O "Tempora", o mores...

Wie britische Spione Webcams zum Schlüsselloch machten

28.02.2014
Der britische Geheimdienst greift nach einem Bericht des "Guardian" massenhaft auf Webcam-Chats von Yahoo-Nutzern zu. Wie funktioniert das Programm mit dem Codenamen "Optic Nerve"?

Wie kommt der britische Geheimdienst an die Daten?

Der britische Nachrichtendienst GCHQ zapft die Unterseekabel an, über die Internetdaten von Europa nach Amerika geschickt werden. Dieses Programm trägt den Codenamen "Tempora", berichtete der "Guardian" bereits im vergangenen Juni. Damit erhält der GCHQ eine Flut an Daten. Aus dieser Masse werden Informationen aus Webcam-Chats herausgefiltert, wie jetzt bekannt wurde. Das Programm heißt "Optic Nerve", auf Deutsch Sehnerv. Die Unterlagen von Edward Snowden, die der "Guardian" auswertete, stammen aus den Jahren 2008 bis 2010; auch 2012 sei das Programm noch aktiv gewesen.

Speichert der Geheimdienst komplette Video-Chats?

Nein, das würde die Speicherkapazität des GCHQ sprengen. Außerdem würde eine Speicherung der Videos auch nach Einschätzung des Geheimdienstes gegen britisches Recht verstoßen. Stattdessen wird den Unterlagen zufolge alle fünf Minuten ein Bildschirmfoto gemacht.

Was passiert mit den Chat-Daten?

Sie landen in einer Datenbank, die mit Hilfe der NSA-Software "XKeyscore" durchsucht werden kann. Bei der Suche nach einer Zielperson werden den Geheimdienst-Mitarbeitern auch Fotos von Menschen angezeigt, die einen ähnlichen Nutzernamen gewählt haben wie der Verdächtige, schreibt der "Guardian". Damit geraten möglicherweise zahlreiche Unverdächtige ins Visier des GCHQ.

Was ist auf den Webcam-Aufnahmen zu sehen?

Allein in einem Zeitraum von sechs Monaten im Jahr 2008 hat der Geheimdienst dem Bericht zufolge Bilder von 1,8 Millionen Yahoo-Nutzern eingesammelt. Ein nicht unwesentlicher Teil der Bilder zeige "ungewollte Nacktheit", räumt der Geheimdienst ein. 3 bis 11 Prozent des Materials sei pornografisch, schätzt der Geheimdienst dem Bericht zufolge.

Warum nahm der GCHQ Yahoo-Nutzer ins Visier?

"Yahoo Webcam ist dafür bekannt, von Zielpersonen des GCHQ genutzt zu werden", heißt es dem "Guardian" zufolge in den Unterlagen. Yahoo reagierte empört. Experten kritisieren das Internetunternehmen jedoch, weil es die Nachrichten seiner Nutzer lange nicht ausreichend gesichert habe. Yahoo stellte erst Anfang des Jahres seinen E-Mail-Dienst so ein, dass die Kommunikation mit den Yahoo-Servern standardmäßig über eine verschlüsselte Verbindung laufe.

Kann der GCHQ auch auf ausgeschaltete Webcams zugreifen?

Experten und Bürgerrechtler warnen immer wieder vor Spionagesoftware, die Computer komplett unter ihre Kontrolle bringen kann. Webcams und Mikrofone können dann - ohne dass Nutzer es bemerken - aus der Ferne eingeschaltet werden. Solche aggressiven Programme müssen allerdings erst einmal auf den Computer einer Zielperson geschmuggelt werden, etwa versteckt in Webseiten oder Dateien. Das ist bei "Optic Nerve" nicht der Fall. Hier greift der Geheimdienst Daten ab, die bei Videounterhaltungen im Netz anfallen, die von den Anwendern selbst gestartet wurden.

Nach langer Stille regt sich angesichts der neuesten Enthüllungen um die heimliche Überwachung der Webcam-Chats von Yahoo-Kunden auch in Großbritannien Protest gegen das Vorgehen des Abhördienstes GCHQ. "Wir wissen, dass Millionen von Inhabern von Yahoo-Konten ohne ihr Wissen über ihre WebCams gefilmt wurden", sagte der konservative Parlamentsabgeordnete David Davis dem "Guardian" (Freitag). Die Bilder seien im Rahmen des Programms "Optic Nerve" anschließend beim GCHQ und beim US-Geheimdienst NSA gespeichert worden. "Das ist schlicht gruselig", zitiert die Zeitung den Parlamentarier aus der Regierungspartei von Premierminister David Cameron.

Es sei absolut in Ordnung, wenn die Geheimdienste alle Mittel ausnutzten, um Terrorverdächtige und andere potenziell Kriminelle zu überwachen und ausfindig zu machen. "Aber es ist vollkommen falsch, solch aufdringliche Überwachung flächendeckend auf ganz normale Bürger auszudehnen", sagte Davis. Der liberaldemokratische Abgeordnete Julian Huppert zeigte sich dem "Guardian" gegenüber geschockt. "Das sieht nach einer sehr klaren Verletzung der Privatsphäre aus", sagte er. "Ich kann ganz einfach nicht sehen, wodurch das gerechtfertigt sein soll." (dpa/tc)