Karriere mit Moorhuhn und Co.

Wer spielt mit?

16.06.2000
Computer- und Videospiele boomen. Weil immer mehr deutsche Firmen an die Börse gehen, bieten sich in diesem Segment zunehmend gute Karrierechancen für Informatiker. Von Cornelius Storm und Paul Estee*

Ein paar von ihnen gelten in Amerika fast schon als Popstars. Die obersten Programmierer bei Spiele-Kultfirmen wie Jon Cormack von id Software (bekanntestes Produkt: Quake) oder Tim Sweeny von Epic Games (Unreal) sind in den USA Hunderttausenden von Computerspielern bekannt. So verlockend das klingt. Die deutsche - und gewöhnlich auch die amerikanische - Wirklichkeit der Spieleprogrammierer sieht anders aus.

Dennoch wird es gerade hierzulande für junge Informatiker immer interessanter, in die bunte Welt der Unterhaltung einzusteigen. Einerseits finden immer mehr Konsumenten Gefallen an Moorhuhn und Konsorten. Zum anderen agiert die einst als Freak-Szene verschriene Spielebranche auch in der Bundesrepublik immer professioneller.

Ein Milliardengeschäft

"Wir werden immer noch belächelt", sagt Marc Möhring, Chief Executive Officer (CEO) der Computerspiele-Firma Innonics. Denn wer mit einem Informatikdiplom in der Tasche in Deutschland einen Job sucht, ist gefragt: Startups locken mit Stock Options, etablierte Firmen mit sechsstelligen Jahresgehältern. Die Spielebranche, die ebenfalls dringend Programmierer benötigt, bleibt da oft außen vor. Dabei ist es eine boomende Branche: 1999 setzten die Firmen allein in Deutschland nach Angaben des Verbandes der Unterhaltungssoftware-Industrie Deutschlands (VUD) mehr als drei Milliarden Mark um; bei großen Projekten amerikanischer Unternehmen erreichen die Entwicklungsetats inzwischen mehrere Millionen Dollar.

Das meistverkaufte Spiel hierzulande, Anno 1602, ging allein650 000 Mal über den Ladentisch. Anno 1602 wurde übrigens in Österreich entwickelt und hat stark zum Selbstbewusstsein der Europäer beigetragen. Mittlerweile professionalisieren sich die Deutschen immer stärker. Und schicken sich an, den Amerikanern und Engländern, die bei den Spielen fast ebenso beherrschend sind wie in der Filmbranche, gegenzuhalten.

"Heutzutage lässt sich für 200 000 bis 700 000 Mark kein Produkt mehr auf Weltmarktniveau herstellen", ist Möhring überzeugt. Die Programmierer seien es leid, wie früher für 3000 Mark brutto zu arbeiten. "Es setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass man seinen Leuten ordentlich Geld zahlen muss", so der Spieleprofi.

Bis dato haben drei Unternehmen den Sprung an den Neuen Markt gewagt, weitere werden folgen. Shootingstar ist die Bochumer Phenomedia AG, deren Werbespiel Moorhuhnjagd es sogar auf die Titelseite der Bildzeitung schaffte. Phenomedia beschäftigt sich aber nicht nur mit simplen Auftragsspielchen, sondern entwickelt derzeit mit Gothic auch ein "großes" Spiel. Dazu haben die Bochumer mit Codecreatures eine eigene Abteilung, die eine neuartige 3D-Engine programmiert, die später an andere Entwickler lizenziert werden soll.

Goldene Zeiten für Informatiker: Nahezu alle deutschen Entwickler haben derzeit Vakanzen. Dank frischen Geldes aus Venture-Capital und Börsengängen ist die Bereitschaft gewachsen, konkurrenzfähige Gehälter zu zahlen. Es werden allerdings auch überdurchschnittlicher Einsatz, Kreativität, Teamfähigkeit und eine gewisse Identifikation mit dem Produkt erwartet, auch wenn der Bewerber nicht mehr zwangsweise ein Spielefreak sein muss, um Fuß zu fassen. Dafür liegt auch der Spaßfaktor hoch - schließlich geht es nicht um dröge Bürosoftware, sondern um Programme, an den Menschen so viel Freude haben sollen wie an einem gutgemachten Film. Auf formale Qualifikationen und Abschlüsse wird nicht primär Wert gelegt, das tatsächliche Können ist wichtiger. Daher stehen die Chancen auch für Quereinsteiger und Studienabbrecher nicht schlecht.

Profis sind gefragt

"Mit Hackern können wir nichts anfangen", erzählt Holger Grün. Der Head of Research and Development bei der Münchner Spielefirma Discreet Monsters braucht Leute, die strukturiert und im Team arbeiten können. Der einsame Programmierer, der nachts allein im Hobbyraum sitzt und Zeile um Zeile Code in seinen Computer tippt - er hat ausgedient. Sobald ein neues Spiel entwickelt wird, gehören Informatiker inzwischen von der ersten Konzeptphase an zum engen Kreis des Teams. Sie müssen wissen, welche technischen Grundlagen gefragt sind, und mit entscheiden, ob diese innerhalb des gegebenen Zeit- und Budgetrahmens realisierbar sind. Ist das geklärt, kommt die eigentliche Arbeit der Engine-Entwicklung.

Da geht es nicht nur darum, aufwendige Grafikroutinen zu schaffen, sondern um Struktur. Der Programmcode muss modular aufgebaut sein, damit bei technischen Weiterentwicklungen nicht das ganze Grundgerüst, sondern nur einzelne Bestandteile ausgetauscht werden müssen. Die Entwickler müssen darauf achten, dass sich das Spiel ohne allzu viel Aufwand auf andere Spiele-Plattformen portieren lässt. Denn längst erscheinen viele Titel gleichzeitig auf dem PC, auf der Playstation von Sony oder dem Dreamcast von Sega.

Die Computerprofis müssen Entwicklungsumgebungen schaffen, also Programme und Editoren, mit denen die Spiel-Designer später arbeiten. Dass all diese Tools gut dokumentiert und sauber strukturiert sind, gehört zu den Aufgaben des Informatikers. Nicht nur, weil es in der eigenen Firma ordentlich zugehen sollte, sondern weil viele Hersteller ihre oftmals mit Millionenaufwand produzierten Softwarepakete an andere lizenzieren. Umfangreiche Recherchen gehören in der Entwicklungszeit ebenfalls dazu. Da sollte der Spieleprofi schon mal in der Lage sein, in amerikanischen Colleges und Forschungseinrichtungen nach einer Problemlösung in Sachen Fuzzy Logic zu suchen, weil sich ein paar Figuren im Spiel seltsam verhalten. Oder mit einem englischen Spezialisten per E-Mail-Diskussion herausfinden, wie sich eine3D-Animation besonders eindrucksvoll darstellen lässt.

Mit dem, was angehende Informatiker an deutschen Universitäten und Hochschulen lernen, ist Grün zufrieden. "Die Kurse zu 3D-Grafik, Fuzzy-Logic und Künstliche Intelligenz sind praxistauglich", meint er. "Was ein wenig fehlt, sind Schwerpunkte in Sachen Softwareengineering und darüber, wie man Programm-Lebenszyklen plant." Außerdem wünscht er sich, dass weniger mit Linux und vom Start weg mehr mit Windows gearbeitet wird; in der Praxis zahlten sich detaillierte Kenntnisse da sehr schnell aus.

Noch mehr Wachstum

Insgesamt stehen die Chancenalso nicht schlecht: Der Markt boomt - und steht trotzdem immer noch am Anfang. Neben den klassischen Spielen, die im Laden 80 Mark kosten, entscheiden sich immer mehr Markenartikler für Cross-Marketing mit Unterhaltungssoftware. RTL ist Vorreiter: Natürlich gibt es ein Spiel zu Big Brother, aber auch Skispringen 2000 Medicopter 117 gehören dazu. Der riesige Markt der Online-Spiele, egal ob als simpleJava-Applikation oder mit 3D-Grafik, ist noch kaum erschlossen. Und für alles werden fähige Informatiker benötigt.

*Cornelius Storm und Paul Estee sind freie Journalisten in München.