"Wie ich in drei Tagen das Codieren lernte"

28.03.1978

Wir haben in unserer Firma alle Arten EDV in und außer Haus ausprobiert. Teures Lehrgeld wurde verpulvert. Ehe ein Programm lief, war es zwei- bis dreimal überholt, also nutzlos. Jede Änderung aber ging in die Tausender. 1973 führte eine Ausschreibung zu einer "Monster-Computer"-Offerte: Vier Datenerfassungsgeräte (Disketten) und sechs Online-Bildschirme, Zentraleinheit 148 KB, 40 Mio. Platten, 36 000 Z/Drucker, Magnetbandstation. Macht 21 000 Mark. Und ein "kleiner" zusätzlicher Mitarbeiterstab wäre da noch erforderlich gewesen: EDV-Leiters Analytiker, zwei Programmierer, vier Datentypistinnen, zusammen nochmal 21 000 Mark. Das macht "tutto completto" für Hardware ohne Software plus Wasserkopf (Personal) 42 000 Mark pro Monat.

Die Hardwarepreise sind zwar mittlerweile stark geschrumpft, die Menschen jedoch teurer geworden. Also stimmt die Rechnung noch.

Da aber die Geschäftsleitung den völlig normalen Wunsch hatte, eine Maschine zu mieten die fast nichts kostet, alles kann ohne Menschenhilfe arbeitet nicht trinkt, nicht raucht und nie krank ist, ging ich freiwillig in den Heuhaufen und suchte die Stecknadel.

Kaum witterten die Herren VBs einen EDV-Neuling, der so ein Ding sucht und nicht weiß wie es aussieht, begann die Türklinke heiß zu werden. Ich hatte das Vergnügen, sämtliche Loblieder anzuhören.

Jeder pries das an, was ich nicht wissen wollte oder ohnehin nicht verstand (EDV-Chinesisch). Der eine schwor auf Disketten-Vorerfassung, der andere träumte von irren K-Bereichen, ganz abgesehen von den ach so leichten Programmiersprachen RPG II, Cobol oder Basic (bis dahin dachte ich, Basic sei die leichteste Sprache der Welt).

Kurzum: Im Heuhaufen CeBIT fand ich anno 73 tatsächlich jenes utopische Gerät, das zumindest als Kompromiß zwischen meiner Vorstellung und den Wünschen der Geschäftsleitung lag, und das damals 10mal weniger kostete als die erwähnte "Minimal-Ausrüstung". Ohne EDV-Personal. Allerdings begriff der Hersteller damals (und auch heute) nicht, was man mit dem Ding so alles machen kann.

Ein kleines Vorführprogramm wurde - im wahrsten Sinne des Wortes - "über Nacht" geschrieben. Da es auf unsere Branche abgestimmt war - also verständlich - kam die Unterschrift zum Mietvertrag prompt. Vom Kauf riet ich ab. So haben wir mittlerweile schon die 3. Generation des gleichen Gerätes im Haus und dadurch ständig die leistungsfähigste Hardware einschließlich Betriebssystem, ohne Programme ändern zu müssen.

In knapp drei Tagen erlernte ich das Programmieren. Besser gesagt, das Codieren. Damit war der Beweis geliefert, daß mit einem absolut laienorientierten System und einer Programmiersprache mit sechs bis zwölf Befehlen jedes Problem programmierbar ist: Wer sein Problem auf logische Art formulieren kann, der kann auch codieren - und die Befehle dem Computer direkt via Bildschirm mitteilen. Die Probe aufs Exempel bestanden auf Anhieb vom Azubi bis zum Chef alle Mitarbeiter im Rahmen eines Eignungstests, den der Hersteller der Hardware gratis anbot.

So selektierten wir aus jeder Fachabteilung einen Freiwilligen und hatten damit ein Team. Aus dieser Arbeitsgruppe wurde nun ein Koordinator bestimmt der die Fäden in der Hand hält und hauptamtlich die Organisation des Betriebes und um den Computer führt. Sehr wichtig ist, daß kein Branchenfremder oder Neuling diesem Team angehört. Nur so ist sichergestellt, daß alle Probleme direkt und ohne Kommunikations-Schwierigkeiten in die Tat - sprich ins Programm - umgesetzt werden. Ob nun jeder aus dem Team selbst codiert oder dem Koordinator den Job überläßt, ist Nebensache.

Es hat sich in der nun über vierjährigen Praxis gezeigt, daß der gesunde Egoismus der vier Mitarbeiter, ihre Arbeitsplätze organisatorisch sauber zu halten, derart stark ist, daß die Wünsche an die EDV in Form von Ideen schier unbegrenzt sind. Sobald aber in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes die Möglichkeit besteht, eigene Ideen selbst in die Tat umzusetzen, scheiden sich die Geister. Die einen bauen sich weiterhin ihre "Burg" (Motto: ich bin unersetzlich) und sind dann sehr verwundert, wenn plötzlich der Nachbar die Routinearbeiten dem Computer überläßt. Dessen Leistung wird meßbar weil er seine Arbeiten nun - ohne mit Routinekram belastet zu sein - qualitativ und quantitativ steigern kann. Er fällt positiv auf. Das ärgert den "Burgherren". Der Schneeballeffekt beginnt: "... wie machst'n das???". Der Computer wird zum Werkzeug wie die Schreibmaschine, das Telefon oder der Fernschreiber.

Die Kehrseite der Medaille ist, daß durch die Leistungssteigerung eine Art Filtereffekt eintritt. Die transparent gewordenen Schwachstellen (dank guter Informationsprogramme) führen zu Reorganisationen, und sehr oft werden Posten eingespart. So haben wir in den letzten Jahren 30 Prozent Personal reduziert. Es wurde zwar niemand entlassen aber die natürliche Fluktuation des Personals nicht ersetzt.

Meine Aufgabe sah ich von Anfang an darin, die Programme derart zu neutralisieren und einfach zu halten, daß sie nicht nur für unseren Betrieb oder unsere Branche geeignet sind, sondern als Steine eines Baukastens beliebig mischbar sind. So haben wir mittlerweile einen schicken Baukasten, mit dem bereits zehn Kollegen-Firmen arbeiten. Das Baukasten-Programmieren bringt nicht nur Spaß, sondern erlaubt auch neue Programme in wenigen Stunden aus bestehenden Bausteinen zu generieren.

Der klar parametrierte Programmablauf ist auf Grund der wenigen Codes leicht zu lesen. Vor allem auch von Dritten. Und jedes Progrämmchen wird automatisch in die Bibliothek aufgenommen. Auch die Größe eines Programmes spielt eine Rolle, ob 4 K oder 60 K - no limit. Die Parameter sind immer in der Kurzform des Branchenjargons (FOB bleibt FOB). Damit sind wir wieder beim Laien und dessen Schwäche einem Fremden seine Fachausdrücke und Kenntnisse nicht erklären zu können. "Do it yourself" geht schneller.

Die Sache hat allerdings einen Haken: Es gibt nur eine Handvoll Hersteller, die ihre Computer mit laienorientierten Sprachen ausrüsten. In Gesprächen mit Fachleuten habe ich immer wieder Sätze gehört wie: "... das ist doch Spielzeug, da wird man nicht gefordert" oder "... damit wird eine Berufsgruppe ausradiert..." etc.

Fazit: Ich kann zwar jeden Laien überzeugen, daß die Zukunft einfachen Programmier-Systemen gehört - den EDV-Fachmann werde ich nicht von Sockel heben.

Erwin Fellner, Mitarbeiter der Spedition Max Grünhut, Hamburg