Peoplesoft und Helmut Polzer von der Green AG als mögliche Investoren im Gespräch

Wer rettet Brain aus der Insolvenz?

20.09.2002
MÜNCHEN (ba) - Seit dem 2. September dieses Jahres läuft das Insolvenzverfahren für Brain. Zwar versucht der Vorstand, weiterhin Zuversicht zu verbreiten. Doch hinter den Kulissen hat das Tauziehen um Kunden und lukrative Wartungsverträge längst begonnen. Die Anwender bleiben allerdings gelassen. Sie wollen erst einmal abwarten, wie das Verfahren ausgeht.

Seitdem der deutsche Anbieter von Enterprise-Ressource-Planning- (ERP-)Software am 5. Juli dieses Jahres Antrag auf vorläufige Insolvenz gestellt hat (siehe CW 28/02, Seite 1 und 11), laufen die Verhandlungen mit potenziellen Investoren - bislang erfolglos. Es sei nicht gelungen, das Unternehmen im Rahmen der vorläufigen Insolvenz zu sanieren, bilanziert der in Breisach ansässige Softwarehersteller.

Am 2. September 2002 haben deshalb die Firmenverantwortlichen beim Amtsgericht in Freiburg die Aufnahme des Insolvenzverfahrens beantragt. Davon betroffen sind neben der Brain International AG auch die Gesellschaften Brain Automotive Solutions GmbH und Brain Industries Solutions GmbH.

Ziele nicht erreicht

Angesichts des jüngst vorgestellten Sechs-Monatsberichts dürfte es schwer werden, Investoren für Brain zu begeistern. So erwirtschaftete der ERP-Anbieter in der ersten Hälfte 2002 einen Umsatz von 46,1 Millionen Euro und lag damit um rund 15 Prozent unter Plan sowie 14 Prozent unter Vorjahr. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) betrug minus 20,4 Millionen Euro - geplant war ein Verlust von 2,1 Millionen Euro.

Vor allem die Bilanz für das zweite Quartal 2002 mit einem Ebit von minus 16,6 Millionen Euro hat das Geschäftsergebnis in die roten Zahlen gerissen. So haben außerplanmäßige Abschreibungen im Anlagevermögen und nicht geplante Wertberichtigungen bei den Forderungen das operative Ergebnis gekennzeichnet, heißt es in dem Bericht. Außerdem hätten viele Kunden anstehende Release-Wechsel angesichts reduzierter IT-Budgets auf unbestimmte Zeit verschoben. Diese Umsatzausfälle im April und Mai habe Brain nicht auffangen können, erklärt Unternehmensvorstand Hans-Peter Eitel, "zumal die Firma immer eng finanziert war."

Sorgenkind von Brain bleibt das Segment Industries Solutions. Hier brach das Lizenzgeschäft in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 65 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein. Der Bereich Automotive Solutions beklagte dagegen einen Rückgang um 18 Prozent. Auch der Großteil der Wertberichtigungen bei den Forderungen entfalle auf die stark rückläufige Industrie-Sparte, räumt Eitel ein. So sei hier eine gewisse Zahlungszurückhaltung bei den Kunden zu beobachten gewesen. Außerdem habe es Projekte gegeben, die nicht optimal gelaufen seien. Davon habe man sich verabschiedet, auch wenn offene Forderungen dahinterstanden.

Trotz der schlechten Zahlen versucht Eitel Optimismus zu verbreiten. Das Tagesgeschäft gehe weiter seinen gewohnten Gang. Auch mit den laufenden Projekten sei Brain zufrieden. Positiv überrascht worden seien die Verantwortlichen von der Zahl der Neuaufträge, die im Juli und August hereinkamen. Vor diesem Hintergrund liefen jetzt die Verhandlungen mit potenziellen Investoren. Dabei versuche man, eine Gesamtlösung für Brain zu finden. Zwar gebe es auch Angebote für Teilbereiche, diese besäßen allerdings vorerst nur zweite Priorität, erklärt Eitel. Da momentan eine allgemeine Konsolidierungsphase im ERP-Markt zu beobachten sei, spiele der Aspekt der kritischen Masse eine wichtige Rolle bei der Geschäftsentwicklung. Von daher gebe es wenig Sinn, Brain wieder in die einzelnen Teilbereiche aufzuspalten. Allerdings bleibe diese Lösung unter gewissen Rahmenbedingungen eine mögliche Option, räumt der Brain-Vorstand ein.

Auch der Insolvenzverwalter Reinhard Blumenthal favorisiert eine Gesamtlösung. Bei der Frage, wie weit die Verhandlungen seien, machte er widersprüchliche Angaben. Die zunächst getroffene Aussage, es sei jemand gefunden, relativiert er kurz darauf: "Es wird jemand gefunden sein." Damit spielt Blumenthal auf die Ende Oktober 2002 auslaufende Berichtsfrist für das Insolvenzverfahren an.

Eine Frage des Preises

Allerdings deutet die Tatsache, dass sich das Verfahren momentan in der Phase der Wertermittlung befindet, darauf hin, dass es noch keine unterschriftsreifen Verträge gibt. So müssten erst Bilanzen erstellt und die Firmenwerte ermittelt werden. Dann könne man mit einem Kaufpreis in konkrete Verhandlungen treten, berichtet der Insolvenzverwalter. Bislang lägen verschiedene Angebote vor.

Über potenzielle Investoren kursieren unterschiedliche Gerüchte. Insidern zufolge interessiere sich Peoplesoft für Brain. Angeblich soll am 24. Oktober dieses Jahres eine Entscheidung darüber fallen. Gestützt wird diese Spekulation durch die Aussage von Brain-Chef Eitel, dass sich vornehmlich nichtdeutsche Unternehmen für den ERP-Anbieter interessierten. Peoplesoft-Sprecherin Irene Böhme will die Gerüchte nicht kommentieren: "Zu solchen Dingen äußern wir uns nicht." Allerdings habe der amerikanische Softwareanbieter durchaus Interesse am deutschen Mittelstand, räumt sie ein. Zudem sei es schon immer Strategie von Peoplesoft gewesen, sich das notwendige Know-how über Firmenzukäufe zu verschaffen.

Nach Einschätzung von Helmuth Gümbel, Analyst bei Strategy Partners, könnte sich Brain für Peoplesoft als Türöffner zum deutschen Mittelstandsmarkt erweisen. Außerdem sei sicherlich der gute Stand im Automobilzulieferersegment für die Amerikaner interessant. Allerdings werde es jeder potenzielle Käufer von Brain schwer haben, glaubt der ERP-Spezialist. So müsse die Softwarebasis konsolidiert und weiterentwickelt werden - Projekte, die die bisherigen Verantwortlichen nicht bewältigt hätten.

Um die Brain-Kunden ist mittlerweile ein harter Wettbewerb unter den Konkurrenten entbrannt. Aufgrund der Nähe im Produktsprektrum und der historischen Verknüpfungen gehe man natürlich an die Kunden heran, berichtet Manfred Haner, Sprecher bei der Steeb Anwendungssysteme GmbH. So werde man anlässlich des nächsten von Steeb veranstalteten Fokustages beispielsweise eine Session zum Thema Brain-Umstieg anbieten.

Auch Stephan Vanberg, Sprecher von J.D. Edwards in Deutschland, spekuliert auf die Brain-Kundschaft. Man habe festgestellt, dass Brain bei den meisten Anwendern längerfristig keine strategische Plattform mehr sein werde. Von einem Einstieg beim insolventen Wettbewerber wollen beide Seiten aber nichts wissen. Außer den Kunden gebe es nichts zu holen, erklärt Haner. "Und die kommen von selbst."

Darauf baut auch Helmut Polzer, ehemaliger Brain-Vorstand und jetziger Chef der erst im vergangenen Juni gegründeten Green AG. Auf der Web-Seite des Unternehmens findet sich - allerdings ohne Brain zu nennen - der Hinweis, dass die Kündigungsfrist für Wartungsverträge Ende September auslaufe. "Die Zeit ist reif für den Wechsel", heißt es dort weiter. Laut Polzer habe man bereits mehr als hundert Angebote verschickt und auch erste Abschlüsse getätigt. Er sei überzeugt 40 bis 50 Prozent der Brain-Kunden übernehmen zu können.

Außerdem habe Green schriftlich die Absicht beim Insolvenzverwalter angemeldet, Teile von Brain übernehmen zu wollen, berichtet Polzer. Das Interesse richte sich dabei auf die Produkte der alten BIW, die Polzer selbst 1998 beim Zusammenschluss mit Rembold und Holzer in das neue Unternehmen Brain eingebracht hatte und auf denen heute im wesentlichen der Bereich Automotive Solutions basiert. Allerdings stehe er nur auf Warteposition, da der Insolvenzverwalter nur mit Investoren verhandle, die Brain als Ganzes übernehmen wollten.

Eine Million Euro für Brain

Der Knackpunkt dürfte indes der Preis sein. Laut Polzers Informationen wolle Blumenthal zwölf Millionen Euro für Brain AS. "Da müsste einer besoffen sein, wenn er das macht", schimpft der Green-Chef. Eine Million Euro seien für den ehemaligen Brain-Manager ein akzeptabler Preis. Die Software sei aufgrund der falschen Entwicklungspolitik des Brain-Vorstandes momentan unverkäuflich, begründet er das deutlich niedrigere Angebot.

Ganz so dramatisch sehen die Brain-Anwender die Situation offenbar nicht. Laut Christian Meisel, IT-Leiter bei der Rexnord Kette GmbH in Betzdorf und Vorsitzender der Brain-Fachgruppe bei der Commo-Nutzervereinigung, in der sich die Anwender von IBMs "I-Series"-Systemen, ehemals AS/400, organisiert haben, vertrauten die Kunden darauf, dass es mit Brain weitergehen werde. Ein positives Signal sei beispielsweise die Verlängerung der Kündigungsfrist für die Wartungsverträge auf Ende November 2002 gewesen. Einzelne Kündigungen seien seinen Informationen zufolge bereits wieder zurückgenommen worden.

Anwender bleiben gelassen

Von daher könnten die Kunden auf die Migrations- und Wartungsangebote, die von den Wettbewerbern massiv herangetragen würden, erst einmal gelassen reagieren, erklärt Meisel. Da die Anwender außerdem den in RPG geschriebenen Quellcode der Brain-Software besäßen, ließen sich die Produkte in begrenztem Rahmen selbst warten und weiterentwickeln. Darauf baut auch Armin Haggenmiller, IT-Leiter beim Bekleidungshersteller Kunert in Immenstadt. Auch wenn sich keine Lösung für Brain finden sollte, könne er mit Hilfe von Freelancern und eigenen Programmierern die Software durchaus noch fünf bis zehn Jahre weiterführen, beteuert er.

Abb: Halbjahresumsätze der Brain International AG

Im Halbjahresvergleich erweisen sich lediglich die Wartungserlöse als stabile Größe. Das Dienstleistungs- und Lizenzgeschäft verzeichnet dagegen Einbrüche. Für Experten ein Beleg dafür, dass die Produktentwicklung verschlafen wurde. Quelle: Brain International