Wenn IT-Experten freiberuflich arbeiten

29.10.2002
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Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Wenn viele IT-Profis um wenige ausgeschriebene Stellen buhlen, kann die Selbständigkeit eine Alternative zur Arbeitslosigkeit sein. Der Schritt sollte wohlüberlegt sein, da auch der Markt für IT-Freiberufler von der wirtschaftlichen Flaute erfasst wurde.

Konrad Zipperlen ist Leiter der Existenzgründungsberatung der IHK München. Hier landen alle Ratsuchenden, die die Frage umtreibt: Wie mache ich mich selbständig? „Wir leisten die Einstiegsberatung kostenlos“, sagt der IHK-Berater. Die Selbständigkeit ist eine Alternative zum Angestelltendasein, vor allem aber zur Arbeitslosigkeit - auch wenn Zipperlen momentan niemandem raten würde, einfach loszulegen. „Der Markt ist auch für Selbständige schwieriger geworden.“

Die Auftragslage hat sich verschlechtert, da es weniger Projekte gibt, die Kunden Vorhaben auf die lange Bank schieben oder ihre Projekte mit eigenen Mitarbeitern umsetzen. Zu der Einschätzung kommen fast 50 Prozent der 7000 Freiberufler und kleinen Firmen, die bei der Hamburger Projektwerk GmbH registriert sind. „Ob die Freelancer für größere oder kleinere Kunden tätig sind, spielt dabei keine Rolle“, sagt Geschäftsführerin Uta Blankenfeld.

Projektanfragen auf dem Tiefstand

Stefan Symanek vom IT-Projekt-Portal Gulp, in dem mehr als 37000 IT-Selbständige registriert sind, bestätigt das: „Mittlerweile melden sich etwa zehn Prozent unserer Freiberufler als verfügbar, das heißt sie suchen noch Aufträge. Dieser Wert war in den vergangenen Jahren nur halb so hoch.“ Im September fielen die Projektanfragen (1519) auf den tiefsten Stand im Jahr 2002, so dass die Zahl der angebotenen Projekte in den ersten drei Quartalen um 42 Prozent unter dem entsprechenden Wert von 2001 lag. Allerdings sind die Rückgänge von Monat zu Monat nicht mehr so dramatisch, wie das 2001 der Fall war.

Quelle: Photodisk
Quelle: Photodisk

Schlecht ist das Angebot vor allem für Systemadministratoren im Microsoft-Umfeld sowie für Freiberufler, die für Banken arbeiten: „Einst kam jedes vierte Projektangebot von den Kreditinstituten, nun sind es nur noch zwischen 15 und 17 Prozent. Die Banken haben diese Situation ausgenutzt, um die Honorare teilweise um bis zu 30 Prozent zu kürzen“, berichtet Symanek. Stabiler gestaltet sich dagegen die Nachfrage nach Entwicklern mit den Spezialgebieten Java, C++ und Datenbanken in den Branchen Automotive und Chemie. Je höher die Spezialisierung, umso besser sind zurzeit auch die Chancen für IT-Freiberufler, ob sie nun im Bereich Enterprise Resource Planning (ERP) oder Supply Chain Management tätig sind.

Die Mehrheit der etwa 45000 IT-Selbständigen in Deutschland bewegt sich aber nicht im hochspezialisierten Umfeld. Eine Großzahl von Konkurrenten kämpft um relativ wenige Aufträge. „Wir registrieren im Vergleich zum Vorjahr mehr Anfragen von Arbeitslosen, die sich selbständig machen wollen. Mitte des Jahres war im Bezirk Oberbayern und München sogar das Überbrückungsgeld ausgegangen“, staunt Gründungsberater Zipperlen. Auch wenn die Regierung dieses Geld nachgeschossen hat, gerieten doch einige Arbeitsämter im Lauf des Jahres bei der Mittelvergabe für Existenzgründer in Schwierigkeiten.

Kai Schulz hat das während seiner Existenzplanung erlebt. Der 29-jährige DV-Kaufmann verlor im November 2001 seine gut dotierte Stelle als Strategic Sales Manager bei einem amerikanischen Softwareanbieter, der sich nach dem 11. September aus Deutschland zurückzog. Unterbrochen von einem Intermezzo bei einem Systemhaus ist der Vertriebsexperte, der mit elf Jahren zu programmieren begann und bei Compunet ausgebildet wurde, seit August erneut arbeitslos.

Schulz begab sich auf Jobsuche, dachte aber auch darüber nach, sich als Sales Management Consultant selbständig zu machen. Seine einschlägige Branchenerfahrung will er an kleinere und mittlere Unternehmen weitergeben, denen im Vertriebsbereich Kapazitäten fehlen. Auch ausländische Firmen, die auf dem deutschen Markt erst Fuß fassen müssen, können seine Dienste und Kontakte als IT-Vertriebsexperte gebrauchen, glaubt Schulz.

Nach dem Gespräch mit dem Berufsberater des Arbeitsamtes Holzkirchen bei München im August war er allerdings sauer. Der Beamte hatte ihm von der Existenzgründung mit dem Hinweis abgeraten, dass das nötige Überbrückungsgeld (eine Förderhilfe in Höhe von insgesamt 68,5 Prozent des durchschnittlichen Jahreslohns der vergangenen drei Berufsjahre) ohnehin nicht bewilligt würde. Dabei hatte Antragsteller Schulz berechtigten Anspruch auf eine sechsmonatige Unterstützung für Existenzgründer.