Wettstreit um erfahrene Projekt-Manager

01.06.2001
Von Mirjam Müller
Nach der ersten Bauchlandung auf dem Neuen Markt formieren sich die verbleibenden Startups neu: Gesucht sind nun ältere Semester mit breitem Erfahrungshorizont, die das Management der jungen IT-Firmen auf Vordermann bringen. Aber nicht nur in der New Economy sind die alten Hasen begehrt: Die Branchenriesen machen mit attraktiven Jobofferten den Startups die ersehnten Mentoren streitig.

Noch vor einem Jahr hatte in jungen IT-Firmen fast jeder Bewerber eine Chance. War der Kandidat jung, kreativ, lernfähig und mit technischem Know-how ausgestattet, fielen fehlende Berufserfahrung oder ein abgebrochenes Studium kaum ins Gewicht. Das Blatt hat sich gewendet: Die Krisenstimmung in der New Economy hat konservative Geschäftsstrategien in die Firmen gebracht und die Personalpolitik verändert. Neben Fachwissen sollen neue Mitarbeiter vor allem Erfahrung im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und der Projektarbeit mitbringen.

Die im Frühjahr 2000 gegründete Viveon AG entwickelt und realisiert intelligente CRM-, Data Warehouse- und E-Business-Lösungen. Die Münchner kämpfen mit einem typischen Startup-Problem: „Uns fehlt ein Mittelbau mit erfahrenen Kräften“, sagt Entwicklungsleiter Joachim Blankenstein. „Bei Neueinstellungen liegt unser Fokus derzeit klar auf routinierten Kräften. Attraktiv sind auch ganze Teams, bei denen die Zusammenarbeit bereits eingespielt ist. Neueinstellungen mit mehrjähriger Berufspraxis können deutlich schneller integriert werden.“

Das A und O sind fundierte Fachkenntnisse - auch bei Führungspositionen. „Durch die schnellen Technologiewechsel sind solche Experten rar. Ohne den nötigen Sachverstand gibt es aber bei der Mitarbeiterführung und der Koordination eines Teams schnell Probleme“, meint Blankenstein. Mit ihren Recruiting-Wünschen steht Viveon nicht alleine da: Nach einer Untersuchung der VDI-Nachrichten suchen deutsche IT-Unternehmen für durchschnittlich 60 Prozent ihrer offenen Ingenieur-Stellen berufserfahrene Kräfte.

Dass die vakanten Positionen über vier Monate unbesetzt bleiben, liegt trotz der branchenüblichen Klagelieder über den Fachkräftemangel nicht an zu geringen Bewerberzahlen - was fehlt sind die richtigen Kandidaten. Laut VDI-Studie sollen diese neben einer guten Ausbildung und aktuellem Fachwissen vor allem soziale Kompetenz, Kundenorientierung, Führungsqualitäten und Projekterfahrung mitbringen.

Während manches Internet-Startup die Vorzüge der Routiniers erst jetzt erkennt, besetzten große Konzerne ihre Führungspositionen auch in der Blütezeite der „Jugendkultur“ mit erprobten Praktikern. Stimmt der Erfahrungshorizont, so ist beispielsweise der Branchenriese IBM bereit, fehlendes Fachwissen durch interne Schulungen auszugleichen.

Als 1998 die Möglichkeit bestand, den promovierten Physiker und ehemaligen Astronauten Ulrich Walter unter Vertrag zu nehmen, schlugen der Konzern zu. "Vor allem im Management-Bereich ist Erfahrung wichtig“, sagt Michael Kiess aus der IBM-Presseabteilung. „Wer ein auf mehrere, oft internationale Standorte verteiltes Team koordinieren soll, muss führen und kommunizieren können.“ Eine Altersobergrenze gibt es für solche Positionen angeblich nicht.

Nachwuchskräfte dominieren im Branchendurchschnitt nur dort, wo direkt mit den schnell wechselnden Technologien gearbeitet wird. „Vor allem in den Bereichen Programmierung und Design haben die Spezialkenntnisse oft eine Halbwertszeit von zwei Jahren. Wer frisch von der Uni kommt, ist da noch auf der Höhe der Zeit, außerdem lernen jüngere Leute erfahrungsgemäß leichter“, meint Stefan Pfisterer, Referent für Bildung- und Arbeitsmarkt im Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom).

„Sobald es um Team- oder Projektleitung geht und Management-Komponenten wichtig werden, prägen Mitarbeiter ab 40 Jahren aufwärts das Bild. Die müssen zwar die Technik in ihren Grundzügen beherrschen, Detailkenntnisse sind aber weniger relevant.“ Startups, die ihre Mannschaft rechtzeitig mit Profis verstärkt haben, sind heute fein heraus. Ein Beispiel ist die Anfang 1998 gegründete Synaps Ingenieur-Gesellschaft, die ein Automatisierungssystem für computergestützte Entwurfsoptimierung (CAO) entwickelt hat. Die Bremer haben mit den alten Hasen im Team beste Erfahrungen gemacht.

„Für das dringend notwendige Re-Engineering unserer Benutzerschnittstelle, die ein Berufsanfänger in eineinhalb Jahren programmiert hat, brauchte einer unserer erfahrenen Programmierer keine drei Monate. Nur das gute Ergebnis erlaubt uns, das Produkt zu vermarkten. Denn Lösungen, die nicht durchgängig funktionieren oder unprofessionell gestaltet sind, verleihen einem jungen Unternehmen schnell das Image einer Bastelfirma“, ist Geschäftsführer Olaf Frommann überzeugt.

„Derzeit suchen wir für alle vakanten Positionen erfahrenes Personal. Diese Mitarbeiter sind in der Regel wesentlich effektiver, motivierter und systematischer. Die gewünschten Ergebnisse werden schneller erreicht.“ Mit Studienabgängern hat Frommann dagegen schon schlechte Erfahrungen gemacht: „Geringe Leistungsorientierung, überzogene Gehaltsvorstellungen und lange Einarbeitungsphasen sind keine Seltenheit.“

Jana Smolawa, ehemalige SAP-Entwicklungsleiterin und Mitinhaberin der Lighthouse Management Consulting & Software, sieht den Grund dafür vor allem in der praxisfernen Ausbildung: „An der Uni lernen Informatiker nicht, wie und wann man kommuniziert. In Teams, die Anforderungen selbständig umsetzen müssen, sollte mindestens ein erfahrener Mitarbeiter sein. Reine „Frischlings-Truppen“ brauchen erfahrungsgemäß für eine mittlere Aufgabe dreimal so lang wie Teams mit einem projekterfahrenen Mitspieler.“

Außerdem leidet die Qualität – der Grund: „Alte Hasen testen besser“, erklärt Beraterin Smolawa. „Die überprüfen neben dem Hauptprozess auch Ausnahmen. Im Laufe der Jahre haben sie in der Regel gelernt, dass Kundeninteressen und kreative Umsetzung nicht immer Hand in Hand gehen und dass Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit einer Anwendung wichtiger sein können als der letzte technische Schrei.“ Vor allem konzernerfahrene Kräfte sind noch aus einem anderen Grund wertvoll für IT-Startups: Im Idealfall bringen sie ein Netzwerk an Kontakten mit, das den anvisierten Schulterschluss mit der Old Economy erleichtert.

Während traditionelle Mittelständler und große Konzerne dem krisengeplagten Nachwuchs zeigen, wie man im E-Business Geld verdient, sind zahlreiche Dotcoms gescheitert, weil ihnen Erfahrung, Struktur und Netzwerke fehlten. „Kontakte, etwa in die Führungsetagen großer Telekommunikationsanbieter, können das Geschäft erheblich beschleunigen“, sagt Jürgen Lukas, dessen scaraboo AG interaktive Quiz- und Glücksspiel-Lösungen für das Internet und mobile Technologien wie WAP oder SMS entwickelt und betreibt. Insgesamt hält Lukas ein heterogenes Team für entscheidend: „Bei uns arbeiten studierte Kaufleute und Wirtschaftsingenieure ebenso wie Studienabbrecher. Im IT-Bereich zählt vor allem Know-how.

Dafür ist nicht unbedingt ein abgeschlossenes Informatikstudium notwendig, sondern das frühzeitige Sammeln von Erfahrung.“ Seit der Begriff New Economy fast zum Stigma geworden ist, tun sich junge Firmen bei der Jagd auf die alte Hasen besonders schwer. Haben die Dotcoms bei der Personalsuche in der Vergangenheit vor allem auf persönliche Kontakte gesetzt, nehmen sie jetzt zunehmend professionelle Hilfe in Anspruch. Allerdings müssen Personalberatung oder Headhunter sorgfältig ausgewählt werden. Branchenkenntnisse sind unerlässlich. „Der Personalberater sollte eigentlich wissen, wie Software entsteht und welche Voraussetzungen der gesuchte Hardware- oder Netzwerkspezialist grundsätzlich braucht“, sagt Beraterin Smolawa.

Um eine gute Personalberatung herauszufiltern, hat Smolawa einen einfachen Tipp: „Am besten lässt sich eine Firma im Vorfeld Annoncen für entsprechende Positionen zeigen oder entwerfen. Würde man sich als IT-Spezialist auf die Anzeige bewerben, versteht der Berater sein Handwerk.“ Zwar ist bei Headhuntern und Personalberatern guter Rat nicht billig, es gibt jedoch immer mehr Dienstleister, die den weniger finanzkräftigen Nachwuchsunternehmen adäquate Angebote machen und für Startups erfolgsabhängige Zahlungsmodelle oder die Verrechnung der Dienstleistung gegen Equity bieten.

Eine Investition, die sich lohnen könnte, denn Konzerne zeigen erstaunlich wenig Engagement bei der Mitarbeiterbindung. Und richtig positioniert haben junge Firmen trotz der aktuellen Katerstimmung in der New Economy ein enormes Attraktivitätspotenzial: „Das große Plus dieser Firmen ist ihre Schnelligkeit. Das lockt flexible Kräfte aus der Old Economy.

Viele von ihnen haben erfahren, wie innovative Ansätze und neue Konzepte in den Strukturen großer Konzerne versandet sind“, sagt Tim Schwarz von der Berliner Headhunter-Agentur Headstep. „So hatte etwa Bertelsmann das Konzept für den Online-Buchhandel lange vor Amazon in der Schublade. Der Vorsprung wurde verschenkt. Vom Wechsel in eine junge Firma versprechen sich erfahrene Kräfte vor allem die Chance, Konzepte direkt und schnell umzusetzen.“