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"Wer sich nicht integrieren kann, ist draußen"

22.01.2001
Anlässlich der Portal-Technologie-Tage 2001 sprach die COMPUTERWOCHE mit Gerold Riempp vom Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) der Universität St. Gallen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Anlässlich der Portal-Technologie-Tage 2001 sprach CW-Redakteur Alexander Freimark mit Gerold Riempp vom Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) der Universität St. Gallen.

CW: Wo liegen die technischen Probleme bei der Implementierung von Portalen?

RIEMPP: Das kommt auf die Legacy-Struktur des Unternehmens an. Auf der einen Seite gibt es Firmen, die eine klare Produktlinie fahren. Sie haben etwa SAPs R/3 im breiten Einsatz und halten sich streng an Standards, was zu einer klaren Linie bei der Infrastruktur geführt hat. Wenn diese Unternehmen dann beispielsweise “Mysap.com Workplace” als Portalsoftware aufsetzen, überlassen sie die Integration zu einem erheblichen Teil dem Softwarehersteller. Bei der Abbildung der Prozesse in die Systeme bleibt aber auch hier noch einiges an Aufwand zu leisten.

CW: Wie sieht die Situation in heterogenen Umgebungen aus?

RIEMPP: Es gibt Firmen, die Angst haben, sich im Backend von einem einzigen Hersteller abhängig zu machen. Sie versuchen, in der Breite mehrere Systeme einzusetzen, was natürlich zu einem höheren Integrationsaufwand führt. Andererseits haben sie dadurch die Chance, die Stärken der einzelnen Systeme zu kombinieren. Der Haken an dieser Best-of-breed-Strategie ist, dass seit Jahren Scharlatane durch die Welt ziehen und behaupten, sie hätten die passende Integrationssoftware.

Problematisch bei Portalen ist aber die semantische Integration. Man kann zwar immer Datenkonnektoren mappen und XML-DTDs (Document Type Definitions) austauschen, doch die Frage bleibt, was in den einzelnen Tags wirklich drinsteht. Alle Prozessbeteiligten müssen sich über den Ablauf und die schrittweise übergebenen Inhalte abstimmen, sonst scheitert die systemtechnische Integration.

CW: Gilt dies nur für Portalprojekte in heterogenen Umgebungen?

RIEMPP: Nein, denn selbst in einer reinen R/3-Welt mit verschiedenen Modulen ist noch nicht gewährleistet, dass die Semantik wirklich durchgängig stimmt. Egal ob homogen oder heterogen, die anstrengende Arbeit, Prozesse zu simulieren und Probeläufe auszuführen, bleibt, und damit meist auch die Berater. Am Ende wollen alle das Gleiche: Wenn ich vorne ein Stück Eisen reinwerfe, kommt im übertragenen Sinn hinten ein Auto raus - und hoffentlich nichts anderes. Theoretisch kann man das alles über Schnittstellen schaffen. Die Durchgängigkeit der Geschäftsprozesse in sich dynamisch verändernden Geschäftsumfeldern sicherzustellen, ist die wahre Kunst.

CW: Es gibt interne und externe Portale, letztere unterscheiden sich noch für Lieferanten und Kunden. Sollte man alle Portale auf einen Schlag implementieren oder lieber in kleinen Schritten vorgehen?

RIEMPP: IT-Leiter müssen ehrlich zu sich selbst sein und ihre Stärken und Schwächen analysieren. Hat man beispielsweise eine starke Abteilung, die in der Lage ist, ein zusätzliches Projekt zu stemmen, oder bewegen sich die Mitarbeiter bereits am Anschlag? Die meisten Firmen sind so knapp an IT-Ressourcen, dass sie aus eigener Kraft keines der von Ihnen angesprochenen Portalprojekte stemmen können.

Die zweite Frage sollte dahin zielen, wo es momentan am meisten schmerzt. Es hat keinen Sinn, ein internes Portal für die Ferienplanung der Mitarbeiter einzurichten, wenn meine Firma kurz vor der Pleite steht. Hierbei kann es helfen, wenn externe Berater die Hauptprobleme eines Unternehmens identifizieren.

CW: Was folgt dann?

RIEMPP: Think big, start pilot. Lediglich klein anzufangen wäre falsch. Man muss Schritt für Schritt mit einem klaren Fahrplan einsteigen und gemeinsam mit den Mitarbeiten auf das Ziel hinarbeiten. Wir erleben es immer wieder, dass große Pläne gezeichnet werden, Geld bereitgestellt wird und Berater ins Haus kommen. Nur die Mitarbeiter, die plötzlich vor einem gewaltigen Umbruch stehen, hat man nicht rechtzeitig ins Boot geholt. Dann ist das ganze Geld in den Kamin geschossen.

Wenn Sie ein neues Portal in das Unternehmen hineintragen und dies ausschließlich von Beratern machen lassen, dann ist die Gefahr groß, dass es zum Fremdkörper wird. Die Mitarbeiter müssen sagen, wo der Schuh drückt, und sie müssen die Chance bekommen, etwas zu gestalten. Auch hier gilt die alte Regel: Willst Du wissen, wie man ein Feld pflügt, dann frage den Bauern.

CW: Was für Strategien gibt es für einen Portal-Rollout?

RIEMPP: In der Regel handelt es sich um einen evolutionären Prozess, denn lebende Portale werden eigentlich nie fertig. Ihr Produktionszyklus ist so lang, dass die ursprünglichen Annahmen nicht mehr stimmen, wenn das System schließlich auf den Markt kommt. Portale sind eine Daueraufgabe, ebenso wie die Produktion oder das Marketing. Man kann nicht einfach Berater holen, die nach einem Jahr wieder verschwinden. Anwender sollten daher versuchen, möglichst viele eigene IT-Mitarbeiter auf das Thema anzusetzen.

Dabei müssen Unternehmen die Struktur ihrer IT-Abteilung umstellen, falls sie es nicht gewohnt sind, projektorientiert zu arbeiten. Hierzu zählen beispielsweise die Mitarbeiterführung und das Karrieresystem, denn die Leute bleiben gewöhnlich lange im Portalprojekt. Gelingt das nicht, kommt es zum typischen Lebenszyklus: Zuerst die Begeisterung, ein guter Start, dann folgt die Ernüchterung und schließlich flacht es ab, bis irgendwann die nächste Welle einsetzt. Dann lassen sich auch die zunächst so plausibel wirkenden ROI-Berechnungen (Return on Investment) auf einmal nicht mehr einhalten.

CW: Ist der Portalbau vom Aufwand her vergleichbar mit der Einführung eines ERP-Systems?

RIEMPP: Das kommt immer darauf an, was Sie mit dem Portal erreichen wollen. Wenn mich der Markt zwingt, Waren und Dienstleistungen über ein Portal anzubieten und mich selbst zu kannibalisieren, dann hat das Projekt die gleiche Bedeutung für mein Überleben wie eine ERP-Einführung. Der Umfang ist ebenfalls vergleichbar, und entsprechend gefährlich ist es natürlich auch.

Unternehmen haben viel Geld in ERP-Projekte investiert, ihre Prozesse umstrukturiert und lange mit Ineffizienzen durch den kombinierten Betrieb von Alt- und Neusystemen gelebt, was einige an den Rand des Ruins trieb. Gefährlich werden fundamentale Umstellungen dieser Größenordnung in volatilen Märkten mit dünnen Margen und Produkten, die sich rasch verändern. Wer sich aber von Portalgeneration zu Portalgeneration entwickelt, gewinnt langsam auch mehr Erfahrung. Dann werden die Projekte überschaubar und lassen sich bewältigen.

CW: Wie viele der Top-100-Unternehmen in Deutschland haben bereits ein Portal gebaut oder sich zumindest der Thematik angenommen?

RIEMPP: Beschäftigt haben sich alle damit, denn das Thema ist einfach en vogue. Wie weit sie in der Entwicklung zum vollen Portal fortgeschritten sind, ist aber unterschiedlich. Allerdings können wir feststellen, dass sehr viel Geld in die Hand genommen wurde und noch wird. Firmen haben zu Zeiten des Dotcom-Hype für externe Portale teilweise dreistellige Millionenbeträge in einen Markt investiert, der damals noch anders ausgesehen hat als heute. Trotzdem sind das momentane Bewusstsein und die Bereitschaft zu Veränderungen sehr hoch. Nicht zuletzt die Marketing-Maschinerie hat dafür gesorgt, dass die Dämme gebrochen sind.

CW: Mit welchen weiteren Problemen müssen Unternehmen rechnen, die ein Portal errichten wollen?

RIEMPP: Die Branche leidet an einer Unterversorgung mit Beratern und IT-Dienstleistern, die sich mit dem Portalthema auskennen. Consultants, die in den letzten drei oder vier Jahren nutzbare Erfahrungen damit gemacht haben, sind Mangelware. Wer sich in diesem neuen Umfeld schon mal ein blaues Auge geholt hat, ist momentan sehr wertvoll. Auch können die Hochschulen nicht genügend Absolventen mit Portal-Know-how anbieten, so dass der Markt gesättigt wäre.

Deutlich wird dies auch daran, dass selbst Pricewaterhouse-Coopers als Unternehmen mit 35.000 Beratern für ein eigenes Portal auf externe Unterstützung angewiesen war, da alle Mitarbeiter bei Kunden im Einsatz waren. Da ich für PwC Deutschland bis Mitte 2000 die Realisierung des internen Portals geleitet habe, weiß ich, wovon ich spreche. Überspitzt formuliert, stellt der Vorstand häufig das Geld bereit, und dann beginnt die mühsame Suche nach den Leuten, die das Portal zeit- und zielgerecht aufbauen können.

CW: Welche Hersteller haben Ihrer Meinung nach die besten Chancen auf dem Markt für Portal-Tools?

RIEMPP: Das hängt davon ab, was das Portal leisten soll. Anwender werden aber in keiner Weise darum herumkommen, die ERP-Systeme zu integrieren, wenn sie geschäftsorientierte Portale aufbauen wollen. Dies gilt nicht nur für B2B (Business-to-Business) und B2C (Business-to-Consumer), sondern auch für den internen Bereich, denn gerade auch die eigenen Mitarbeiter benötigen den Zugriff auf Geschäftsprozesse und Daten.

Ich denke, dass SAP in Europa eine gewichtige Rolle spielen wird, und wer sich nicht mit R/3 integrieren kann, wird es schwer haben. Niemand wirft seine ERP-Software wegen eines neuen Portals raus, hat er sie doch gerade einmal mühsam und teuer implementiert.

CW: Wie sieht es im Bereich der Collaboration-Portale aus?

RIEMPP: Hier flanschen sich zum Beispiel Autonomy, Verity, Opentext und Lotus an, und auch sie beherrschen die ERP-Verbindung. Wer sich nicht mehr integrieren kann, ist draußen. Wenn ich zum Beispiel, wie ein erheblicher Teil der Firmen im deutschsprachigen Raum, auf R/3 und Domino aufsetze, dann schmeiße ich das nicht alles weg. Folglich habe ich als Anwender die Präferenz, mit diesen Herstellern weiterzumachen. Das Gewicht der bestehenden Systeme ist gewaltig und größer, als wir denken.

CW: Was ist mit Newcomern auf dem Markt?

RIEMPP: Ich glaube nicht, dass wir in diesem Bereich gigantische Neueinsteiger erleben werden, die bisher noch keine Rolle gespielt haben. Dazu gestaltet sich einfach die Integrationsproblematik zu haarig, und der Arbeitsmarkt ist außerdem leer gefegt. Woher soll denn eine Firma in einem vernünftigen Zeitraum 1000 bis 2000 Mitarbeiter bekommen, um diesen Aufstieg zu schaffen? In Nischenmärkten und im Sektor kleiner und mittlerer Unternehmen findet sich jedoch sicher ein Platz für Newcomer oder altgediente Kämpfer, die sich umorientiert haben.