Wie aus Hire-and-Fire Firmen attraktive Arbeitgeber werden

02.12.1988

Welche Fach- oder Managementzeitschrift wir heute auch aufschlagen, überall wird das hohe Lied der Personal- und Managemententwicklung gesungen. Wenn man glauben sollte, solche Artikel beschrieben die betriebliche Wirklichkeit, dann müßten unsere Unternehmen ganz anders aussehen. Nach wie vor spielt in zu vielen Fällen das graphologische Gutachten die ausschlaggebende Rolle, obwohl in zahllosen Untersuchungen belegt ist, daß der Vorhersagewert für den beruflichen Erfolg des Neuen durch ein graphologisches Gutachten identisch ist mit dem Vorhersagewert des Würfelns. Nach wie vor scheitert ein gravierend hoher Prozentsatz der Neuen nach wenigen Monaten oder gar Wochen, weil keiner etwas Vernünftiges für ihre Integration in das neue Unternehmen getan hat.

Nach wie vor trennen sich zahllose Unternehmen von ihren sogenannten Nieten, obwohl Outplacement-Berater behaupten, es gäbe keine generell guten oder schlechten Manager. Die Starken der Führungskraft würden lediglich nicht mit den Anforderungen der Position übereinstimmen. Die außerordentlich hohen Erfolgsquoten der Outplacement-Berater scheinen diese These zu stützen. Nur, dann kann irgendetwas nicht stimmen mit unserer so hochgepriesenen Personalentwicklung in bundesdeutschen Unternehmen. Wenn man die Karrierebeilagen unserer renommierten Wirtschaftszeitungen aufschlagt, begegnet man jedenfalls nur der heilen Welt der Managemententwicklungsidylle. Wie sieht denn nun tatsächlich die Wirklichkeit aus?

In all den Artikeln wird auf die große Bedeutung des Faktors Human Resources hingewiesen. Einmal spielen dabei die gestiegenen Kosten eine Rolle, aber auch die Tatsache, daß Produktivität sich in vielen Fällen fast nur noch über den Faktor Mensch verbessern läßt. Daraus müßten wir den Schluß ziehen, alles daran zu setzen, bei der Auswahl des Neuen ja keinen Fehler zu machen oder uns jedenfalls doch die größtmögliche Mühe zu geben.

Tatsache ist, daß wir heute sehr viel wissen über die Prognosefähigkeit zahlreicher Selektionsinstrumentarien. Trotzdem werden die besseren von ihnen nur sehr zögerlich angewandt. Nach wie vor gibt es erstaunlich viele, auch große und sogenannte renommierte Unternehmen, die, wenn sie Zweifel haben, und es ihnen besonders wichtig zu sein scheint, auf die Graphologie zurückgreifen. Oder, was noch die Regel ist, der zukünftige Vorgesetzte und der Personalchef interviewen den Kandidaten im Eiltempo völlig unstrukturiert .

Wenn man sich dann für einen der zahlreichen Kandidaten entschieden hat und der Vertrag von beiden Seiten unterschrieben wurde, scheint die Arbeit getan; man kann sich dem Nächsten zuwenden. Firmen die in einer Aufbauphase sind, glauben auch nicht mehr Zeit zu haben. Beschäftigt ist das meist kleine Personalwesen schon überwiegend mit dem "Reinschaufeln" neuer Mitarbeiter. Dabei wird dann schnell übersehen, daß mit dieser Methode zu viele unten wieder aus dem Sack fallen. Die Folge: Man muß oben noch einen Zahn zulegen.

Dabei könnte und sollte die Entwicklungsarbeit bereits direkt nach der Vertragsunterzeichnung beginnen. Jetzt ist der Neue besonderen Gefahren ausgesetzt. Die bisherigen Kollegen im alten Unternehmen nehmen dem "Abtrünnigen" den Wechsel übel. Sie bestrafen ihn mit Vertrauensentzug, der bisherige Vorgesetzte fühlt sich persönlich beleidigt. An wichtigen Besprechungen, Seminaren und Tagungen darf er möglicherweise gar nicht mehr teilnehmen. Seine Familie hat vielleicht auch noch Verdauungsprobleme mit der beruflichen Entscheidung, die einen Umzug in eine weit entfernte Stadt zur Folge hat.

Bei einem Double-career-couple belasten nicht nur die neue Stadt und die neue Wohnung, die man erst noch suchen muß. Dazu kommt, daß die neue berufliche Aufgabe und Perspektive des Partners erst einmal gesucht und gefunden werden muß. Vielleicht macht die Tochter nächstes Jahr Abitur, und niemand will das Risiko eingehen, sie jetzt in dieser hochsensiblen Phase "umzutopfen". Was soll man tun? Das alte Unternehmen wird kaum zur Hilfe bereit sein - ganz im Gegenteil. Aber auch der neue Betrieb hat erst einmal den Personalakt bis zum ersten Tag des Neuen geschlossen. Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig, das mögliche Isolationsgefühl umzuwandeln in ein Integrationsgefühl.

In vielen Fällen macht es durchaus Sinn, den potentiellen Mitarbeiter bereits vor seinem ersten offiziellen Tag in der Firma zu wichtigen Meetings und Tagungen einzuladen, um ihn auf die Weise so früh wie möglich an das zukünftige Umfeld zu gewöhnen. Dadurch könnte er sich bereits in diesem Stadium sukzessive aklimatisieren und so den Integrationsprozeß beschleunigen.

Hier lassen sich mit Kreativität und sozialer Phantasie bei geringem Aufwand und kaum nennenswerten Kosten gute noch lange nachwirkende Erfolge erzielen. In den ersten Tagen nach der Arbeitsaufnahme hat es sich als hilfreich erwiesen, einen sogenannten Paten, also einen Kollegen zu benennen, der den Neuen in der Eingewöhnungszeit "an die Hand nimmt" und hilft, die alltäglichen, aber gerade am Anfang doch so wichtigen Fragen zu beantworten. So kann sich die Zahl der Fettnäpfchen, in die der Neue unbeabsichtigt tritt, drastisch reduzieren. Das hilft ihm, im Kreis der Kollegen und Vorgesetzten die soziale Akzeptanz zu finden, die für sein Überleben so dringend notwendig ist. Von hohem Nutzen können auch sogenannte Übergangsworkshops sein, in denen sich der Neue mit seiner neuen Umgebung und zukünftige Mitarbeiter und Kollegen mit dem Neuen vertraut machen können.

Mitarbeiter mögen sich fragen: Wird er meine Arbeit schätzen? Wie ist sein Arbeitsrhythmus? Welchen Einsatz erwartet er? Aber auch der oder die Neue macht sich Gedanken: Wie sieht mein Arbeitsgebiet tatsächlich aus? Wie gut sind die Leute? Wo sind die Problemfälle, wo die Problemgebiete? Moderne Personalpolitik begnügt sich also nicht mit der Personalbeschaffung. Vielmehr betont sie die Bedeutung einer sorgfältig geplanten, die jeweiligen Vorgesetzten aktiv miteinbeziehenden Integration. Sie endet nicht mit der nur fachlichen Einarbeitung, sondern zielt darauf ab, das soziale Umfeld aufzubereiten für ein schnelles und problemloses "Warming-Up" am neuen Arbeitsplatz.

Somit werden die Weichen für eine intensive und langfristige innere Bindung an das Unternehmen gestellt. Training für die Vorgesetzten vor Ort und Checklisten, die bei jeder Neueinstellung an die erforderlichen Maßnahmen erinnern helfen, können hier gute Dienste leisten.

Bedauerlich ist nur, wenn dann erst in einem "Aufbauprogramm für die berufliche Neuorientierung" in der Outplacement-Beratung das Lehrziel auftaucht, sich über die eigenen Leistungen, Kenntnisse und Fähigkeiten bewußt zu werden. Dabei gibt es auch hier heute bereits die notwendigen personalpolitischen Instrumentarien: Nachwuchsförderung Karriere- und Nachfolgeplanung, Fach- und Führungstraining. Es wird hierbei immer wichtiger, auch die Persönlichkeit des Managers weiterzuentwickeln und zu fördern. Dazwischen ist es notwendig, eine Bestandsaufnahme, das heißt eine Managementpotentialanalyse durchzuführen.

In wichtigen Einzelfällen wird es notwendig sein, das manchmal heterogene Urteil über eine Führungskraft über ein Einzelassessment abzusichern. Nur so wird ein Unternehmen wirklich in der Lage sein, sein Management optimal zu nutzen.

Auch das Image der Firma als Arbeitgeber wird sich so verbessern lassen. Aus einem als Hire-and-Fire-Unternehmen bekannten Haus kann so ein attraktiver Arbeitgeber werden. Das wiederum spart Kosten bei der Beschaffung, weil im Einzelfall so viele Spontanbewerbungen von interessenten aus dem letzten Wochen und Monaten vorliegen, daß man sich den Personalberater sparen kann. Aber auch den Outplacement-Berater wird man nur dann benötigen, wenn die menschliche Chemie unheilbar ist oder gravierende organisatorische Gründe gegen eine Weiterbeschäftigung sprechen.

Dr. Hubert Metz, Personalexperte, Butzbach