Wenn IT-Experten freiberuflich arbeiten

29.10.2002
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Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.

IHK-Experte Zipperlen bestätigt, dass einige Arbeitsämter im Sommer Antragsteller ablehnten, die unter normalen Bedingungen gefördert worden wären. Allerdings wirbt er um Verständnis: „Das Überbrückungsgeld bemisst sich nach dem letzten Einkommen des Antragstellers. In der IT-Branche gab es hohe Gehälter. Entsprechend wurden ungewöhnlich große Summen an Überbrückungsgeld fällig.“ Da jedes einzelne Arbeitsamt Haushaltshoheit hat, gab es von Ämtern, die plötzlich mit leerem Geldsäckel dastanden, keine Förderung für Unternehmensgründer mehr. Mit einem Ansturm arbeitsloser IT-Fachleute auf die Beratungsleistung und die Fördermittel der Arbeitsämter hatte offenbar niemand gerechnet.

Auch Schulz übt inzwischen Nachsicht mit den Arbeitsvermittlern. Er vermutet, dass gerade im Umfeld von München, der einstigen Hochburg für IT-Jobs, die Arbeitsvermittler schlicht keine Übung im Umgang mit arbeitslosen oder gründungswilligen IT-Profis haben. Heute interpretiert Schulz die enttäuschende Absage im Beratungsgespräch vom August als Aufforderung, es später noch einmal zu versuchen. Nach der Absage suchte Schulz wieder verstärkt nach einer Festanstellung, tüftelte aber gleichzeitig an seinem Firmenkonzept. An dem Business-Plan sollte die Selbständigkeit jedenfalls nicht scheitern: „Meinen Steuerberater, den ich als externen Fachmann meine Pläne bewerten ließ, habe ich nach zehn Minuten überzeugt“, erzählt Schulz nicht ohne Stolz.

Kundenansprache lernen

Vor wenigen Wochen nahm der Vertriebsprofi die Gespräche mit dem Arbeitsamt erneut auf. Er bekam ein bezuschusstes Vertriebs-Coaching bewilligt - bisher eine Spezialität der bayerischen Industrie- und Handelskammern, die es Existenzgründern erlaubt, bei einem Trainer ihrer Wahl Kundenansprache zu lernen. Die zuständige IHK fördert das Training mit bis zu 80 Prozent des Schulungshonorars pro Tag oder höchstens 614 Euro. „Mittlerweile ist auch die Bewilligung des Überbrückungsgeldes zu 99 Prozent sicher“, frohlockt Schulz, der bei dem Gedanken an seine neue Herausforderung nun endlich wieder ein „richtig gutes Gefühl“ hat. Ein Optimismus, den erfahrene IT-Freiberufler leider nicht uneingeschränkt teilen können.

„Das Klima hat sich verändert“, beschreibt Oliver Stiller aus München, der seit 15 Jahren als selbständiger Softwareentwickler arbeitet. „Die Aufträge kommen eher über bestehende Kontakte als über öffentliche Projektbörsen zustande. Freiberufler, die erst seit wenigen Jahren im Markt tätig sind, erfahren zum ersten Mal, dass die Kunden nicht mehr um sie werben, sondern sie selbst Aufträge an Land ziehen müssen. Es ist mitunter langwierig, immer wieder nachzuhaken, weil die potenziellen Kunden nicht zurückrufen oder auf E-Mails nicht reagieren.“

Polster für schlechte Zeiten

Vielen Freiberuflern fehlt zudem die Möglichkeit, sich früh genug um neue Aufträge zu kümmern, da sie zu 100 Prozent im Büro des Kunden arbeiten. „Dabei sollte man es vermeiden, erst nach Ende eines Projekts einen neuen Kunden zu suchen“, rät Stiller. Ansonsten kann es schon passieren, dass man vier Monate kein Projekt hat. „Das ist beunruhigend. So überlegen sich viele, ins Angestelltenverhältnis zurückzukehren“, schildert Stiller die Erfahrungen von Kollegen. Um schlechtere Zeiten überbrücken zu können und auch die nötige Zeit für Weiterbildung zu haben, sollte der jährliche Umsatz eines Freiberuflers doppelt so hoch sein wie das Bruttojahresgehalt eines vergleichbar qualifizierten Festangestellten. „Mit einem Stundensatz ab etwa 60 Euro sind solche Risiken abgedeckt, wer sich für 30 oder 40 Euro verdingt, kann nicht langfristig über die Runden kommen“, lautet Stillers Faustregel.

Abhängig von der Vertragsgestaltung und den tatsächlichen Umständen bei der Projektumsetzung haften IT-Freiberufler für die Einhaltung von Plankosten, Terminen und Qualitätskriterien bezüglich ihrer Arbeiten, obwohl allgemein anerkannt ist, dass Softwareprojekte hohen Planungsunsicherheiten unterliegen. Gegebenenfalls müssen solche Risiken in eine seriöse Preisgestaltung einfließen. „Manche naiven Freiberufler sind im Kopf Angestellte geblieben und setzen sich nicht mit unternehmerischen Risiken und deren Konsequenzen auseinander. Oft ist es auch erforderlich, ungünstige Konditionen zu akzeptieren, da ein wirtschaftlich starker Einkäufer einem schwachen Verkäufer gegenübersteht“, sagt Softwareentwickler Stiller.