Gamifikation

Wer spielt, arbeitet motivierter

23.10.2014
Von Jürgen Rees
Wer den Spieltrieb des Menschen clever anspornt, kann ihn erfolgreich motivieren und Kunden besser binden. So wie Nike, SAP und die Rabobank setzen bereits viele Unternehmen auf diese Strategie.

Wenn Steffen Walz das Kunstwort Gamifikation erklären will, ist er selbst sein bestes Beispiel. Der Spieleforscher am Royal Melbourne Institute of Technology im australischen Melbourne erhielt kurz vor seinem 40. Geburtstag von seinem Arzt eine unerwartete Diagnose: Diabetes Typ 2. Zuckerkrank, dafür fühlte sich der Vater zweier kleiner Kinder viel zu jung. Doch seine Kochleidenschaft hatte sichtbare Spuren auf den Hüften hinterlassen. Die Kilos sollten weg. Walz, der auch ein Spiele-Labor in Karlsruhe leitet, verzichtete auf Alkohol und pflegte wieder seine alte Leidenschaft Tischtennis. Aber das Wichtigste: Er verbündete sich mit seiner intelligenten Waage namens Aria des Herstellers Fitbit.

Sie tut zuerst, was alle Waagen tun: wiegen, den Body-Mass-Index sowie den Fett- und Wassergehalt bestimmen. Doch sie kann noch mehr - sie sendet die Werte auch an Mitstreiter im Netz, die darum wetteifern, wer am meisten Gewicht verliert. Alles wird gemessen und in Grafiken abgebildet. Wer macht die meisten Schritte pro Tag, ist am meisten in Bewegung? Wer sein Gewichtsziel erreicht, wird vom System, den Mitstreitern und, wer das will, per Twitter und Facebook angefeuert. Walz maß sich mit seiner Frau. Der Wettkampf trieb beide an: Ihre Gewichtskurven zeigten steil nach unten. Nach vier Monaten hatte er 20 Kilogramm Gewicht verloren und fühlte sich pudelwohl.

Für Walz ist klar: Fast überall lassen sich hilfreiche Spielsituationen einbauen, von der Belohnung für korrektes Zähneputzen, für die Extraportion Bewegung nach dem Mittagessen bis hin zu nervigen Haushaltstätigkeiten oder monotonen Arbeiten. Gamifikation nennt sich dieser Trend und meint, typische Elemente aus Spielen im vermeintlich ernsten Alltag zu nutzen. Dazu gehören etwa Highscores, also Tabellen, sortiert nach den Punktzahlen von Spielern, die diese beispielsweise für das Besiegen von Gegnern, Einsammeln von Schätzen oder schlichtes Überleben erhalten haben. Aber auch Fortschrittsbalken, die das Erledigen von Aufgaben visualisieren, Belohnungen oder Auszeichnungen zählen dazu, all das eingebettet in eine Geschichte. Die Programme nutzen unseren Spieltrieb und den Wunsch, sich zu vergleichen, um zu begeistern, etwas beizubringen oder monotone Arbeiten interessanter zu machen. Immer mehr Firmen setzen auf diese Methode.

Damit werden im Zeitalter des Computerspiels Spaß und Unterhaltung zu einer neuen Währung im Austausch für Arbeit. Der Unternehmensberatung Gartner zufolge breitet sich der Trend rasant aus: Schon 2015 wird es in 70 Prozent der 2000 größten Unternehmen der Welt solche spielerischen Anwendungen geben. Die Marktforscher von M2 Research erwarten, dass Firmen bereits 2016 knapp drei Milliarden US-Dollar damit verdienen werden, die Wirtschaft zum Spielplatz umzubauen. 2012 lag der Umsatz noch bei lediglich 220 Millionen US-Dollar.

Spielerisch gegen Diabetes

Das Geschäft spielerischer zu gestalten ist mittlerweile eine eigene Branche geworden. US-Unternehmen wie Badgeville und Bunchball bieten als Pioniere der Gamifizierung Systeme an, um etwa Leistungsvergleiche in die Web-Seiten der Kunden zu integrieren. Der US-Konzern Salesforce, Anbieter von Cloud-Computing-Diensten, hat Gamifikation in Produkte für den Vertrieb und den Kundenservice integriert.