Interaction Room

Wie IT- und Fachabteilung kontrolliert agil entwickeln

21.09.2016
Von 
Prof. Dr. Volker Gruhn ist Mitgründer und Aufsichtsratsvorsitzender der adesso AG. Außerdem hat er den Lehrstuhl für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen inne. Gruhn forscht unter anderem über mobile Anwendungen und Cyber-Physical Systems.
Agile Software-Entwicklung und planorientiertes Vorgehen müssen sich nicht ausschließen. Wenn es gelingt, die Agilität zu "zähmen", können Unternehmen in den Genuss der vollen Wirkung kommen. Interaction Rooms können dazu vor dem Hintergrund der digitalen Transformation einen wichtigen Beitrag leisten.

Plangetriebenes Vorgehen oder agile Softwareentwicklung - eine Diskussion, die unter Fachleuten schnell missionarischen Charakter bekommen kann. Auf der einen Seite planorientierte Modelle, die auf der Annahme basieren, dass Spezifikationen weitgehend vollständig sind und späte Anforderungen zu vermeiden sind. Auf der anderen Seite agile Modelle, denen häufig der Ruf vorauseilt, auf Projektstandards wie eine saubere Dokumentation gleich ganz zu verzichten.

In IT-Abteilungen geht es aber nicht um Ideologien, sondern um Realitäten und Resultate. Die Verantwortlichen müssen Anforderungen, die erst im Projektablauf zu erkennen sind, berücksichtigen. Andererseits müssen sie manche Idee aus der Anfangsphase später streichen. Und bei aller notwendigen Flexibilität haben Unternehmen grundlegende Anforderungen an die Planbarkeit: Sie benötigen definierte Liefertermine, Minimalfunktionalitäten und verbindliche Budgets - sonst findet ein Projekt kaum Rückhalt im Management.

Wie fast immer im Leben ist weder Schwarz noch Weiß die Lösung. Für Unternehmen stellt sich die Frage, welchen Grad an Unvollständigkeit sie in Kauf nehmen und wie korrigierbar Zielsetzungen sein sollen. Es gilt, die Vorteile der agilen Softwareentwicklung mit planerischer Sicherheit zu kombinieren. Agilität muss gezähmt werden, dann entfaltet sie ihre volle Wirkung. Ein Instrument, um diese Ziele zu erreichen, ist der sogenannte Interaction Room.

Dabei handelt es sich um einen echten, begehbaren Raum mit vier Wänden. Diese Wände haben im wahrsten Sinne des Wortes tragende Funktionen. Sie dienen zur Visualisierung von Prozessen und zur Darstellung von Projektdetails. Sie helfen dabei, Probleme zu erkennen. Im Interaction Room arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Fach- und IT-Experten unter der Anleitung eines Moderators zusammen. Gemeinsam ermitteln sie in Abstimmungsrunden Lösungen für die zentralen Themen und Fragestellungen des Projekts. Das Team visualisiert dies durch die Zuordnung von Symbolen zu einzelnen Aspekten des Projekts.

Im Interaction Room ordnet das Team einzelnen Aspekten des Projekts Symbole zu.
Im Interaction Room ordnet das Team einzelnen Aspekten des Projekts Symbole zu.
Foto: adesso AG

Der Interaction Room kann grundsätzlich unabhängig von einem konkreten Vorgehensmodell eingesetzt werden. Er passt allerdings gut zu agilen Modellen aus dem Scrum-Umfeld. Das Fortschreiben von Aufwandsprognosen und die kontinuierliche Verfolgung des Budgets (auf Basis von "Earned Value Analysen") machen die Agilität berechenbar. So schafft dieses Werkzeug einen verlässlichen kommerziellen Rahmen, innerhalb dessen die Verantwortlichen Softwareprojekte in einem Unternehmen organisieren.

Dass der Interaction Room sich im Unternehmensumfeld bewährt hat, zeigen beispielsweise Projekte bei der Barmenia Versicherung, wo auf diesem Weg ein umfangreiches SEPA-Projekt umgesetzt wurde.

Kreative Strukturen statt kreativem Chaos

In welchem Verhältnis Planung und Flexibilität zueinander stehen, hängt von mehreren Faktoren ab. Unternehmen aus der gleichen Branche mit ähnlichen Anwendungslandschaften, Vertriebswegen und Produkten können sich in durchaus unterschiedlichem Ausmaß der Agilität verschreiben, das gilt selbst für Projekte in der gleichen Organisation.

Aber es gibt Indikatoren, die Hinweise geben. Dazu gehören die Größe des Projekts, seine Bedeutung, die Dynamik des Umfelds, die Unternehmenskultur und das Branchen-Know-how der Entwicklungsmannschaft. Zwei weitere Kriterien, die selten genannt werden, haben sich in der Projektpraxis ebenfalls als wichtig herausgestellt: der Zustand der Anwendungslandschaft und - fast noch bedeutender - die Frage, ob ein anstehendes Projekt mit großer Wahrscheinlichkeit zu strukturellen Veränderungen der Anwendungslandschaft führen wird.

Abhängig von diesen Faktoren nähern sich planorientiertes und agiles Vorgehen einander an. Die Idee des Interaction Room ist es, einen geeigneten Mix aus Plan und Agilität direkt anzusteuern und den häufig zähen Weg von einer Seite des Spektrums in die Mitte zu vermeiden.

Ein weiterer Vorteil liegt im Zusammenführen von IT- und Fachseite. Wenn neue Software für wettbewerbskritische Geschäftsprozesse entwickelt werden soll - gleichgültig, ob durch die unternehmensinterne IT oder durch externe Lieferanten - treffen zwei Expertengruppen aufeinander: Anwender aus den Fachabteilungen und Softwareentwickler. Unterschiedliche Ziele, Arbeitsweisen und Vorstellungswelten erschweren dabei die Zusammenarbeit. Der Interaction Room ist ein Medium, über das Fach- und IT-Experten besser miteinander kommunizieren können. Erreicht wird dies durch die offene, verständliche und nicht IT-fixierte Darstellung von Prozessen. Vertreter aus den Fachabteilungen können sich intensiv in die Diskussionen einbringen.

Beispiel für die offene, nicht IT-fixierte Beschreibung von Prozessen.
Beispiel für die offene, nicht IT-fixierte Beschreibung von Prozessen.
Foto: adesso AG