Telecom-Markt/Gut vier Jahre nach seiner Öffnung tritt der deutsche TK-Markt auf der Stelle

Wettbewerber in der Hängematte

05.04.2002
1. Januar 1998 - da war doch was? Richtig, die vollständige Liberalisierung des deutschen TK-Marktes, von der jetzt viele - nicht nur die betroffenen Anbieter - enttäuscht sind. Während der Mobilfunk schon in den 90er Jahren einen wirtschaftlichen Siegeszug antrat und auch durch die aktuelle UMTS-Diskussion kaum an Zukunftsfähigkeit eingebüßt hat, sieht die Situation im Festnetz ernüchternd aus.

Hans-Willi Hefekäuser, Leiter des Zentralbereichs Ordnungs- und Wettbewerbspolitik der Deutschen Telekom AG, gilt gemeinhin als erbitterter Kämpfer in eigener Sache. Der gebürtige Rheinländer ist Insidern zufolge im Privatleben aber auch ein begnadeter Büttenredner im Kölner Karneval - eine Kenntnis, die dann gelegentlich dazu führt, dass sich der Beobachter bei manchen öffentlichen Einlassungen Hefekäusers zur deutschen Wettbewerbslandschaft im TK-Sektor tatsächlich ins Reich der Jecken und Narren versetzt fühlt. Das Problem ist nur: Der Telekom-Manager trifft, wenn auch nicht immer rhetorisch, dann doch häufig in der Sache ins Schwarze.

Erst vor wenigen Wochen war in Berlin im Rahmen einer hochkarätig besetzten TK-Konferenz des Wissenschaftlichen Institutes für Kommunikationsdienste (WIK) wieder ein solcher "Auftritt" Hefekäusers zu bewundern. Einiges, wenn nicht alles im deutschen TK-Markt laufe falsch, so der Telekom-Manager, - jedenfalls aus übergeordneten Regulierungsgesichtspunkten. Viele Konkurrenten seines Unternehmens würden Regulierung als "staatliche Aufholjagdgarantie für verschlafenen Wettbewerb" begreifen und instrumentalisieren. Mehr denn je herrsche Rosinenpickerei vor, würden sich die vollmundigen Herausforderer der Telekom nur auf die Ballungsgebiete konzentrieren, wo zahlungskräftige (Geschäfts-)Kunden, hohe Dichte der Anschlüsse und geografische Gegebenheiten wie kurze Netzanbindung halbwegs vernünftige Margen garantierten. "Wir sehen niemanden bei den Ortsnetzanschlüssen im Bayerischen Wald, wir sehen niemanden bei den rund 1,9 Millionen Anschlüssen für sozial Schwache, und wir sehen niemanden, der breitbandige DSL-Anschlüsse in der Fläche anbieten will", machte Hefekäuser seine Zuhörerschaft gewohnt pointiert auf die seiner Meinung nach extreme Schieflage des Wettbewerbs aufmerksam. Will heißen: Fast immer wird auf die Netzinfrastruktur des Ex-Monopolisten zurückgegriffen, die dieser zu von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) genehmigten Preisen seinen Konkurrenten zur Verfügung stellen muss und wo diese dann ihr Glück mit wie auch immer gearteten Services und Angeboten versuchen. Hefekäusers wenig erbauliches Fazit lautete daher: "Wir haben es im deutschen TK-Markt mit einer ausgeprochenen Hängematten-Mentalität zu tun."

Unübersichtliche GemengenlageNun liegt in der Tat ein, wenn nicht das entscheidende Defizit des deutschen TK-Markts genau dort, wo der streitbare Telekom-Verantwortliche den Finger in die vermeintliche Wunde vieler Wettbewerber legt. Dass Hefekäuser also, wie eingangs erwähnt, Recht hat, bringt jedoch die Entwicklung im Markt keinen Schritt in Richtung Problemlösung weiter. Denn er greift seine Konkurrenz mindestens im gleichen Ausmaß auch zu Unrecht an. Gut vier Jahre nach dem seinerzeit magischen Datum 1. Januar 1998 hat man es jedenfalls mit einer kaum noch übersichtlichen Gemengen- und Interessenlage im einst mit viel Vorschusslorbeeren und Hoffnungen gestarteten liberalisierten deutschen TK-Markt zu tun. Festzustehen scheint nur: Der von vielen erhoffte und gewünschte "Wettbewerb der Investoren" hat bis dato kaum stattgefunden. Und wo doch, wird er vom Ex-Monopolisten Telekom zum Teil massiv behindert - in Kombination mit einer manchmal nicht ganz glücklichen Rolle der Regulierers. Oder aber es werden Milliarden locker gemacht wie bei der Versteigerung der UMTS-Mobilfunklizenzen, um nachher aus dem Bieterrausch aufzuwachen und sich über den Kater zu wundern. Ein Thema, über das bekanntermaßen gesondert zu reden wäre.

EU-Kommission macht DruckHilfreich bei einer Beurteilung - wenn auch nur bedingt - ist ein Blick auf die Fakten. Wobei diese sich momentan, so weit verifizierbar und interpretierbar, großer Beliebtheit und Publicity erfreuen. Schließlich steht (auf Druck der Brüsseler EU-Kommission) im kommenden Jahr und damit in der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages die Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) an, der Magna Carta dessen sozusagen, was man sich anno 1998 (und vorher) an Blütenträumen erdacht und erhofft hat. Ganze Heerscharen von Verwaltungs- und Verfassungsjuristen sowie Betriebswirtschaftler befassen sich derzeit mit den zwei Grundsatzfragen: Hat das TKG in seiner vorliegenden Fassung einen funktionierenden Wettbewerb ermöglicht, und/oder muss es gegebenfalls an einigen Stellen modifiziert werden? Spannend dürfte(n) die Antwort(en) darauf allemal sein - und ergiebig für ein ganzes Semesterprogramm an den einschlägigen Fakultäten.

Viele Anbieter blasen zum RückzugFür den nüchternen Marktbeobachter indes ist die Sache eindeutig: Vier Jahre nach der Marktöffnung bläst ein Großteil der Branche zum - zumindest partiellen - Rückzug. Vor allem im Festnetzgeschäft, wo 1998 mit Call-by-Call und kurze Zeit später mit Preselection im Fernbereich quasi der Urknall des Wettbewerbs ertönte. Namen wie Teldafax, Viatel, Callino, Star Telecom und Firstmark stehen inzwischen für Pleiten, prominente Anbieter wie Debitel und Talkline haben ihre Aktivitäten im Festnetz ganz oder teilweise eingestellt. Lediglich drei Festnetzanbieter, die ihren Fokus stark auf Geschäftskunden richten, konnten sich bis dato nennenswert im Markt postionieren: Colt Telecom, Worldcom und BT Ignite. Doch auch die haben, wie jüngste Geschäftszahlen belegen, Schwierigkeiten. Der überwiegende Mehrheit der einst über 350 lizenzierten Carrier kämpft, wie die "Wirtschaftswoche" in einer kritischen Branchenanalyse schon vor einigen Monaten feststellte, "in der Nische ums Überleben". Nirgendwo sonst auf der Welt sei ein TK-Markt so zersplittert, außer dem "Vollsortimenter" Arcor und den eben genannten Carriern im Business-Kunden-Segment gebe es im Festnetzbereich kaum einen Herausforderer, der auch annähernd Gewicht in die Waagschale werfen könne.

Jetzt stecken die Privaten in einem Teufelskreis, aus dem es kaum noch ein Entrinnen gebe. Der Grund ist einfach und frappierend zugleich: Call by Call und Preselection haben, wie Experten ironisch kommentieren, ihre Schuldigkeit in den ersten Jahren des "freien Marktes" längst getan, gelten jetzt als Auslaufmodelle, mit denen kein Kunde mehr margendeckend hinter dem Ofen hervorzulocken ist. Immerhin hat die Telekom bei Ferngesprächen so deutlich wie nirgendwo sonst an Marktanteilen verloren (siehe Abbildung "Marktanteilsverluste der Telekom"). Wenn sich nun die Spreu vom Weizen trenne, sei auch das eine "normale Marktentwicklung".

Bei dieser Argumentation wird jedoch vielfach vergessen, dass dies nur der Anfang eines auf die komplette Marktöffnung ausgerichteten Szenarios war. Denn weitaus ernüchternder, um es zurückhaltend zu formulieren, sieht es in anderen Segmenten des deutschen TK-Marktes aus. Die Tatsache, dass die Telekom bei Ferngesprächen massiv Federn lassen musste, wurde nämlich teuer erkauft. Vor allem die vielen kleinen Wettbewerber waren und sind es, die einem ruinösen Preiskampf Tribut zollen mussten. Binnen drei Jahren sank der Minutenpreis für Ferngespräche von 0,30 auf teilweise unter 0,04 Euro. Der Preisverfall führte wiederum zu einer Art vergeblichen Quadratur des Kreises: Viele Gesellschaften konnten ihre Services nicht mehr kostendeckend anbieten, mangels einer nennenswerten Zahl an Vertragskunden fehlt(e) es zudem nicht nur an Planungssicherheit, sondern an Kapital, um in neue Dienste und vor allem Infrastruktur zu investieren. Die Folgen, um auf besagte andere Segmente zurückzukommen, sind heute frappierend: Noch immer hält die Telekom beispielsweise im Ortnetzbereich einen Marktanteil von mehr als 95 Prozent. Bei analogen Telefonanschlüssen kommen die Konkurrenten der Telekom gerade einmal auf 0,4 Prozent, bei ISDN-Anschlüssen auf 2,4 Prozent - nachzulesen im jüngsten Weißbuch der Reg TP.

Marktöffnung mit GeburtsfehlerJetzt rächt es sich, so die Ansicht vieler Experten, dass die Liberalisierung des deutschen TK-Marktes von Beginn an mit einem Geburtsfehler behaftet war: der Fokussierung auf reine Sprachübetragung, statt in großer Zahl Lizenzen für den Netzbetrieb zu vergeben - und dies auch durch ein entsprechendes regulatorisches Umfeld zu forcieren. Doch das Kind ist längst in den Brunnen gefallen, guter Rat im wahrsten Sinne des Wortes teuer. Gut 80 Prozent der insgesamt 120 privaten TK-Unternehmen in Deutschland, die eine Lizenz zur Sprachübertragung besitzen, dürften in den kommenden zwölf Monaten entweder durch Konkurs oder Fusionen "die Flagge streichen", ging schon im Herbst vergangenen Jahres Joachim Dreyer, Präsident des Verbandes der Anbieter von Telekommunkations- und Mehrwertdiensten (VATM) auf die Barrikaden. Genützt hat es wenig.

Die Probleme, die hinter Aussagen wie diesen steck(t)en, sind weitgehend bekannt. Vielfach hat die Telekom die so genannten Vorleistungspreise für die private Konkurrenz, etwa die Gebühren für den Netzzusammenschluss (Interconnection) oder die Mehrkosten für technische Einrichtungen an Knotenpunkten (Kollokationsräume) hochgetrieben - um dann so spät wie möglich und nur so weit nötig nach oft juristischen Auseinandersetzungen mit dem Regulierer doch zurückzurudern.

Negativbeispiel: TeilnehmeranschlussleitungAnschaulichstes Beispiel dürfte in diesem Zusammenhang das Problem der Teilnehmeranschlussleitung (TAL) im Ortsnetzbereich gewesen sein, bei dem die Reg TP im März vergangenen Jahres den Preis der monatlichen Miete für andere Marktteilnehmer von 12,20 Euro senkte, gleichzeitig der Telekom aber auferlegte, im Zuge eines so genannten Line Sharings die Kupferleitung auf der viel zitierten letzten Meile zum Kunden getrennt nach dem jeweiligen Aufkommen im Sprach- und Datenverkehr zu berechnen. Dies sollte den Wettbewerbern ermöglichen, sowohl bei Telefongesprächen im Ortsnetz als auch beispielsweise bei breitbandigen DSL-Internet-Anschlüssen wirtschaftliche Angebote zu entwickeln.

Genau dies jedoch war, jedenfalls nach Lesart der Telekom-Konkurrenten und nach Lage der Dinge auch objektiv, nicht möglich. Zum einen fiel die vom Regulierer angeordnete TAL-Preissenkung um nur eine Mark nach Ansicht der meisten Experten viel zu gering aus, zum anderen nutzte die Telekom ihrerseits die Weisung der Reg TP, um mit offiziellem Segen des Regulierers entsprechende Bündel- und Dumping-Angebote zu machen. Mit großem Erfolg, wie die derzeit rund 2,3 Millionen verkauften T-DSL-Anschlüsse der Bonner zeigen. Gleichzeitig war dies jedoch ein Bärendienst an der weiteren Marktentwicklung, denn für die privaten Carrier lohnt sich in Zeiten wie diesen nur die Akquise der teuren ISDN- und DSL-Anschlüsse, um darauf ihre spezifischen Mehrwertdienste und Angebote setzen zu können.

Line-Sharing neuer Rettungsanker?Erst vor kurzem auf der CeBIT kündigte Reg-TP-Präsident Matthias Kurth nun, was das umstrittene Kupfer auf der letzten Meile angeht, eine Art Frontbegradigung an. So darf die Telekom ab sofort von ihren Wettbewerbern nicht mehr als 4,77 Euro pro Monat verlangen, wenn diese im Wege des so genannten Line Sharings nur einen Teil der von der Telekom gemieteten TAL nutzen, nämlich den, auf dem nur Daten übertragen werden. Doch die Kritik der vermeintlichen Nutznießer kam prompt: Zu viel zum Leben, zu wenig zum Sterben, hieß es in Hannover sinngemäß bei Anbietern wie QSC und Riodata, wobei das Wort Sterben bei letztgenannter Company aufgrund einer inzwischen angemeldeten Insolvenz einen besondern Beigeschmack hat.

Und so hat man es im Bereich breitbandiger Internet-Zugänge sowohl im Geschäftskunden- als auch im Privatkundensegment mit einem Problem zu tun, das letztlich typisch für die gesamte Wettbewerbslandschaft im Festnetz ist: Die Kunden sind nur zu einem Wechsel bereit, wenn der private Anbieter besser und billiger ist und nach Möglickkeit auch noch ein besseres "Branding" als der margentafarbene Riese hat, der mit seiner Dominanz im Markt ungebrochen dasteht. Die erforderlichen Investitionen in den Netzausbau, das Marketing und den Kundenservice können jedoch, so besagte "Wirtschaftswoche"-Analyse, "nur noch wenige finanzstarke Gesellschaften" aufbringen. Mit Ausnahme des Marktführers und Ex-Monopolisten fehlt dem gesamten Markt, wie es ein renommierter Branchenexperte anonym gegenüber der COMPUTERWOCHE ausdrückte, "die Kalkulationsgrundlage". (gh)

Abb.1: Marktanteilsverluste der Telekom

Quelle: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post

Abb.2: Preisverfall - aber nicht überall

Während Fern- und Auslandsgespräche billiger wurden, verteuerten sich Anschlussgebühren und Ortsgespräche sogar leicht. Quelle: Statistisches Bundesamt