150 Sensoren und ein ausfallsicheres Netz

Wie die IT Mercedes zum Weltmeister machte

18.12.2014
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Big Data ist in der Formel 1 längst Realität. Ohne IT-Unterstützung verlässt kein Rennwagen die Box mehr. Wir hatten die Gelegenheit beim aktuellen Weltmeister Mercedes AMG Petronas hinter die Kulissen zu schauen.
Vorsprung mit Big Data: An einem Rennwochenende produziert das Team rund 400 GB Daten.
Vorsprung mit Big Data: An einem Rennwochenende produziert das Team rund 400 GB Daten.
Foto: Mercedes AMG Petronas

400 GB an neuen Daten an einem Rennwochenende, 150 Sensoren die ständig Daten liefern, 30 Prozent mehr Daten als vor einem Jahr - alleine diese Daten verdeutlichen eindrucksvoll, wie wichtig die IT heute in der Formel 1 ist, wenn ein Team vorne mitfahren will. Hinzu kommt, dass die IT etwa unter Kostenaspekte heute für die Teams unverzichtbar ist. So wurde etwa, um die Reisekosten zu senken, die Team-Stärke an der Rennstrecke auf 60 Leute begrenzt. Die restlichen Ingenieure sitzen nun am jeweiligen Firmensitz und monitoren das Rennen remote am Rechner. Aber auch in Sachen Tests und Setup der Boliden geht nichts mehr ohne Rechenleistung. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die IT - hinzu kommt ein ständiger Zeitdruck. So musste etwa bei Mercedes AMG Petronas aufgrund der Regeländerungen zur Rennsaison 2014 binnen vier Monaten ein neues Data Center aufgebaut werden. Schließlich liefern die neuen Hybrid-Motoren mit ihren Energierückgewinnungssystemen mehr Daten denn je. So denn auch Matt Harris keinen Job wie andere. Als IT-Direktor beim Formel 1 Weltmeisters 2014 Mercedes AMG Petronas lebt er ständig auf der Überholspur. Während seine Kollegen für ihre Projekte zwei Jahre und mehr Zeit haben, muss Harris schnell fertig sein. Auch 99,9 Prozent Verfügbarkeit, ein Wert mit dem sonst CIOs happy sind, sind für Harris kein Maßstab. Wenn es darauf ankommt, dann muss seine IT 19mal im Jahr an drei Tagen am Wochenende zu hundert Prozent funktionieren - oder alle Räder stehen still.

"Ich habe die gleichen Herausforderungen wie andere CIOs", gibt sich Harris bescheiden, "mit dem Vorteil, dass unsere User technikaffiner sind und man ihnen nicht erklären muss, wie man mit Ctrl+Alt+Del einen Rechner neu bootet." Geschickt umgeht Harris dabei den Umstand, dass er und sein Team im Vergleich zu anderen IT-Abteilungen mit einem deutlich knapperen Zeitplan leben müssen. Zudem ist für das IT-Team vom Mercedes Agile mittlerweile ein Muss. Nur so können Regeländerungen, wie sie etwa 2014 mit der Abkehr von den klassischen V8-Motoren hin zu hybriden V6-Aggregaten mit hybriden Energierückgewinnungssystemen, umgesetzt werden, obwohl sie 30 Prozent mehr an Daten mit sich bringen. Herausforderungen, die für Harris auch bedeuteten, dass er in nicht einmal vier Monaten ein neues Rechenzentrum für 2,5 Millionen Pfund aufbauen und in Betrieb nehmen musste.

Remotes Renn-Management

Aufgrund dieser und anderer Regeländerungen ist die IT für die Formel 1 mittlerweile so wichtig, "dass ohne die IT der Rennwagen in der Garage stehen bleiben würde", erklärt Harris nicht ohne Stolz. Ohne IT-Hilfe hätte sich auch eine andere Regeländerung in der Praxis kaum umsetzen lassen: Um die Kosten für die Teams - etwa bei den Reisen - zu deckeln, reguliert die Formel 1 die Mannschaftsstärke eines Teams mittlerweile auf 60 Leute pro Rennwochenende. Darin sind Mechaniker und Renningenieure für beide Fahrer inbegriffen. Eine Einschränkung, die nur bewältigt werden kann, indem mittlerweile im Strategic Room am Standort der Formel-1-Mercedes-Schmiede im englischen Brackley an den Rennwochenenden Strategen und weitere Ingenieure sitzen, um das Team an der Strecke als Backup zu unterstützen. Sei es auch nur dadurch, dass sie die Fehler der Konkurrenz bis ins Detail analysieren.

Allein die Hybrid-Motoren liefern 30 Prozent mehr Daten.
Allein die Hybrid-Motoren liefern 30 Prozent mehr Daten.
Foto: Mercedes AMG Petronas

Doch der Strategic Room ist auf dem Gelände der Mercedes-Fabrik in Brackley nicht der einzige Raum, an dem sie am Rennwochenende sehnsüchtig auf Daten von der Strecke warten. So fahren sie etwa im Simulatorgebäude, der Rennstall verfügt über 5 Simulatoren, nachts das Rennen mit den aktuellen Setup- und Detaildaten vorab, um eventuell weitere tausendstel Sekunden herauskitzeln zu können. Und nur wenige Meter weiter im eigentlichen Fabrikationsgebäude, wo die Rennboliden zusammengesetzt werden, testen Ingenieure über Nacht vorab auf einem Prüfstand, ob die Hightech-Renner die Geschwindigkeitshatz über die gesamte Renndistanz auch wirklich ohne einen technischen Defekt überstehen.