Gamifikation

Wer spielt, arbeitet motivierter

23.10.2014
Von Jürgen Rees

Den Spieltrieb entdeckt

Walz nutzt seine persönlichen Erfahrungen und entwickelt gerade mit seinem Team in Karlsruhe gemeinsam mit dem Pharmakonzern Novartis ein Spiel: Es soll Diabetes-Patienten spielerisch dazu animieren, ihren Lebensstil nachhaltig zu ändern, sich gesünder zu ernähren und sich mehr zu bewegen.

Die Erwartung ist: Spielerische Elemente sollen die Motivation steigern. Das klappt auch am Arbeitsplatz bestens, wie Byron Reeves herausfand, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Stanford-Universität. Ein wesentliches Element sei dabei ein deutliches und sofortiges Feedback auch nach kleinen Projekterfolgen und nicht erst am Jahresende in Form eines Bonus. Das entspricht der Strategie in Spielen, eine Aufgabe - etwa einen Feind zu besiegen - in viele kleine Abschnitte zu zerlegen und das Erreichen einer neuen Stufe mit Punkten und Auszeichnungen zu feiern.

Das Prinzip ist nicht neu. Die Initiatoren machen sich ein Konzept zunutze, das die Verhaltenstherapie schon in den Sechzigerjahren nutzte: Die sogenannte Token Economy ist ein systematisches Belohnungssystem, das durch die gezielte Vergabe von Tauschgegenständen, etwa Münzen, Verhalten ändern soll. Tut der Betreffende das Gewünschte, erhält er Tokens. Die kann er dann nach einem festgelegten Plan in begehrte Aktivitäten oder Dinge tauschen, etwa fünf Tokens in einen Kinobesuch. Was heute chic Gamifikation heißt, ist im Grunde eine Weiterentwicklung dieses Systems, das ursprünglich in psychiatrischen Anstalten oder Gefängnissen angewandt wurde. Heute wird es vor allem um spielerische Elemente ergänzt, beispielsweise aus Fantasy-, Baller- oder Rollenspielen.

Ein Vorbild ist etwa das weltweit meistverkaufte Handyspiel des finnischen Entwicklerteams Rovio Entertainment namens Angry Birds (englisch für Zornige Vögel). Innerhalb des Spiels gibt es ein klares Ziel: Eliminiere möglichst viele grüne Schweine, indem du sie und ihre Verstecke mittels Steinschleudern mit Vögeln beschießt. Der Spieler erhält bei jedem abgefeuerten Federvieh sofort Feedback, indem er beispielsweise ihren Einschlag hört, Objekte lautstark explodieren sieht oder Jubel ertönt. Anschließend summiert das Spiel die Punkte für die erbrachte Leistung. All diese Aspekte stimulieren das Unterbewusstsein weiterzumachen. Der Spieler will seine Fähigkeiten und die erreichten Punktestände kontinuierlich verbessern.

Solche Spiele gibt es schon eine Weile, Angry Birds stammt beispielsweise aus dem Jahr 2009. Die Frage ist: Warum entdecken die Firmen ausgerechnet jetzt den Spieltrieb? Ganz einfach: Weil ihre Kunden und Mitarbeiter genau das erwarten. "Wer heute in den Beruf kommt, hat schon mehr als 10.000 Stunden mit Videospielen verbracht", erklärt Mario Herger, der für das Walldorfer Softwareunternehmen SAP eine weltweite Initiative zur Gamifizierung im Unternehmen leitet und jetzt mit seiner Firma Enterprise Gamification Consultancy von Kalifornien aus Unternehmen bei der Gamifizierung berät. Er ist überzeugt, dass alle Firmen in Zukunft nicht umhin kommen, ihr Geschäft für die Berufsstarter kompatibel zu machen. Die Generation Y gehe dahin, wo ein Spiel läuft, ist Heike Simmet, Professorin für Betriebswirtschaftslehre in Bremerhaven, überzeugt.

SAP ist nicht alleine, es gibt in vielen Branchen (siehe oben) eindrucksvolle Beispiele, wie gut Gamifikation funktioniert:

Verkäufer auf dem Kriegspfad

Die niederländische Rabobank, die in über 48 Ländern fast 60.000 Mitarbeiter beschäftigt, hat eine eigene Abteilung, die sich damit befasst, spielerische Elemente im Finanzbereich einzusetzen. Maarten Molenaar, Gamifikation-Manager der Bank, fahndet nach den Erfolgsprinzipien guter Spiele: "Das Geheimnis erfolgreicher Gamifikation lautet: Kein Ziel ist erstrebenswerter als positive Emotionen."