicherung bei", entwickelt sich die Daten- und Informationstechnik für Siemens-Sprecher Jochen Doering zu einer "normalen Branche". Jörg-Michael Pläsker von Bull kann der Situation aber auch eine gute Seite abgewinnen: "Für eine ganze Reihe von Anbietern ist dies die Chance, sich aus dem Windschatten bislang dominierender Hersteller zu lösen."

Jörg-Michael Pläsker, Bull AG, Köln:

Das Jahr 1991 wird vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil es den Beginn einer neuen Ära für die Informationstechnik-Branche markiert. Die "Branchen-Regatta" hat 1991 eine entscheidende Wendemarke erreicht und sich ins offene Fahrwasser begeben. Für eine ganze Reihe von Anbietern ist dies die Chance, sich aus dem Windschatten bislang marktdominierender Hersteller zu lösen und - mit Geschick, Erfahrung und Wendigkeit - neuen Ufern zuzustreben.

Dabei werden sie auch die zu erwartende stürmische See beziehungsweise die eine oder andere Flaute nicht von ihrem Erfolgskurs abbringen - wenn sie ihr Ziel nicht aus dem Auge verlieren und es konsequent ansteuern.

Auf unsere Branche übertragen, lautet spätestens seit 1991 die Anforderung, sich am wirklichen Bedarf der Anwender zu orientieren. Erst wenn diesen ein gleitender Übergang von ihrer proprietären in eine weitgehend offene Lösungswelt möglich ist, werden sie bereit sein, das manchmal wohl etwas undurchsichtige Treiben der Anbieter als dankbares Publikum - besser noch: als echte Partner - zu honorieren. Diesem Hauptziel müssen sich alle erforderlichen Maßnahmen der gewandelten Branche - zum Beispiel Allianzen, Kooperationen, Dienstleistungsorientierung etc. - unterordnen.

Peter Dörntlein, Philips Kommunikations Industrie AG, Nürnberg:

In keinem Jahr zuvor waren die Meldungen aus der Computerbranche so unterschiedlich wie 1991. Phantastische Erfolgsberichte standen einträglich neben sensationellen Meldungen über rote Zahlen und notwendigen Personalabbau. Kooperationen aller Art, von denen ja auch Sie in jeder Ausgabe berichten, trugen eher zur Verunsicherung als zum besseren Verständnis über das "Wohin?" der Branche bei.

Wenn ein großes Unternehmen wie Philips Pläne bekanntgibt, sich aus diesem Segment zurückzuziehen, dann ist dies sicherlich auch ein Warnsignal.

Aber zuallererst weckt ein derartiges Unterfangen Betroffenheit. Denn immerhin ging es um rund 7000 Arbeitsplätze. Und deshalb ist für mich - rückblickend - die erfolgreiche Übernahme dieser Mitarbeiter durch die amerikanische Digital Equipment Corporation das wichtigste Ereignis gewesen.

Jochen Doering, Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG, München:

Für das Jahr 1991, denke ich, wird als besonders bemerkenswert in Erinnerung bleiben, daß die Branche der Daten- und Informationstechnik sich weltweit offensichtlich zu einer "normalen" Branche entwickelt hat, in der es - wie in jeder anderen Branche auch - Konjunkturzyklen gibt. Hätte jemand vor ein oder zwei Jahren vorhergesagt, daß es bei den größten Zehn derartige Umsatz- und Ertragseinbrüche geben würde, wäre er als weltfremd angesehen worden.

Jochen Rössner, Unisys Deutschland GmbH, Sulzbach:

Ich halte das Geschehen um IBM im Jahre 1991 für ein besonders wichtiges Ereignis. Dazu gehören die Kooperationen, aber vielmehr noch die begonnene Umstrukturierung und die damit einhergehenden personellen Veränderungen, die zum großen Teil doch sehr überraschend waren. In Verbindung mit dem bereits durchgeführten und auch für das kommende Jahr noch geplanten starkem Personalabbau zeigt das meines Erachtens deutlich, wie stark die Computerbranche "gebeutelt" wird. Umstrukturierung und "Rightsizing" scheinen jetzt die geeigneten Maßnahmen zu sein, um wieder zu einer "gesunden" Geschäftsbasis zu kommen.

Gabriele Weyher, Olivetti Systems & Networks GmbH, Frankfurt/M.:

Das wichtigste Ereignis des DV-Jahres '91 war für mich nicht ein Ereignis, sondern eine ganze Lawine von Ereignissen: völlige Umkehr aller Werte, dramatischer Absturz im PC-Bereich, Preise wie auf dem Fischmarkt, Fusionen, Kooperationen (vor dem Hintergrund des Streits IBM/Microsoft), Verbrüderung ehemaliger Erzfeinde als letzte Rettung, nicht zuletzt schmerzhafte Operationen im Bereich Personal allerorten - das alles ist ganz klar auch eine Überlebensfrage.

Theresia Wermelskirchen, Digital Equipment GmbH, München:

Das Ereignis des Jahres 1991 im DV-Bereich ist für mich die Gründung der ACE-Initiative. Mit inzwischen über 200 Mitgliedern bedeutet diese Gründung einen großen Schritt zu offenen Systemen.

Ich bin der Überzeugung, daß es die Initiative schafft, den PC-und den Workstation-Markt zu einem Desktop-Markt zu vereinigen. In einigen Jahren wird der Anwender hoffentlich ACE-kompatible Software von der Stange kaufen können, wie es jetzt schon bei MS-DOS-Software möglich ist.

Marion Soceanu, NEC Deutschland GmbH, München:

Zu einem der wichtigsten Ereignisse des DV-Jahres 1991 zähle ich die Nachricht, daß jetzt nach einer von der IBM in Auftrag gegebenen Umfrage die Mehrheit der Deutschen beruflich lieber mit als ohne Computer arbeitet. Dieses positive Ergebnis kann meines Erachtens ursächlich nur mit dem zweiten wichtigsten Ereignis desselben Jahres zusammenhängen, nämlich daß die NEC Deutschland GmbH seit April '91 mit PCs auf dem Markt ist.

Egbert Dozekal, VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V., Frankfurt/M.:

Für mich war die Schließung des Robotron Büromaschinenwerks in Sömmerda durch die Treuhand von zentraler Bedeutung, weil hier viele Aufbruchshoffnungen und eine lange Büromaschinen-Tradition ihr jähes Ende finden.