IT-Profis aus großen Unternehmen kennen das Szenario: Ein komplexes, großes Software- und Transformationsprojekt wird aufgesetzt, das viele Millionen Euro kostet. Monatelang arbeiten Business und IT Seite an Seite an den Spezifikationen, einigen sich auf Business-Ziele, Umfang, Kosten und Zeitrahmen. Sie engagieren einen Systemintegrator für Design und Implementierung. Um Komplexität und damit höhere Kosten zu verhindern, nehmen sie sich fest vor, eng am Standard zu bleiben.
Nach und nach reagieren die Anwender alarmiert und beginnen laut über die vermeintlichen Folgen der Softwareeinführung nachzudenken. Sie beginnen über die Spezifikationen zu diskutieren. Gravierende Veränderungen drohen. Die Angst wächst - und mit ihr Zahl der gewünschten Anpassungen. Oft steckt dahinter nichts anderes als der heimliche Wunsch, die gewohnte Arbeitsweise in die neue Softwarewelt hinüber zu retten.
Egal ob die Veränderungswünsche substanziell oder nur "nice to have" sind: Sie beginnen sich zu häufen und erhöhen die Komplexität von Software und Einführungsprojekt. Termine werden überschritten, Budgets überzogen. Das Verhältnis von Business und IT, oftmals ohnehin belastet, verschlechtert sich weiter. Für CIOs ist das besonders riskant: Ihr Stuhl wackelt zuerst, wenn Großprojekte ins Schlingern geraten.
- "Simplify IT" - was BCG empfiehlt
Komplexe IT-Strukturen sind oft unausweichlich, aber auch teuer und behäbig. BCG-Berater geben sechs Tipps, die die IT-Komplexität reduzieren und bis zu 30 Prozent der IT-Kosten einsparen helfen. - 1. Intelligentes Nachfragemanagement
Oft stehen IT-Entscheider vor einem großen Problem: Die Geschäftsleitung verlangt etwa Support oder ein Produkt zu einem Preis, der nicht im Verhältnis steht zum Business Value. Dahinter steckt: IT-Kosten sind oft nicht mehr transparent. "Zwar sinken die Stückkosten in der IT", sagt Grebe. "Aber die vom Geschäft erzeugte Nachfrage, etwa den Speicherbedarf, Emails und so weiter, nimmt Jahr für Jahr zu. Damit steigen letztendlich auch die IT-Gesamtkosten." Doch genau das ist das Problem: "Häufig wird einfach hingenommen, dass die Volumina steigen, obwohl diese oft keinen zusätzlichen Geschäftsnutzen erzeugen", sagt Grebe. - 2. Applikationen abschalten
Vor allem größere Firmen haben oft viel zu viele Anwendungen, die ineffizient und teuer sind. "Oft fällt es den Unternehmen schwer, Applikationen tatsächlich abzuschalten", sagt Grebe. Hier zu reduzieren kann viel bringen: BCG rechnet vor, dass in großen Firmen bis zu 40 Prozent der Anwendungen abgeschaltet werden können. Eine europäische Bank, führt BCG als Beispiel an, stellte fest, dass sie über die Hälfte ihrer mehr als 500 Anwendungen hätte abschaffen können, tatsächlich waren es am Ende 30 Prozent. - 3. Weniger Infrastrukturmuster
Ein weiterer Faktor für Komplexität, zu hohe Kosten und nicht genutzte Economies of Scale: Zu viele verschiedene Konfigurationen der Hardware, Systemsoftware und Middleware. "Viele Unternehmen können die Anzahl ihrer Technologiemuster ohne weiteres um die Hälfte reduzieren", heißt es im Bericht. Das spart bis zu 15 Prozent der IT-Kosten. Als Beispiel führt BCG eine große Produktionsfirma an, die 9000 verschiedene Anwendungen hostete mit insgesamt 1700 verschiedenen Installationen. Das bremste die Firma erheblich. - 4. Eine vereinfachte IT-Organisation
Diese Maßnahme könnte für einige IT-Manager ein zu heißes Eisen sein: Die Berater von BCG rechnen mit bis zu 30 Prozent Einsparpotenzial im IT-Management-Bereich. Oft sind Aufgabenbereiche fragmentiert und in unterschiedlichen Abteilungen angesiedelt. Komplexität hat eben nicht immer nur mit der Technik zu tun: Oft sind die Abteilungen nicht nach den Prinzipien Govern, Plan und Run klar getrennt, sondern vermischt. CIOs sollten Abteilungen neu aufstellen, Arbeitsgruppen neu definieren und ihnen andere Funktionen zuteilen, um Kompetenzen zu bündeln. - 5. Effektivere Governance und schlanke Prozesse
Ein Problem, das nicht nur die IT betrifft: Entscheidungen werden in Firmen oft nicht ganzheitlich, sondern in Silo-Strukturen getroffen. "Das Vereinfachungspotenzial von IT-Prozessen durch die Lean-Methodik ist erheblich, etwa in der Anwendungsentwicklung. Hier ist eine Zeitersparnis von bis zu 60 Prozent möglich", betont Grebe. In Prozessen können oft Schleifen eliminiert werden. Nur mit klaren und transparenten Zielsetzungen ist so eine Verschlankung zu erreichen. - 6. Shared-Services-Modelle und optimiertes Sourcing
Einige Firmen haben eine dezentralisierte IT. Das führt zu Ineffizienzen und Redundanzen. Shared-Service-Center können eine Lösung sein. "In den Firmen selbst gibt es in der Regel so viel Simplifizierungspotenzial, dass Outsourcing erst im zweiten Schritt in Betracht gezogen werden sollte", sagt er. Doch generell möchte Grebe nicht davon sprechen, die IT großflächig auszulagern, um Komplexität zu vermeiden.
Wie Anwender an solche Projekte herangehen sollten, das haben Jens Niebuhr, Eduard Gracia und Abhishek Pathak untersucht. Die drei Manager von Strategy&, vormals Booz & Company, gehen in ihrer Analyse "Preventing complexity drift. A capabilities-driven approach to IT program success" ins Detail.
Was macht den Geschäftserfolg aus?
Solche Projekte stehen und fallen demnach mit der Fähigkeit, Softwareanpassungen sinnvoll zu managen. Voraussetzung dafür ist ein klares gemeinsames Verständnis der Geschäftsstrategie und der Ziele, denen das neue System dienen soll. Es geht immer um die Fragen: Was ist wirklich erforderlich, damit das Unternehmen erfolgreich am Markt ist? Und welche Funktionen und Prozesse müssen dafür unterstützt werden? Erst wenn das allen klar ist, verfügen IT-Leiter über die richtigen Informationen, um das Projekt ausrichten und dimensionieren zu können.
Wer einen Anhaltspunkt haben möchte, ob ein laufendes Transformationsprojekt ausufert, sollte einmal die Zahl der von Anwendern gewünschten Modifikationen und Add-ons erheben, die das System in seinen Standardfunktionen nicht abbildet. Solche "Customizations" sind nicht mit den gängigen Einstellungen und Konfigurationen zu verwechseln, die jedes System vorsieht und die keine Abkehr vom Standard bedeuten. Jede Customization erhöht ausnahmslos den Design- und Implementierungsaufwand, führt zu zusätzlicher Komplexität beim Testing und schafft neue Deployment-Risiken. Die Kosten vervielfachen sich über den gesamten Software-Lebenszyklus hinweg, zumal das System gepflegt und via Upgrades aktuell gehalten werden muss.
Unternehmen machen hier immer wieder folgende Fehler:
Festhalten an Legacy-Prozessen: Firmen, die lange mit demselben System gearbeitet haben, sind damit quasi verwachsen. Ihre Business-User haben verschlungene Pfade gefunden, wie sie arbeiten und Sonderfälle behandeln können. Selbst wenn ein neues System viel wertvoller für das Unternehmen wäre, stellen sich die Nutzer quer, denn sie müssten ganz neuen Prozessen folgen und lernen, ihre Arbeit anders zu verrichten. In solchen Fällen ist Opposition seitens der Anwender die Regel, oftmals fallen Business-Managern ihren IT-Kollegen sogar in den Rücken.
Zu groß dimensioniert: Oft wollen IT und Business in Transformationsprogrammen alle Probleme auf einmal lösen. Einbezogene Power-User dürfen alle möglichen Anforderungen stellen, die ihren individuellen Interessen entsprechen. Die IT erliegt der Versuchung, sämtliche Stakeholder glücklich zu machen, was mit enormem Aufwand bezahlt wird.
Schwache Design-Governance und fehlende Macht der IT: Große Transformationsprogramme gehen immer vom Business aus, doch allein kann es die Auswirkungen seiner Pläne nicht abschließend beurteilen. Es kann nicht abschätzen, was starke Customization für die Total Cost of Ownership (TCO) in einem solchen Projekt bedeutet. Nur wenige Unternehmen beschäftigen heute Design-Cracks, die Spezifikationswünsche fundiert steuern und das Maximum an Standardkonformität auf der Architekturebene herausholen. Oft haben die IT-Organisationen auch gar nicht das interne Standing, das nötig wäre, um die wachsende Zahl an Anforderungen einzudämmen.
Der Integrator wird nicht gezügelt: Unternehmen unterschätzen oft den Interessenskonflikt, in dem sich der gewählte Systemintegrations-Partner befindet, der das System bauen und vielleicht auch langfristig pflegen soll. Seine Incentivierung richtet sich oft danach, ob die Anforderungen des Kunden zu 100 Prozent erfüllt sind, und nicht, ob die Komplexität noch beherrschbar ist.