Vor der Auslagerung führt die Telekom das Verursacherprinzip ein

Wer verbraucht, muß zahlen - auch bei Unix-Ressourcen

21.11.1997

Die Deregulierung des Fernmeldewesens und der Übergang von einer Behörde zu einem nach privatwirtschaftlichen Maximen geführten Unternehmen hat bei der Deutschen Telekom die Kosten verstärkt ins Blickfeld gerückt. Wenn die Informationsverarbeitung ausgelagert werden soll, sind exakte Prozeduren notwendig, mit denen sich die Kosten für die Nutzung der Infrastruktur erfassen und umlegen lassen. Aus Sekundär- müssen Primärkosten werden.

Hinzu kam die vom Management geforderte Konzentration auf weniger, dafür aber größere DV-Systeme mit einer entsprechend höheren Anzahl von Benutzern. Es galt also, das Thema nutzungsbezogenes Accounting ernsthaft in Angriff zu nehmen.

Das "Zählen" des Verbrauchs DV-technischer Ressourcen ist unumgänglich, auch wenn die Aufbereitung der daraus gewonnenen Informationen anderen Prinzipien folgen sollte (Stichwort "Business Accounting"). Die DV-technischen Ressourceneinheiten bilden auf jeden Fall die Kalkulationsgrundlage für die "Preisgestaltung". Denn sonst läßt sich nicht bestimmen, ob der Benutzer oder die Benutzergruppe die Abwicklung der DV-Aktivitäten in eigener Regie möglicherweise kostengünstiger erledigen könnte.

Im Gegensatz zu MVS-Tasks, wo Account-IDs im System bereits vorgesehen sind, lassen sich Unix-Prozesse nur über User- und/oder Programmnamen und/ oder Group-ID identifizieren. Letzteres erwies sich jedoch in der Implementierungsphase als problematisch. Dadurch, daß die Group-ID von bestimmten Applikationen - beispielsweise mindestens zwei der populärsten Datenbanksysteme - für ihre Zwecke herangezogen wird, verändert sich der Inhalt, wodurch er für Accounting-Zwecke unbrauchbar wird.

Bei einigen der für den Probebetrieb ausgewählten Systeme - hier wurde eine Bürokommunikationslösung mit Mail-Server parallel zu einer Business-Applikation betrieben - ergaben sich Namensgleichheiten und Identifikationskonflikte. Diese mußten durch Zuordnung über Tabellen aufgelöst werden. Auch hier verbleibt ein Rest von Ressourcen, die sich nicht zuordnen lassen. Dennoch ist der gewonnene Schlüssel hinreichend genau.

Eine andere Hürde bildete die Menge der erfaßten Daten. Aus Gründen der Speicherplatzoptimierung und der Datenübertragungs-Ökonomie ist es notwendig, zur Vorverdichtung am Erfassungsort "Applikationen" zu bilden. Das sind Prozeßgruppen, die auf der Basis der oben genannten Prozeß-Identifikatoren (also der User- und/oder Programmnamen) zusammengestellt werden. Diese Applikationen erhalten frei wählbare Bezeichnungen und lassen sich dann unter Berücksichtigung der hausinternen Namensgebungs-Konventionen analog zu den Account-Daten aus der Mainframe-Welt weiterverarbeiten.

Schon bei den ersten Überlegungen wurde dabei deutlich, daß einem "hundertprozentig exakten" Accounting technische wie auch organisatorische Hindernisse im Wege standen, verursacht im wesentlichen durch zwei Problembereiche:

- Die erwähnte Vorverdichtung der Performance-Daten vor Ort kann für bestimmte Betriebszustände eine Unschärfe der Auswertung zur Folge haben.

- Die Vielzahl der Benutzer mit ihren unterschiedlichen Kennungen bewirkt ohne Namensstandards für die "Nutzer-zu-Kostenträger"-Identifikationen unter Umständen erheblichen Administrationsaufwand.

Deshalb verzichtete die Telekom-DV auf Maximalforderungen und strebte statt dessen ein technisches und ökonomisches Optimum an. Ein bestimmter Anteil nicht exakt zuzuordnender "sonstiger" Ressourcenverbräuche muß dabei als systembedingt hingenommen werden. Diese Praxis ist vertretbar, denn das Accounting kann nicht um seiner selbst willen betrieben werden, sondern der zusätzliche Aufwand muß auch hier in einem vernünftigen Verhältnis zu seinem Nutzen stehen.

Entsprechend dem Trend zu Standardprodukten entschied sich die Deutsche Telekom, für das IT-Accounting den Performance-Agenten "Measureware" von Hewlett-Packard einzusetzen. Er unterstützt nicht nur das HP-eigene Unix-Derivat HP-UX, sondern auch AIX von IBM und Sun-OS sowie neuerdings auch Sinix und Windows NT. Durch sein "Applikations-Feature" vereinfacht das Produkt auch die Verdichtung der Daten am Entstehungsort.

Die Account-Daten werden zusammen mit weiteren Durchsatzdaten in einer Performance-Datenbank ("MVS Integrated Control System" = MICS von Computer Associates) gespeichert. Dort stehen sie auf Tages-, Wochen-, Monats- oder Jahresbasis für die Rückverfolgung ("Charge-Back") im Einklang mit den Account-Daten der Mainframe-Systeme zur Verfügung.

Allerdings funktioniert dieses Verfahren bislang lediglich mit den genannten Unix-Derivaten. Für die anderen mußte in Eigenarbeit eine Ersatzlösung entwickelt werden. Dazu verwendeten die Telekom-Informatiker die Accounting-Systemdateien des Betriebssystems ("Unix/accton"). Diese Lösung ist insofern heikel, als bei einem Systemabsturz alle zwischengespeicherten Daten verlorengehen.

Rückschreibe-Sicherung für den Systemausfall

Anders bei der Measureware-Umgebung: Durch deren Einbindung in "IT/Operations", eine Operating- und Problem-Ma- nagement-Lösung innerhalb von "HP Openview", ist dafür gesorgt, daß Fehler beziehungsweise irrtümliche oder nicht abgesprochene Eingriffe in die Abläufe oder die Tabellen im Operating sofort einen Alarm auslösen. Darüber macht die Software es möglich, die alten - gesicherten - Zuordnungstabellen-Inhalte direkt und automatisch zurückzuschreiben. Auf diese Weise läßt sich der ursprüngliche Zustand wiederherstellen, und nach einem Ausfall kann der Regelbetrieb fortgesetzt werden.

Die beiden Accounting-Verfahren wurden inzwischen an 80 Systemen erprobt; 40 davon unter HP-UX mit Measureware-Agenten, 40 unter Sinix mit der Interims-Lösung auf Systemdatei-Basis. Zum Abschluß der Erprobungsphase waren 90 Systeme tagesaktuell eingebunden.

Nutzbar auch für Management-Reports

Mittlerweile pflegt die Telekom täglich knapp 1 MB Performance-Daten pro Unix-System in die Datenbank ein. Für jedes System steht ein Speichervolumen von etwa einem halben GB zur Verfügung. Die Datenmengen hängen selbstverständlich stark von der Größe und Nutzungsstruktur der überwachten Systeme sowie von der gewünschten Informationsvielfalt in der Performance-Datenbank ab. Deshalb können sie deutlich von den genannten Werten abweichen.

Im April 1996 verabschiedete die Telekom das Accounting-Betriebskonzept und begann mit der Implementierung der Lösungen im Unix-Bereich. Sie wurden schließlich im September 1996 nach einem mehrmonatigen Probebetrieb an die beauftragende IT-Controlling-Abteilung übergeben. Jetzt läßt sich das Problem in Angriff nehmen, die gesammelten Accounting-Daten für andere Zwecke heranzuziehen - zum Beispiel für die Bildung von Kennwerten im Management-Berichtswesen und die Nutzung im Workload- und Performance-Management für verteilte Anwendungen.

DIE TELEKOM-DV

Nach einer Reihe von Umstrukturierungs- und Konzentrationsmaßnahmen präsentiert sich die DV der Deutschen Telekom heute mit sechs über die Bundesrepublik verteilten Service- und Computer-Zentren (SCZ) unter der fachlichen Führung des Informationstechnischen Zentrums (IZ) in Darmstadt. Diese Zentren beschäftigen rund 2000 Mitarbeiter. Dazu kommen lokale Servicestellen, die in etwa 140 Organisationseinheiten Dienstleistungen vor Ort erbringen.

Die Hardwarestruktur umfaßt Mainframes mit einer Leistung von weit über 10000 MVS-, VM- und BS2000-MIPS sowie rund 2000 Server und Mehrbenutzersysteme unterschiedlichster Herkunft. Sie laufen unter HP-UX, AIX, Sun-OS, Sinix und anderen Betriebssystemen. Auf Grundlage dieser Infrastruktur stellt die Telekom-DV über 100 000 Benutzern rund 400 Applikationen mit sehr unterschiedlichem Ressourcenverbrauch zur Verfügung.

*Reinhold Schlüpmann ist beim Informationstechnischen Zentrum der Deutschen Telekom AG in Darmstadt als Projektleiter im Bereich "Planung und Bereitstellung Enterprise- Managementsysteme" tätig.