In der Startup-Szene geht der Jugendkult zu Ende

Wettstreit um erfahrene Projekt-Manager

08.06.2001
Nach der ersten Bauchlandung formieren sich die verbliebenen Startups neu: Gesucht sind nun ältere Semester mit breitem Erfahrungshorizont, die das Management der jungen IT-Firmen auf Vordermann bringen. Aber nicht nur in der New Economy sind die alten Hasen begehrt: Die Branchenriesen machen mit attraktiven Jobofferten den Startups die ersehnten Mentoren streitig. Von Mirjam Müller*

Noch vor einem Jahr hatte in jungen IT-Firmen fast jeder Bewerber eine Chance. War der Kandidat jung, kreativ, lernfähig und mit technischem Know-how ausgestattet, fielen fehlende Berufserfahrung oder ein abgebrochenes Studium kaum ins Gewicht. Das Blatt hat sich gewendet: Die Krisenstimmung in der New Economy hat konservative Geschäftsstrategien in die Firmen gebracht und die Personalpolitik verändert. Neben Fachwissen sollen neue Mitarbeiter vor allem Erfahrung im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und der Projektarbeit mitbringen.

Die im Frühjahr 2000 gegründete Viveon AG entwickelt und realisiert CRM-, Data-Warehouse- und E-Business-Lösungen. Die Münchner kämpfen mit einem typischen Startup-Problem: "Uns fehlt ein Mittelbau mit erfahrenen Kräften", sagt Entwicklungsleiter Joachim Blankenstein. "Bei Neueinstellungen liegt unser Fokus derzeit klar auf routinierten Mitarbeitern. Attraktiv sind auch ganze Teams, in denen die Zusammenarbeit bereits eingespielt ist. Bewerber mit mehrjähriger Berufspraxis lassen sich deutlich schneller integrieren."

Das A und O sind fundierte Fachkenntnisse - auch für Führungspositionen. "Durch die schnellen Technologiewechsel sind solche Experten rar. Ohne den nötigen Sachverstand entstehen aber bei der Mitarbeiterführung und der Koordination eines Teams schnell Probleme", meint Blankenstein. Mit ihren Recruiting-Wünschen steht Viveon nicht alleine da: Nach einer Untersuchung der VDI-Nachrichten suchen deutsche IT-Unternehmen für durchschnittlich 60 Prozent ihrer offenen Stellen berufserfahrene Kräfte. Dass die vakanten Positionen durchschnittlich über vier Monate unbesetzt bleiben, liegt trotz der branchenüblichen Klagelieder über den Fachkräftemangel nicht an zu geringen Bewerberzahlen - was fehlt, sind die richtigen Kandidaten. Laut VDI-Studie sollen diese neben einer guten Ausbildung und aktuellem Fachwissen vor allem soziale Kompetenz, Kundenorientierung, Führungsqualitäten und Projekterfahrung mitbringen.

Vorzüge der Routiniers zu spät erkanntWährend manches Internet-Startup die Vorzüge der Routiniers erst jetzt erkennt, besetzten große Konzerne ihre Führungspositionen auch in der Blütezeit der New Economy, in der der Jugendkult gepflegt wurde, mit erprobten Praktikern. Stimmt der Erfahrungshorizont, so ist beispielsweise der Branchenriese IBM bereit, fehlendes Fachwissen durch interne Schulungen auszugleichen. Als 1998 die Möglichkeit bestand, den promovierten Physiker und ehemaligen Astronauten Ulrich Walter unter Vertrag zu nehmen, schlug der Konzern zu. "Vor allem im Management-Bereich ist Erfahrung wichtig", sagt IBM-Sprecher Michael Kiess. "Wer ein auf mehrere, oft international gestreute Standorte verteiltes Team koordinieren soll, muss führen und kommunizieren können." Eine Altersobergrenze gibt es für solche Positionen angeblich nicht.

Nachwuchskräfte dominieren im Branchendurchschnitt nur dort, wo ausschließlich technisches Know-how gefragt ist. "Vor allem in den Bereichen Programmierung und Design haben die Spezialkenntnisse oft eine Halbwertszeit von zwei Jahren. Wer frisch von der Uni kommt, ist da noch auf der Höhe der Zeit, außerdem lernen jüngere Leute erfahrungsgemäß leichter", meint Stephan Pfisterer, Referent für Bildung- und Arbeitsmarkt im Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom). "Sobald es um Team- oder Projektleitung geht und Management-Eigenschaften wichtig werden, prägen Mitarbeiter ab 40 Jahren aufwärts das Bild. Die müssen zwar die Technik in ihren Grundzügen beherrschen, Detailkenntnisse sind aber weniger relevant."

"Alte Hasen testen besser"Startups, die ihre Mannschaft rechtzeitig mit gestandenen Profis verstärkt haben, sind heute fein heraus. Ein Beispiel ist die Anfang 1998 gegründete Synaps Ingenieur-Gesellschaft, die ein Automatisierungssystem für computergestützte Entwurfsoptimierung (CAO) entwickelt hat. Die Bremer haben mit den alten Hasen im Team beste Erfahrungen gemacht. "Für das dringend notwendige Reengineering unserer Benutzer-Schnittstelle, die ein Berufsanfänger in eineinhalb Jahren programmiert hat, brauchte einer unserer erfahrenen Mitarbeiter keine drei Monate. Nur das gute Ergebnis erlaubt uns, das Produkt zu vermarkten. Denn Lösungen, die nicht durchgängig funktionieren oder unprofessionell gestaltet sind, verleihen einem jungen Unternehmen schnell das Image einer Bastelfirma", ist Geschäftsführer Olaf Frommann überzeugt.

"Derzeit suchen wir für alle vakanten Positionen erfahrenes Personal. Diese Mitarbeiter arbeiten in der Regel effektiver, motivierter und gehen systematischer vor." Mit Hochschulabgängern hat Frommann dagegen schon schlechte Erfahrungen gemacht: "Geringe Leistungsorientierung, überzogene Gehaltsvorstellungen und lange Einarbeitungsphasen sind keine Seltenheit." Jana Smolawa, ehemalige SAP-Entwicklungsleiterin und Mitinhaberin der Lighthouse Management Consulting & Software, sieht den Grund dafür vor allem in der praxisfernen Ausbildung: "An der Hochschule lernen Informatiker nicht, wie und wann man kommuniziert. In Teams, die Anforderungen selbständig umsetzen müssen, sollte mindestens ein erfahrener Mitarbeiter sein. Reine Frischlingstruppen brauchen erfahrungsgemäß für eine mittlere Aufgabe dreimal so lang wie Teams mit einem projekterfahrenen Mitspieler."

Außerdem leidet die Qualität - der Grund: "Alte Hasen testen besser", erklärt Beraterin Smolawa. "Die überprüfen neben dem Hauptprozess auch Ausnahmen. Im Lauf der Jahre haben sie gelernt, dass Kundeninteressen und kreative Umsetzung nicht immer Hand in Hand gehen und dass Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit einer Anwendung wichtiger sein können als der letzte technische Schrei." Vor allem konzernerfahrene Kräfte sind noch aus einem anderen Grund wertvoll für IT-Startups: Im Idealfall bringen sie ein Netzwerk an Kontakten mit, das den anvisierten Schulterschluss mit der Old Economy erleichtert.

Während traditionelle Mittelständler und große Konzerne dem krisengeplagten Nachwuchs zeigen, wie man im E-Business Geld verdient, sind zahlreiche Dotcoms gescheitert, weil ihnen Erfahrung, Struktur und Netzwerke fehlten. "Kontakte, etwa in die Führungsetagen großer Telekommunikationsanbieter, können das Geschäft erheblich beschleunigen", behauptet Jürgen Lukas, dessen Scaraboo AG interaktive Quiz- und Glücksspiellösungen für das Internet und mobile Technologien im Umfeld von WAP oder SMS entwickelt und betreibt. Insgesamt hält Lukas ein heterogenes Team für am besten: "Bei uns arbeiten studierte Kaufleute und Wirtschaftsingenieure ebenso wie Studienabbrecher. Im IT-Bereich zählt vor allem Know-how. Dafür ist nicht unbedingt ein abgeschlossenes Informatikstudium notwendig, sondern das frühzeitige Sammeln von Erfahrung." Seit der Begriff New Economy fast zum Stigma geworden ist, tun sich junge Firmen bei der Jagd auf die alte Hasen besonders schwer. Haben die Dotcoms bei der Personalsuche in der Vergangenheit vor allem auf persönliche Kontakte gesetzt, nehmen sie jetzt zunehmend professionelle Hilfe in Anspruch. Allerdings müssen Personalberater sorgfältig ausgewählt werden. Branchenkenntnisse sind unerlässlich. "Der Personalberater sollte eigentlich wissen, wie Software entsteht und welche Voraussetzungen der gesuchte Hardware- oder Netzspezialist grundsätzlich braucht", sagt Beraterin Smolawa.

Konzepte versanden in alten StrukturenUm eine gute Personalberatung herauszufiltern, hat Smolawa einen einfachen Tipp: "Am besten lässt sich eine Firma im Vorfeld Annoncen für entsprechende Positionen zeigen oder entwerfen. Würde man sich als IT-Spezialist auf die Anzeige bewerben, versteht der Berater sein Handwerk." Zwar ist bei Headhuntern guter Rat nicht billig, es gibt jedoch immer mehr Dienstleister, die den weniger finanzkräftigen Nachwuchsunternehmen adäquate Angebote machen und für Startups beispielsweise erfolgsabhängige Zahlungsmodelle bieten.

Wenn sie sich geschickt darstellen, sind junge Firmen trotz der aktuellen Katerstimmung in der New Economy für gute Bewerber attraktiv: "Das große Plus dieser Firmen ist ihre Schnelligkeit. Das lockt flexible Kräfte aus der Old Economy. Viele von ihnen haben erfahren, wie innovative Ansätze und neue Konzepte in den Strukturen großer Konzerne versandet sind", sagt Tim Schwarz von der Berliner Headhunter-Agentur Headstep. "So hatte etwa Bertelsmann das Konzept für den Online-Buchhandel lange vor Amazon in der Schublade. Der Vorsprung wurde verschenkt. Vom Wechsel in eine junge Firma versprechen sich erfahrene Kräfte vor allem die Chance, Konzepte direkt und schnell umzusetzen."

*Mirjam Müller ist freie Journalistin in Hamburg.

Weniger Karrieremodelle für erfahrene ComputerexpertenSelbst einige Stars des Neuen Marktes sind in den letzten Monaten ins Straucheln geraten. Für erfahrene IT-Experten ein Argument mehr, die Jobangebote dieser Arbeitgeber genau zu prüfen, meint Jana Smolawa* im Gespräch mit Mirjam Müller.

CW: Seit der Krise in der New Economy tun sich vor allem junge Unternehmen mit der Suche nach erfahrenen IT-Profis schwer.

Smolawa: Derzeit ist es nicht einfach, erfahrene IT-Leute zu finden. Das liegt auch an einer Hire-and-fire-Mentalität, die sich im Moment breit macht. Intershop sprach noch im Dezember 2000 davon, die Mitarbeiterzahl zu verdoppeln, einen Monat später gab es einen Einstellungsstopp und Entlassungen. Ähnliche Meldungen kommen von Pixelpark und anderen Vorzeigeunternehmen der New Economy. Das weckt kein Vertrauen - insbesondere nicht, wenn man Ende 30 ist und befürchten muss, nach einer Entlassung aus Altersgründen keinen Job mehr zu bekommen.

CW: Keine Chance also auf die notwendige Verstärkung durch alte Hasen?

Smolawa: Wenn sich die Firmen von ihrem Jugendlichkeitswahn verabschieden würden, hätten sie gute Chancen. Es gibt sehr gute Leute über 45 Jahren mit Kenntnissen, die auf dem neuesten Stand sind. Eine vernachlässigte Klientel sind Frauen, auch Wiedereinsteigerinnen. Bei Profis lassen sich Kenntnisse durch Weiterbildungen gut auffrischen. Auch das Angebot von Teilzeit, flexiblen Arbeitszeiten und Heimarbeitsplätzen würde den Firmen mehr qualifizierte Bewerber bringen. Die Umsetzung ist nur eine Frage der Arbeitsorganisation und nirgends besser möglich als in der IT.

CW: Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang Aufstiegschancen?

Smolawa: In Deutschland existieren so gut wie keine Angebote für Fachkarrieren. Gute IT-Kräfte, die weiterkommen wollen, müssen ins Management wechseln. Hier wären neue Modelle sehr wichtig. Denn in der Regel sind IT-Profis schlechte Manager.

CW: Eine entscheidende Rolle spielt die Bezahlung. Da können Startups kaum mit den Gehältern der Konzerne mithalten

Smolawa: Da ist Kreativität gefragt. So können etwa Cafeteria-Systeme mit Leistungspunkten für die Einhaltung der vereinbarten Ziele helfen. Die Mitarbeiter können sich aus verschiedenen Leistungen das aussuchen, was sie interessiert. Das kann die Teilnahme an einem IT-Kongress in den USA, der Porsche übers Wochenende oder ein Wohnungsbaudarlehen sein.

*Jana Smolawa ist Mitinhaberin der Lighthouse Management Consulting & Software GmbH, einem Beratungsunternehmen im SAP-Umfeld mit Projekten aus den Bereichen Organisations-Management, Geschäftsprozessoptimierung, Workflow und Human Resource.