Business-Anwendungen im Internet

Wie die Amateure: DV-Anbieter im Web

20.03.1998

Über die Zukunft vieler Firmen im Wettbewerb wird das Internet entscheiden. Dabei werden und müssen ihnen besonders die Unternehmen der DV-Branche helfen, von denen sich die Kunden eine Vorbildfunktion erwarten. Ein Friseurkunde geht auch davon aus, daß der Friseur selbst den besten Haarschnitt hat. Was kann ein DV-Unternehmen tun, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

Der Erfolgsschlüssel: konsequente Orientierung an den Erwartungen der eigenen Zielgruppen. Für welchen Kunden wird der Internet-Auftritt gestaltet? Und damit auch: Für wen wird er nicht gemacht? Es gibt nicht den Internet-Auftritt, der allen Kunden und Kundengruppen gerecht wird. Ein nächtlicher Surfer hat völlig andere Bedürfnisse als der Einkäufer einer Bank oder ein Journalist. Die nächste Frage: Was erwarten die Kunden konkret? Erst an dritter Stelle folgt, welche Ziele das DV-Unternehmen selbst bezüglich der Zielgruppen verfolgt? Nach der Beantwortung dieser Fragen wird der kundenorientierte Internet-Auftritt geplant und umgesetzt. Die Anforderungen daran können in vier Kriteriengruppen zusammengefaßt werden, die sich am besten am Beispiel eines Gebäudes beschreiben lassen, das für Publikumsverkehr ausgelegt sein soll. Das Layout des Internet-Auftritts entspricht der äußeren Architektur, der ästhetischen Kraft eines Gebäudes, das sich in der Betonwüste einer Stadt deutlich von den anderen unterscheidet. Das Handling sind die Wegweiser im Inneren, die es dem Besucher ermöglichen sollen, die jeweils richtige Treppe zu nehmen, die richtige Etage zu finden und schließlich im gewünschten Raum zu stehen. Die Inhalte sind die einzelnen Räume mit deren unterschiedlichen Aufgaben wie Archiv, Cafeteria, Computerleistungen, Schmökerecken oder Unterhaltungsmöglichkeiten. Die Interaktivität umfaßt alle Möglichkeiten zur Kommunikation mit den Bewohnern in den verschiedenen Räumen des Gebäudes.

Ziel der Planung und Umsetzung eines Internet-Auftritts eines Unternehmens muß also sein, Layout, Handling, Inhalte und Interaktivität an den konkreten Wünschen der vorab festgelegten Zielgruppe auszurichten und optimal zu vernetzen. Was heißt das für den Auftritt eines DV-Unternehmens? Die möglichen Zielgruppen könnten zum Beispiel private oder geschäftliche Kunden, die Presse, jetzige und zukünftige Mitarbeiter, Kooperationspartner, Forschungseinrichtungen oder die gesamte Öffentlichkeit sein. Die wichtigste Zielgruppe ist immer die, die für den Umsatz sorgt: die Käufer. Und was will das DV-Unternehmen bei diesen Kunden mit seinen Internet-Seiten erreichen? Sicherlich letztendlich zusätzliche Umsätze, zumindest aber einen deutlichen Imagegewinn, der indirekt wieder zu Umsätzen führt. Wie erreicht nun das Unternehmen diese Ziele? Was erwarten die typischen Käufergruppen vom Internet-Auftritt des DV-Herstellers?

Wenig professionell und nicht kundenorientiert

Die äußere Gestaltung ist für jedes Produkt immens wichtig. Kein auch noch so perfektes Auto würde ohne eine ansprechende Karosserie gekauft. Das gilt aber auch umgekehrt: Neben der schönen Karosserie muß das Auto auch noch fahren. Der Nachteil aufwendiger Designs von Internet-Seiten ist die hohe Ladezeit, die der Nutzer möglichst minimiert wissen möchte. Die designmäßig maximierte Internet-Seite "fährt" also nicht. Die Möglichkeiten von Audio, Video, bewegten Objekten, Fotos, Texten und Grafiken, die "Side Identity" als Ausdruck des Corporate Design müssen also an die ästhetischen Wünsche der Zielgruppen angepaßt werden, ohne daß die Schnelligkeit des Seitenaufbaus darunter leidet. Eine echte Herausforderung für die DV-Branche. Doch wenn DV-Firmen dieses Problem nicht lösen können, wer dann? So versucht die Adobe-Homepage alle Möglichkeiten des Layouts zu vereinen. Zum einen wird die Ladezeit negativ beeinflußt, zum anderen wirkt die Seite überladen. Wie so oft gilt auch hier: Weniger wäre mehr.

Die Zuwachsraten im Internet kommen schon jetzt und künftig verstärkt nur noch über "Normalnutzer", die keinerlei technische oder spezielle DV-Kenntnisse besitzen und besitzen wollen. Deshalb steigen die Anforderungen an das Handling der Internet-Seiten, das den Nutzer auf einfachste Weise an die Hand nimmt, damit er das, was er sucht, möglichst rasch findet. Die Schnelligkeit des Seitenaufbaus, vorhandene Hilfe- und Suchfunktionen, Icons vor, zurück und zur Homepage, Browser-Kompatibilitäten, kleine Fotos mit Vergrößerungsmöglichkeiten bei Bedarf sind hier die wichtigsten Möglichkeiten. Ein langsamer Aufbau, Seiten mit "not found" oder "under construction" und Fehlermeldungen sorgen dafür, daß der Kunde die Seite verläßt und meist nicht wiederkommt. Keines der angestrebten Ziele würde so erreicht. So zeigt zum Beispiel die ansonsten überdurchschnittliche Hewlett-Packard-Homepage auf der ersten Seite eine doppelte Navigation. Das kostet Zeit und mindert das Interesse der Surfer.

Denn schließlich kommt der Kunde nach mehr oder weniger ausgedehntem Surfen nicht wegen der schönen Logos und Designs auf eine Internetseite, sondern weil er bestimmte Inhalte sucht und sie dort erwartet. Er benötigt Informationen, will sich unterhalten oder sogar etwas bestellen. Er erhofft sich aktuelle, vollständige und geprüfte Inhalte zu DV-typischen Themenbereichen, die er nicht durch ein anderes Medium besser oder aktueller bekommt und die ein wiederholtes Aufsuchen der Site lohnen oder erforderlich machen.

Aktualität kann sich auch in DV-fremden Themen widerspiegeln. So brauchte IBM Informationen zu den Olympischen Spielen. Dieser Nutzen verpufft aber, wenn die bisherigen Besucher der IBM-Seiten dort nicht ständig aktuelle Themen erwarten beziehungsweise Internet-Surfer, die IBM-Seiten bisher noch nicht besucht haben, über deren aktuelle Themen informiert wurden - zum Beispiel durch Links oder Werbebanner auf anderen Sportseiten im Internet. Hier besteht selbst für IBM ein großer Nachholbedarf bezüglich konsequenter Kundenorientierung.

Mögliche Inhalte von DV-Seiten können sein: Links zu Partner- oder Muttergesellschaften, Links zu anderen DV-Seiten, Webcams, vor allem Downloads von Software, neben Deutsch für deutsche Kunden wenigstens auch Englisch für Kunden außerhalb Deutschlands, Kennzeichnung von upgedateten oder neuen Seiten, Produktdarstellungen mit Fotos und Preisen, Präsentation von neuen Produkten, Demosoftware, Online-Handbücher, Fehlerbehebungshilfen, Unterhaltung, Spiele, Informationen für die Zielgruppen, Telefonnummern, E-Mail und Fotos vom Unternehmen, den Mitarbeitern, Adressen, Öffnungszeiten, Anfahrtsskizzen etc.

Jeder Nutzer einer DV-Unternehmensseite wird beispielsweise neuste Informationen zur CeBIT erwarten. Doch deutlich weniger als die Hälfte der DV-Firmen weisen auf ihr Angebot und ihre Aktivitäten auf der CeBIT ´98 hin.

Für den DV-Kunden können besondere Inhalte bereitgehalten werden. So bietet Dell einen Konfigurator, mit dem man sich zu Hause am Bildschirm sein PC-Modell aus einzelnen Bausteinen zusammenfügen, bestellen und die Auftragsabwicklung ab diesem Zeitpunkt per Internet verfolgen kann. Damit hat es Dell als einer der wenigen DV-Hersteller verstanden, einen echten Zusatznutzen gegenüber anderen Medien zu entwickeln.

Einer der wichtigsten Vorteile des Internet gegenüber allen anderen Medien ist die Interaktivität. Nur hier ist eine gegenseitige Kommunikation über unterschiedliche Wege über den Computer möglich. Dies funktioniert weder bei den Printmedien, noch beim Radio oder dem Fernsehen. Jede DV-Firma lebt von ihren Kunden. Die wichtigste Aufgabe des Vertriebs ist es deshalb, individuellen Kontakt mit dem Kunden aufzunehmen. Eine hervorragende Möglichkeit dazu bietet eben das Internet: über E-Mail, Gästebuch, News-Groups und Mailing-Listen etc. Ideal, wenn ein potentieller Käufer dort sein Interesse interaktiv bekunden, vielleicht sogar gleich bestellen kann. Ist dies vertriebspolitisch nicht gewünscht, muß er den Weg zum Händler aufgezeigt bekommen. Genau das ist bei der Hälfte der Internet-Auftritte der DV-Branche nicht der Fall. Das bedeutet, das die Hälfte der DV-Branche gar nicht möchte, daß der Kunde direkt oder indirekt über das Internet bestellt und kauft!

Die Ergebnisse der Analyse zeigen zwei wesentliche Trends. Die Großen bei Hard- und Software haben ihre Hausaufgaben, speziell was das Layout und die Inhalte angeht, gemacht. Trotzdem gibt es auch hier, besonders in puncto Interaktivität, ein deutliches Verbesserungspotential. Als Vorbild können sie nur bedingt dienen. Was allerdings verwundert, ist der Trend bei den Kleinen, den Händlern und Systemhäusern. Diese Unternehmen präsentieren sich überwiegend so, als ob sie nicht wüßten, welche Möglichkeiten das Internet bereithält. Welcher Auftraggeber wird für seinen Internet-Auftritt ein Systemhaus aufsuchen, das sich selbst nicht professionell im Internet präsentiert? Dabei verkennen sie, daß im Internet alle gleich sind: Nur hier kann sich der Kleine wie ein Großer präsentieren, und das mit überschaubaren Kosten.

Uwe Kamenz ist Mitglied des Professoren-Netzwerks (Profnet) von der Fachhochschule Dortmund.