Wie Firmen im Web Mitarbeiter suchen

01.11.2007
Karriereseiten werden mit Testcentern, Pod- und Videocasts, Blogs und Wettbewerben aufgewertet, um Bewerber anzusprechen. Bei vielen Unternehmen überwiegen Unsicherheiten und Berührungsängste.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird in seiner Wirtschaftsprognose 2007 deutlich: "Als zunehmendes Wachstumshemmnis erweist sich der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften." Viele Unternehmen sehen sich einem härter werdenden Wettkampf um die besten Absolventen und Professionals ausgesetzt. Damit steigen nicht nur die Kosten, die für jeden neu geworbenen Mitarbeiter anfallen: Um die besten Köpfe zu bekommen, muss sich das Unternehmen attraktiv präsentieren und die Möglichkeiten für die potenziellen Mitarbeiter im Unternehmen aufzeigen. Perfektes "Employer Branding" ist für deutsche und besonders international tätige Unternehmen wichtig geworden. Auffällig ist dabei: Zunehmend werden in die Karriereseiten der Unternehmen Web-2.0-Elemente integriert.

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welche E-Recruiting-Trends sich abzeichnen;

wie Web-2.0-Elemente die Karriereseiten erobern;

wie man Employer Branding im Web betreibt.

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Interaktion statt nur Information

Gerade den jüngeren Internet-Nutzern entsprechen Web-2.0-geprägte Auftriite viel mehr als reine Info-Karriereseiten. Markus Rottwinkel von der Salzgitter AG, Senior Referent bei der Abteilung Führungskräfte und Initiator des "Karriereblogs", nennt das auch als wichtigen Grund für seine Web-2.0-Aktivitäten: "Wir bereiten uns schon heute auf den Bewerbermangel von morgen vor." Das Stichwort lautet dabei Interaktivität: Wer nur informationsarmes Marketing-Gerede mit glatten Hochglanzbildern um ein paar Stellenangebote ergänzt, wird für aktive, kritische Interessenten schnell langweilig und weggeklickt. Wer hingegen multimedial Substanz und Interaktion anbietet, holt neue Interessenten auf seine Seiten und hält sie dort.

Potentialpark Communications in Stockholm befragt regelmäßig eine repräsentative Gruppe von über 1200 Studenten und Absolventen, welche Firmen-Websites sie für die besten in Deutschland und Europa halten. Dabei wird schnell klar, was Bewerber von den künftigen Arbeitgebern erwarten: Interaktivität, Tests, fundierte und vor allem aktuelle Informationen, Videos, Podcasts einfach Mehrwert. Der Sieger, Deutsche Post World-Net, bietet zum Beispiel ein umfangreiches, anonymisiertes Testcenter an. Im Angebot befindet sich unter anderem ein "Career Explorer", der den Bewerbern hilft, sich anonym selbst richtig einzuschätzen, bevor sie überhaupt in den Bewerbungsprozess einsteigen. Christine Kirbach, Branch Manager bei Eligo in München, die viele Tests deutscher Karriere-Sites entwirft und auswertet, betont, dass indirekt auch anonyme Tests den Unternehmen bei der Betreuung und Auswahl der Bewerber Kosten sparen: "Viele Auszubildende zum Beispiel haben zunächst oft wirklichkeitsfremde Vorstellungen von ihrem späteren Arbeitgeber. Die jungen Leute können sich hier vorab richtig orientieren und sich damit gleich qualifizierter bewerben." Dabei hilft auch ein "Cultural Explorer", mit dem Interessenten feststellen können, ob sie lieber regional oder international tätig sein wollen. Die gleichen Tests werden verwendet, wenn sich ein Kandidat schon zur Bewerbung entschlossen hat, die Ergebnisse sind dann eine erste Grundlage für die Auswahl.

Dass die Online-Testangebote noch zunehmen werden, davon ist Eligo-Managerin Kirbach überzeugt. "Wenn Sie als großes Unternehmen im Jahr 40 000 Bewerbungen bekommen, sind Sie für jedes Tool dankbar, das Ihnen diese teuren und personalaufwändigen Prozesse erleichtert." Dabei werden sich die Testangebote jedoch noch massiv verändern: "Mit der schrumpfenden Zahl der Bewerber werden die Tests nicht mehr zur Auswahl, sondern zur Potenzialdiagnostik verwendet. Bei nur noch drei Bewerbern zählen die Entwicklungsmöglichkeiten, nicht mehr irgendein kleiner Nachteil, der sich bei jedem finden lässt."

Hohe Erwartungen der Bewerber

Die vorderen Plätze in der Potentialpark-Studie belegen fast ausnahmslos Karriere-Sites, die sich um interessante Inhalte bemühen, statt sich auf Textwüsten zu beschränken. Bewerber erwarten inzwischen Pod- und/oder Videocasts, die das Unternehmen und vor allem die Mitarbeiter lebendiger vorstellen können. Die Unternehmensberatung Pricewaterhouse-Coopers präsentiert vier Mitarbeiter gewissermaßen "live", die man auf Klick auffordern kann, über sich und ihren Job zu sprechen. Das ist nun nicht ganz Web 2.0, schließlich hält sich die Interaktivität noch in Grenzen, aber es gibt doch einen lebendigen Einblick in die Kollegenschaft von morgen und ist auf eine coole Anmutung hin programmiert. Kurz: Man arbeitet lieber bei einem Unternehmen, das im Web Kompetenz zeigt.

Ganz Web 2.0: Karriereblogs

Festo und Salzgitter haben jeweils "Ausbildungsblogs" eingerichtet, in denen Azubis von ihren Erfahrungen berichten können, Berufseinsteiger über den Konzern informiert und Recruiting-Events beworben werden. Salzgitter-Referent Rottwinkel: "Die Zugriffszahlen wachsen noch, sind auch von unseren Events abhängig, wir werden den Blog ausbauen und neue Zielgruppen, zum Beispiel Praktikanten, ansprechen." Die Leser können dann auch kommentieren und Erfahrungen austauschen. Noch wird diese Möglichkeit kaum genutzt: "Wahrscheinlich gibt es eine Hemmschwelle, beim zukünftigen Arbeitgeber etwas Schriftliches zu hinterlassen." Dass der sich transparenter macht, kann trotzdem Vertrauen schaffen. Auch wenn beide Unternehmen die in Blogs oft gefürchteten "Trolle", also Kommentare, die nur polemisieren wollen, schnell entfernen werden.

Letztlich zeigt der langfristige Trend in eine ganz bestimmte Richtung. Nicole Höfer von Potentialpark: "Wir werden bald individualisierbare Karriere-Websites sehen, die sich der Bewerber nach seinen Bedürfnissen einrichtet." Denn für das Unternehmen kann es außerordentlich wichtig sein, den Kontakt zu einer interessanten Gruppe von Bewerbern zu halten, die sich regelmäßig vom Unternehmen über aktuelle Karrierechancen informieren lassen.

Entwicklungsland Deutschland

Dass Deutschland noch Nachholbedarf in puncto Karriere-Websites hat, zeigt sich, wenn man sich die hiesigen Online-Unternehmensauftritte anschaut. "Bisher waren und sind die Karriereseiten eines Internet-Auftritts oft die letzten, die ein Arbeitgeber relauncht", bestätigt Höfer. Umgekehrt werden in den Potentialpark-Studien auch die Erfolge deutlich, die Unternehmen nach einem Relaunch verzeichnen können: Accenture schoss innerhalb eines Jahres beim Ranking der europäischen Karrerie-Websites von Rang 49 auf Rang vier, Vodafone von 38 auf Position sechs. So schnell Bewerber langweilige Sites durch Nichtbeachtung abstrafen, so schnell belohnen sie Relaunches.

Manche Karriereseiten sind nicht nur veraltet, sondern für Internet-affine Menschen sogar peinlich: Auf den deutschen Karriereseiten des Siemens-Konzerns scheitert die Hälfte aller Kontakte zu den Bewerbern, weil sie nach einer neuen Statistik Mozillas Firefox-Browser benutzen, für den Siemens die Seite wohl nicht programmieren will. Andere Betreiber verfügen zwar über perfekt programmierte Karriere-Sites, brauchen aber Wochen, um einfache Anfragen über das Web vernünftig zu beantworten.

Was im Netz möglich ist, wenn man auf inspirierte Art und Weise junge Zielgruppen aktiviert, zeigt seit einigen Jahren der französische Kosmetikhersteller L‚Äô Or?©al. Mit den international angelegten Recruiting-Wettbewerben "Brandstorm" und "E-strat Challenge" erreicht das Unternehmen eine breite Öffentlichkeit, mobilisiert Scharen junger High Potentials, sammelt Marketing-Ideen und Feedback aus den jungen Zielgruppen und sucht sich die besten als zukünftige Mitarbeiter aus.

Der Web-2.0-Trend wird in den USA noch in einer ganz anderen Weise genutzt. Inzwischen bereichert das so genannte Guerilla-Recruiting die Communities im Netz: Agenturen durchforsten Kontakt-Sites wie Facebook und versenden personalisierte E-Mails im Sinne von "Diese Firma solltest du dir mal ansehen." Auch die digitale Spielwiese Second Life wird dazu benutzt, sich als Unternehmen zu präsentieren und IT-affine Bewerber zu entdecken, auch wenn hier die Euphorie momentan wieder abzuflauen scheint.

Ob man auf diese Weise ein optimales Employer Branding erreicht, darf bezweifelt werden, schließlich suchen die Mitarbeiter einen vertrauenswürdigen Arbeitgeber, der Interesse an mündigen, selbständigen Mitarbeitern hat und nicht an möglichst kostengünstig erschlichenem Humankapital.

Mangelhafter Datenschutz

Bedauerlich ist auch, dass manche Anbieter von Web-2.0-Anwendungen nicht genügend Sensibilität für das Thema Datenschutz aufbringen: Beispielsweise informiert die Allianz die Nutzer eines kostenlosen Tests für Berufsanfänger erst im Kleingedruckten darüber, dass Daten für die Werbung von Neukunden verwendet werden. Dass ein milliardenschwerer Konzern das auch beim Recruiting so betreibt, zeigt, dass in Sachen Employer Branding noch Nachholbedarf existiert. (hk)