Wie misst man Führungsqualität?

13.01.2005
Von Von Edgar
Die Führungsqualität der Entscheider wirkt sich stark auf den Unternehmenserfolg aus. Dennoch gibt es nur wenige Ansatzpunkte, wie sich diese Qualität messen und entwickeln lässt.

Die Leistung von Führungskräften zu erfassen steht heute bei vielen Personalentwicklern ganz oben auf der Tagesordnung. Sie sollen Kriterien zur Überprüfung (Key Performance Indicators) entwickeln sowie das Personal-Management so gestalten, dass sich die Führungsqualität entfalten kann.

Für diesen Trend gibt es verschiedene Gründe: Zum einen hat sich im Zug der Globalisierung der Wettbewerbsdruck erheblich verstärkt, der sich auch im "War for Talents" zeigt. Die richtigen Entscheider in die richtigen Positionen zu bringen wird für die Unternehmen zur existenziellen Notwendigkeit. Zum anderen weitet sich die Diskussion um die Bewertung von Humankapital aus. Von allen Unternehmenssektoren wird ein Nachweis darüber gefordert, welchen Beitrag sie zum Unternehmenswert beisteuern. Vor diesem Hintergrund wird auch die Messbarkeit von Führungsleistung aktuell. Hinzu kommt die wachsende öffentliche Kritik an Management-Fehlleistungen, wie sie in der Auseinandersetzung um die schweren Krisen bei Karstadt-Quelle oder Opel sichtbar wurde. Hier musste das Management herbe Kritik einstecken.

Dass die Performance der Entscheider die Realisierung von Business-Zielen maßgeblich beeinflusst, wird von zahlreichen Studien bestätigt, etwa in der 2004 publizierten Untersuchung "Double-Digit Growth and Leadership" des US-amerikanischen HR-Outsourcing-Unternehmens Hewitt Associates. Ebenso offensichtlich ist die Korrelation zwischen einer positiven Unternehmens-Performance und einer zielgerichteten Entwicklung von Führungskräften.

Vage Maßstäbe für Beurteilung

Was aber ist unter "Führungsqualität" zu verstehen? Der oft als Übersetzung des amerikanischen "Leadership" verwendete Begriff ist mit Emotionen behaftet: Viele denken dabei an Personen, die sich durch ein mehr oder minder großes Maß an Genialität vom Fußvolk abheben, das sie für ihre kühnen Visionen meisterhaft zu begeistern verstehen. Noch immer gehören Bücher wie "Was zählt" vom früheren General-Electric-CEO Jack Welch oder die Autobiografie des ehemaligen Ford-Chefs Lee Iacocca zur bevorzugten Manager-Lektüre, und es ist kein Zufall, dass Getabstract, der größte Anbieter von Buchzusammenfassungen der Wirtschaftsliteratur, mehrere Biografien von Alexander dem Großen in sein Programm aufgenommen hat.

Unternehmerisches Handeln wird nicht nur in eher unterhaltsamen anekdotischen Darstellungen als Ergebnis geheimnisvoller Eigenschaften außergewöhnlicher Persönlichkeiten verstanden. Die Sichtweise ist allerdings nicht unumstritten. "There is no effective persona-lity", behauptete etwa Management-Theoretiker Peter Drucker bereits 1996 in seinem Buch "The Effective Executive" und belegte seine These mit einer Reihe von erfolgreichen Führungskräften, die sich in allen möglichen Persönlichkeitsmerkmalen unterschieden. Nur eine Fähigkeit sei ihnen gemeinsam: Das Richtige zu tun.

Was sollen Entscheider machen - außer dafür zu sorgen, dass der Shareholdervalue steigt? Robert Kaplan und David Norton etwa, die Begründer der Balanced Scorecard, eines Management-Systems zur strategischen Verwertung von Kennzahlen, behaupten in ihrer Darstellung der "strategiefokussierten Organisation", dass die Fähigkeit zur Umsetzung einer Unternehmensstrategie im Grunde wichtiger ist als die Qualität der Strategie an sich. Dies schlossen sie aus einer Befragung von 275 Vermögensverwaltern.

Was zählt also mehr: "Management" oder "Leadership"? Konträre Positionen lassen sich hier schnell erkennen. Für John Adair etwa, den Gründer des Centre for Leadership Studies an der britischen University of Exeter, sind dies zwei scharf voneinander getrennte Dinge. So schreibt er in seinem Klassiker "Not Bosses but Leaders", dass Managern die "wenig inspirierende Aufgabe" zufalle, sich um die Verteilung von Ressourcen zu kümmern, während Führungskräfte Teams formierten und führten.

Andere hingegen, wie der Schweizer Unternehmensberater Fredmund Malik, halten diese strikte Trennung für fragwürdig und die Auffassung, dass Organisationen "Leader" statt Manager benötigten, schlichtweg für eine Irrlehre. Für Malik ist wirksame Führung und Management erlernbar - indem Aufgaben klar definiert, Grundsätze eingehalten und bestimmte Instrumente eingesetzt würden.

Der Streit der Theoretiker kann Unternehmen insofern kalt lassen, als "die ideale Führungskraft" ohnehin eine Illusion ist. Die spezifischen Grundwerte und die daraus abgeleiteten Schlüsselkompetenzen die fast alle Großunternehmen für sich benannt haben, weichen beträchtlich voneinander ab.

Assessment Center helfen kaum weiter

Dafür reicht ein Abgleich mit Budget- oder Geschäftszahlen nicht aus. Die Unternehmensbilanz oder der Börsenkurs beschreibt höchstens die Gesamtleistung des Unternehmens und damit der gesamten Belegschaft - der individuelle Beitrag einzelner Führungskräfte lässt sich so kaum feststellen. Ebensowenig ist daraus Orientierung für eine differenzierte Entwicklung der Führungskräfte zu gewinnen.

Ein wichtiges Instrument sind Anforderungsprofile, die mit den tatsächlichen Kompetenzen der Betreffenden abgeglichen werden. Dabei helfen Assessment-Center allerdings wenig. Sie liefern zwar Hinweise auf potenzielle Verhaltensweisen und soziale Kompetenzen, sagen aber nichts über die für das Unternehmen tatsächlich erbrachten Leistungen aus. Zur Auswahl von Bewerbern, die erstmalig eine Führungsposition bekleiden sollen, sind sie sinnvoll. Bei der Einschätzung von Managern, die ihr Können bereits unter Beweis stellen konnten, wirken Simulationsspiele jedoch eher skurril.

Persönlichkeit zählt ebenfalls

Ein anderer Ansatz liegt einem Tool zugrunde, das an der Ergo Management Akademie entwickelt wurde. Das "Leadership Asset System" (LAS), das in Entwicklungsprogrammen für Führungskräfte des Versicherungskonzerns eingesetzt wird, unterscheidet drei Kategorien von Parametern, denen ein kritischer Einfluss auf Führungsleistungen zugeschrieben wird und die von den Unternehmenswerten und -zielen abgeleitet sind: Persönlichkeitsfaktoren und operative Aktivitäten, die in einem 360-Grad-Feedback erfasst werden sollen, sowie strategische Aktivitäten, die Gegenstand eines eingehenden Interviews sind. Die Parameter der unterschiedlichen Kategorien werden aufeinander bezogen: Strategische Aktivitäten werden auf die praktische Umsetzung hin überprüft. Bei Persönlichkeitsfaktoren wie beispielsweise Ziel- und Mitarbeiterorientierung wird festgestellt, ob sie sich im praktischen Verhalten des Betreffenden tatsächlich manifestieren. Im Vordergrund stehen hier nicht die persönlichen Eigenschaften an sich, deren Stellenwert erheblich relativiert wird, sondern der "Leadership Personality Output".

Das Tool ist komplex, kommt allerdings vereinfacht und auf den jeweiligen Unternehmensbereich zugeschnitten zum Einsatz. Es umfasst insgesamt etwa 100 strategische und 180 operative Führungsaktivitäten, die zehn Performance-Bereiche wie etwa Personal, Finanzen, Steuerungsverfahren, Lieferanten und Vertrieb zugeordnet sind. Übergeordnete persönliche Merkmale werden facettenartig in eine Vielzahl konkreter Eigenschaften aufgefächert: Zur Zielorientierung zählen beispielsweise Ausdauer, Eigenständigkeit, Entscheidungsstärke, vorausschauendes Handeln und die Fähigkeit, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren.

Grenzen der Messbarkeit

Dem Anspruch, die Qualität von Führung ganz messbar zu machen, schlägt in den Unternehmen eine erhebliche Skepsis entgegen. Sie beruht zum Teil auf einem Gefühl, das sich am besten mit den Worten des Personalberaters Reinhard Sprenger wiedergeben lässt: "Wer viel misst, misst viel Mist." Sie hängt aber auch mit der Auffassung zusammen, dass Führung eine Kunst ist, für die besondere Grundsätze gelten. Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Conti AG, vertritt die Meinung, dass Führung nicht erlernt werden kann, sondern "Leidenschaft und Charakter" entscheidende Erfolgsmerkmale sind.

Dennoch könnten sich in Zukunft Messinstrumente wie das LAS zu standardisierten Diagnose-Instrumenten entwickeln, selbst wenn ihre Wirkung nicht überschätzt werden soll. Ist etwa die Feedback-Kultur eines Unternehmens unterentwickelt, kommt Befragungen nur eine beschränkte Validität zu, so ausgeklügelt die dabei verwendeten Fragebögen auch sein mögen. Fragwürdig werden sie dann, wenn daran keine Konsequenzen gekoppelt sind.

Ein ideales Szenario wäre: Führungskräfte werden von geschulten externen Beobachtern begleitet und bewertet. Mit objektiven Kriterien wird überzeugend nachgewiesen, wie sich ihre Leistung im Unternehmensergebnis abbildet. Auf dieser Basis wird die Höhe ihrer Vergütung festgelegt. Davon lässt sich zurzeit jedoch nur träumen: Der Aufwand wäre zu hoch, und die gewünschten Kriterien sind bislang noch nicht entdeckt. (iw)