Wenn Jung und Alt im Team arbeiten

08.04.2008
Der SAP-Dienstleister Itelligence aus Bielefeld macht in einem Generationenexperiment vor, wie Senioren und Junioren voneinander profitieren können.

Wenn die Bevölkerung immer älter wird, können die Mitarbeiter nicht jünger werden." So prägnant kritisierte einmal der Arbeitswissenschaftler Hans-Jörg Bullinger vom Fraunhofer-Institut den Jugendwahn in deutschen Unternehmen. Angesichts des demografischen Wandels sei es unlogisch, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten. Die Praxis gibt ihm Recht: Immer mehr Firmen können Stellen nicht besetzen, weil sie keine jungen Leute vor Ort finden - sei es aus demografischen Gründen, sei es, weil die Qualifizierung der Jungen nicht ausreicht, sei es, weil viele aus der Region abwandern. Woher also die dringend benötigten Fachkräfte nehmen? Inzwischen haben deutsche Unternehmen offensichtlich erkannt, dass sie mit ihrem Jugendwahn nicht weit kommen. Während 2002 nur 49 Prozent der Betriebe in West- und 51 Prozent der Firmen in Ostdeutschland über 50-Jährige beschäftigten, erhöhte sich dieser Anteil laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) innerhalb von wenigen Jahren im Westen auf 51 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar auf 58 Prozent - Tendenz steigend. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage des Adecco-Instituts, die größte Erhebung zum demografischen Wandel in Europa. Danach planen die meisten der 2506 befragten Unternehmen, in diesem Jahr verstärkt ältere Arbeitnehmer einzustellen.

Bunte Mischung aus Azubis, Arbeitslosen und IT-Profis

Andere wie der SAP-Dienstleister Itelligence sind da schon weiter. Das Bielefelder Unternehmen startete im Frühjahr 2007 eine Art Generationenexperiment. Gestandenen Entwicklern,um die 30 Jahre alt, wurden ehemalige Langzeitarbeitslose zwischen 50 und 60 mit IT-Background zugeordnet. "Die Neueinsteiger kamen aus dem Großrechnerumfeld, hatten aber teilweise keine SAP-Erfahrung", sagt Dirk Blichenberg-Hansen. Der Manager hatte dieses Konzept des "gemischten Teams" getestet. "Wir sind schnell gewachsen und mussten unsere Projektteams entlasten", nennt Blichenberg-Hansen den Grund. Viele Routineaufgaben wie kleinere Änderungen an Formularen oder Schnittstellen konnten die Projektteams wegen ihres hohen Arbeitspensums nicht mehr übernehmen. "Unsere Ressourcen waren derart ausgereizt, dass wir nicht mehr alle Wünsche schnell genug erfüllen konnten. Einige unserer Bestandskunden drohten deswegen abzuspringen." Also baute Blichenberg-Hansen ein Team auf, das sich verstärkt um diese Klientel kümmerte: fünf Professionals aus den eigenen Reihen, vier Langzeitarbeitslose und vier Fachinformatiker-Azubis. Damit sollten auch die Projekte im eigenen Haus unterstützt werden. Wegen des hohen Drucks im Beratungsgeschäft blieben nämlich immer weniger Kapazitäten für die Weiterentwicklung der eigenen Lösungen und Systeme.

Hier lesen Sie …

  • welche Konsequenzen der demografische Wandel in Unternehmen hat;

  • warum ein Bielefelder IT-Mittelständler ein Experiment mit älteren arbeitslosen IT-Mitarbeitern begann;

  • weshalb die ersten Erfahrungen Mut für weitere Versuche machen.

Ältere haben ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein

Die "Senioren" rekrutierte man aus der gesamten Wirtschaftsregion Ostwestfalen-Lippe (OWL), zusammen mit den lokalen Arbeitsagenturen. Acht Bewer-ber erhielten die Chance eines dreimonatigen Praktikums; geblieben sind schließlich die vier des heutigen Teams. So wurden die neuen "Alten" - wie jeder, der neu anfängt - zunächst in der hauseigenen Akademie geschult; daran schloss sich ein Coaching durch die Senior Professionals innerhalb des Teams an. Auf diese Weise wurden die Senioren zügig an die neue Materie herangeführt. Auch wenn die Erfahrungen mit ihnen naturgemäß individuell unterschiedlich ausgefallen sind - insgesamt ist man bei Itelligence zufrieden mit diesem Pilotprojekt. Die Mitglieder des Teams haben sich schnell gefunden, so dass alle Seiten profitieren. "Ein Mittfünfziger kann einen Auszubildenden durch seine gewachsene Autorität zum Teil besser anleiten", nennt Blichenberg-Hansen einen Vorteil. Zudem hätten "Senioren" ein anderes Qualitätsbewusstsein, von dem die Jüngeren durchaus lernen könnten. "Bei Junioren fehlt anfangs manchmal das Gespür für die konkreten Auswirkungen in einem Unternehmen, wenn etwas am System verändert wird. Ein Mitarbeiter mit langjähriger Unternehmenserfahrung dagegen kennt die betriebswirtschaftlichen Abläufe und kann daher die Konsequenzen von Veränderungen besser einschätzen." Umgekehrt bringen die Jungen mehr Wissen über neue Technologien und Trends mit und sind häufig bereits vertraut mit neuesten Programmiersprachen.

Konflikte in gemischten Teams bleiben nicht aus

Bei aller Euphorie: Arbeitslosigkeit hinterlässt Spuren. Für manche ist es zunächst schwierig, wieder acht Stunden und länger hochkonzentriert zu arbeiten. Auch dass es bei den Bielefeldern für Berater und Entwickler so genannte "flexible Büros" gibt, also auch mal unterschiedliche Schreibtische, war zunächst ungewohnt.

Trotzdem hat sich das Experiment nach Einschätzung des Bielefelder Projektleiters gelohnt: "Die Älteren sind sehr motiviert, sich in die fremde Materie einzuarbeiten." Bei besonders zeitkritischen Projekten sitzen sie schon mal abends um acht oder neun noch am Schreibtisch. Im Übrigen decken sich die Erfahrungen bei Itelligence mit verschiedenen Studien.

Ältere Mitarbeiter fühlen sich ihrer Firma stark verbunden

Eine aktuelle Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) widerlegt die Vorurteile, älteren Arbeitnehmern mangele es an Leistungsbereitschaft. So ist laut IW der Wille, durch eigenen Einsatz und Leistung im Leben etwas zu erreichen, für die Mehrheit der befragten Senioren wichtig bis sehr wichtig. Die Motivation sei damit ähnlich wie bei jüngeren Angestellten. Rund zwei Drittel der über 50-Jährigen arbeiten zudem "mit richtiger Freude", und 55 Prozent seien ihrem Unternehmen "besonders verbunden". Auch die Personalverantwortlichen schätzen laut IW zumeist die Leistungen der Älteren - insbesondere deren Arbeitsmoral, das hohe Qualitätsbewusstsein, den Erfahrungsschatz und die Loyalität. Ohnehin sind sie nach ihrem 54. Geburtstag einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge immer noch leistungsfähiger als die Generation bis 24.

Die Mannschaft von Blichenberg-Hansen ist mittlerweile eine echte Unterstützung im Unternehmen, wie der Teamchef versichert. An der "Naht" zwischen Entwicklung und Support entlastet sie das Projekt- und Inhouse-Geschäft gleichermaßen. Die Mitarbeiter übernehmen Kleinaufträge bei Bestandskunden (Anpassungen, Sonderprogrammierungen etc.) und arbeiten an der Optimierung der produktiven Systeme im eigenen Haus.

"Wer sich überschätzt, eckt überall an"

Alles paletti also? "Natürlich gibt es in gemischten Teams auch Konflikte", gibt Blichenberg-Hansen zu. Ob Kollegen miteinander klarkommen oder nicht, hängt seiner Meinung nach aber nicht von Alter und Qualifikation ab. Für den Manager besteht in gemischten Teams nicht mehr und nicht weniger Konfliktpotenzial als bei homogenen Gruppen. "Die meisten Kontroversen entzünden sich an der Person selbst, nicht an fehlendem Wissen", schildert er seine Beobachtungen. "Wer Schwierigkeiten hat, sich in Strukturen einzuordnen, oder sich maßlos überschätzt, eckt überall an."

Von einem groß aufgezogenen Konflikt-Management hält Blichenberg-Hansen nicht viel. Dazu sei das Team zu klein. Über fachliche Themen sind die Mitarbeiter ohnehin ständig im Gespräch, und persönliche Probleme werden zunächst unter vier Augen geregelt. Das Projekt ist Neuland, so dass auch vieles ausprobiert wird. So müsse man beispielsweise immer wieder prüfen, wie detailliert die Aufgaben für die einzelnen Mitarbeiter zu definieren sind, damit es nicht zu Missverständnissen und Leerlauf kommt. Auch wenn noch nicht alles optimal läuft: Der Itelligence-Manager denkt bereits darüber nach, ähnliche Projekte in anderen Niederlassungen zu starten. Sein Tipp: Unternehmen sollten den Mut haben, neue Recruiting-Wege zu gehen. Nicht alle Bewerber entsprechen auf Anhieb hundertprozentig dem gesuchten Tätigkeitsprofil. Warum es nicht auch mit Menschen versuchen, die nur 90 Prozent der Anforderung erfüllen? Projekte wie die gemischten Teams bieten dafür eine gute Möglichkeit - vorausgesetzt, die Motivation stimmt und die Chance zur permanenten Weiterbildung wird wahrgenommen. (hk)