Kolumne

Wer wird denn gleich offline gehen

07.07.2000
Christoph Witte, Chefredakteur CW

Langsam, ganz langsam beginnen Zweifler zu fragen, ob die seit Jahren anhaltende Internet- und Online-Euphorie nicht doch übertrieben sein könnte. Machten die Marktbeobachter bis vor Monaten, ja Wochen, noch das Wohl der "New Economy" abhängig von Bandbreite, guter Software, Standards und qualifizierten Mitarbeitern, wird nach den ersten Pleiten und gescheiterten Börsengängen nun die Frage nach den Geschäftsmodellen der Dotcoms ernsthafter gestellt. Diese Hürden müssen zumindest Internet-Startups in Zukunft nehmen, wenn sie an Venture Capital gelangen wollen (siehe Seite 37). Doch nicht nur die Risikokapitalgeber fragen sich, was Aussicht auf Erfolg hat. Noch dringender müssen die Vertreter der so genannten Old Economy entscheiden, wie und in welchem Umfang sie sich dem E-Commerce verschreiben. Das Adjektiv "old" bezeichnet hier Firmen, die noch ganz konservativ reale Güter produzieren oder - noch schlimmer - Ladengeschäfte in Fußgängerzonen betreiben.

In Zeiten widersprüchlicher Informationen fällt die Entwicklung eines Web-basierten Geschäftsmodells nicht leicht. Auf der einen Seite prognostizieren fast alle Marktforscher weiterhin eine explosionsartig ansteigende Zahl von Online-Nutzern bei gleichzeitig rasantem Wachstum der im Internet getätigten Umsätze. Aus dieser Perspektive wäre es um jeden Pfennig schade, der nicht in Internet-Projekte fließt. Auf der anderen Seite, erklären (die gleichen!) Auguren, dass die meisten Dotcoms nicht überleben werden und es zu wenig originäre Geschäftsideen gibt.

Angesichts solcher Entscheidungsgrundlagen verwundert es nicht, dass viele Unternehmensbosse zwar um den strategischen Stellenwert des Internet wissen, aber keine Ahnung haben, was sie mit dieser Erkenntnis anfangen sollen. Also wenden sie sich an Berater, die es ebenfalls nicht wissen. Die mögliche Folge: Die Unternehmen fürchten ein E-Commerce-Desaster und machen lieber weiter Geschäfte in der realen Welt. Dabei hat sich noch niemand gefragt, was passiert, wenn Online-Nutzer anfangen, Angebote in nützlich, unterhaltsam oder unbrauchbar zu unterteilen. Spätestens dann bricht die nächste Welle über uns herein - die der Offline-Enthusiasten. Kommentare zu diesem Kommentar? Bitte an cwitte@computerwoche.de.