Wie Newcomer die Selbständigkeit meistern

15.10.2003
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Immer mehr IT-Profis nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und machen sich der schwierigen Marktlage zum Trotz selbständig. Gleichzeitig steigt die Zahl der Insolvenzen an. Die CW befragte Neu-Unternehmer, wie sie das schwierige erste Jahr gemeistert haben.

Die jüngsten Zahlen des Statistichen Bundesamtes spiegeln die schwierige Situation für Existenzgründer wider: Im ersten Halbjahr 2003 mussten knapp 20000 Unternehmen und knapp 2000 selbständig Tätige Insolvenz anmelden. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das einen Anstieg um neun Prozent bei den Unternehmen und von über 15 Prozent bei den Selbständigen. Rolf Kurz, Präsident des Bundesverbandes der Selbständigen, spricht von einer "dramatischen Lage" und macht die zu hohen Steuer- und Abgabenlasten, das Übermaß an Bürokratie sowie die zu starren Regelungen im Arbeitsrecht für die Misere verantwortlich.

Mit Jammern über die schlechten Rahmenbedingungen halten sich indes die von der COMPUTERWOCHE befragten IT-Gründer nicht auf, haben sie doch alle Hände voll zu tun, um das erste Jahr zu überstehen. Thomas Gille etwa arbeitete die vergangenen zwölf Jahre in der privaten Telekommunikationsindustrie und baute unter anderem für Unternehmen wie Otelo und Mannesmann Arcor die Netzwerkkontrollzentren auf. Als sein letzter Arbeitgeber Equant von France Télécom übernommen wurde, musste er wie viele andere Kollegen den Schreibtisch räumen.

Gille nutzte die Zeit für ein betriebswirtschaftliches Aufbaustudium und wollte sich parallel dazu als Berater für die TK-Branche selbständig machen. Bald musste der 37-Jährige erkennen, dass die Nachfrage hinter seinen Erwartungen zurückblieb. Darum suchte er für seine neu gegründete Firma TCG Group ein zweites Standbein. Nach ausführlicher Marktanalyse kam Gille auf die Idee, eine Internet-Plattform für den Mittelstand aufzuziehen: "Es gibt mehr als drei Millionen Unternehmen in Deutschland, aber nur 130 000 von ihnen sind in bestehenden Diensten wie den Gelben Seiten abgebildet."

Seine Idee des virtuellen Branchenbuchs hat Gille inzwischen verwirklicht, nachdem er Angebote und Preise der Konkurrenz analysiert hat. "Ich habe die Inhalte der bestehenden Angebote zusammengeführt, mit zusätzlichen Services ergänzt und darauf geachtet, dass meine Preise unter denen der Konkurrenten liegen." Auf seiner Plattform www.geschaeftswelt.info stellen sich Unternehmen mit einem kurzen Porträt vor, vermarkten ihre Produkte und Dienstleistungen über einen angegliederten Online-Shop und haben auch die Möglichkeit, Stellenanzeigen zu schalten.

Projekte vorher akquirieren

Wie wichtig neben einer durchdachten Idee Marktkenntnis und einschlägige Berufserfahrung sind, bestätigt auch Klaus Anschütz: "Aufträge erhält man nicht nur über den Preis, sondern auch über die Erfahrung. Die Kunden fragen nach Referenzen, wollen sie doch sichergehen, dass das Ergebnis stimmt." Der IT-Berater mit Spezialgebiet ERP-Software arbeitete seit 15 Jahren in der Branche, bevor er vor einem Jahr den Sprung in die Selbständigkeit wagte: "Durch meine alten Kontakte hatte ich aber schon zwei Projekte und den Umsatz für die ersten sechs Monate in Aussicht, sonst wäre mir das Risiko zu groß gewesen."

Weitere finanzielle Sicherheit boten das staatliche Überbrückungsgeld und ein Förderdarlehen der Sparkasse. Letzteres hat Anschütz seiner Ansicht nach vor allem der Unterstützung durch einen Existenzgründerberater sowie dem Umstand zu verdanken, dass er mit "Vionis" ein Nachfolgeprodukt für die eingestellte "Comet"-Software vertreibe und es viele Comet-Anwender gebe, die irgendwann umsteigen müssten. "Gewöhnlich sind die Banken mit Krediten für Existenzgründer sehr zurückhaltend, besonders wenn die Geschäftsidee mit Software zu tun hat", so Anschütz.

Damit die Gründung gelingt, ist nicht nur Geld, sondern auch Verkaufsgeschick gefordert. In diesem Punkt überschätzen sich aber viele IT-Selbständige, weiß Thomas Kleibömer: "Die meisten Gründer fangen an und fragen sich dann, wie sie ihre Produkte oder Dienstleistungen an den Mann bringen. Das ist ein entscheidender Fehler." Entwickler sollten sich idealerweise mit einem Vertriebsmann zusammenschließen. Für Sales-Profi Kleibömer ist diese Rechnung aufgegangen: Zwei Jahre nach der Insolvenz seines alten Arbeitgebers beschäftigt seine Firma Com 2 GmbH bereits elf Mitarbeiter und wächst weiter - langsam, aber ohne auf fremdes Kapital zurückgreifen zu müssen.