COMTEK '96: Spiegel des russischen IT-Marktes

Wenn graue Geschäfte die Reform der Software-Branche behindern

07.06.1996

Vom 22.-26. April 1996 fand in Moskau die COMTEK '96 statt. Wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen bot die mit Abstand größte und wichtigste IT-Messe ein Spiegelbild des russischen Marktes und eröffnete ausländischen Anbietern Perspektiven für Kooperationsmöglichkeiten mit russischen Firmen beziehungsweise in einem Markt, dessen Volumen von Aleksandr Prokin, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Dator Company, für 1996 mit knapp zwei Milliarden Dollar beziffert wird.

Großes Vorbild der COMTEK-Veranstalter ist die CeBIT. Die in der Regel schon CeBIT-erfahrenen russischen Aussteller sind zwar bereit, Unzulänglichkeiten wie mangelnden Wachschutz oder vorsintflutlichen Ticketverkauf als "Wachstumsprobleme" zu tolerieren. Nicht hinnehmen wollen sie hingegen die Ausrichtung der Messe und die Prinzipien der Firmenauswahl. So monierten einige, daß sich die COMTEK längst in eine internationale Messe verwandelt habe - eine Kritik übrigens, die sich mit einer Analyse der Ausstellerstruktur erhärten läßt.

Anfang der 90er Jahre hatten noch zahlreiche russische IT-Unternehmen die Hoffnung, mit ihren Produkten und Lösungen schnell den Einstieg ins internationale Geschäft zu schaffen, was allerdings weitgehend eine Illusion blieb. Vielmehr ist genau das Gegenteil dessen eingetreten: Der russische IT-Markt ist längst in der Hand ausländischer Firmen. Was könn(t)en die russischen IT-Firmen nun aber ihrerseits in eine international angelegte Arbeitsteilung einbringen? Der entscheidende Faktor für den Erfolg auf westlichen Märkten mit eigenen Produkten seien bedeutende Investitionen in entsprechende Vertriebs- und Service-Strukturen, meinen Fachleute. Wohl kaum eine russische Firma hat allerdings das erforderliche Kapital, um diesen Weg zu gehen. Was um so bedauerlicher ist, weil viele der russischen Software-Spezialisten in der Vergangenheit ihre Fähigkeiten durchaus eindrucksvoll unter Beweis stellen konnten.

Unternehmem wie Steepler und Cognitive Technologies haben für ihre in amerikanische Lösungen integrierten Entwicklungen immerhin jeweils rund eine Million Dollar umsetzen können. Exzellente Programme haben nach Ansicht von Experten auch Bit Software, Inser (früher ein Teil von Steepler), Prompt und Agama in ihrem Produktportfolio.

Kenner der russischen IT-Szene sehen ferner ein Problem darin, daß es auf dem Software-Markt nur wenige Bereiche (etwa Spracherkennungs-Programme) mit einer hohen Wettbewerbsdichte einheimischer Anbieter gibt. Zudem sei zu erkennen, daß sich deren Zahl demnächst nennenswert erhöht. Vielfach wird in diesem Zusammenhang sogar von einer Knebelungspolitik des Staates gegenüber den IT-Unternehmen gesprochen, die größere Investitionen in die Entwicklung neuer Produkte enorm erschwere - vor allem auch, weil ein gewisse Risikofreude der Banken bei der Kreditvergabe fehle. Die Zahl russischer Firmen mit interessanten Softwareprodukten dürfte sich daher, wie Marktforscher Prokin schätzt, binnen kurzer Zeit von einigen Hundert auf etwa zwei Dutzend verringern. Unabhängig davon sind die russischen IT-Unternehmen für westliche Firmen interessant - nämlich in Sachen Auftragsprogrammierung oder als Projektpartner für Systemintegration.

Generell trübt aber die Unsicherheit über die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung in Rußland bereits seit Ende 1995 die Konjunktur auf dem IT-Markt. Auch wenn sich das Umsatzvolumen dieser Branche in den zurückliegenden zwei Jahren jeweils verdoppelt hat, rechnen Insider wie Dator-Chef Prokin 1996 nur mit einem vergleichsweise geringen Wachstum.

Natürlich werden in der russischen IT-Branche auch Szenarien angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen entworfen - insbesondere für den Fall eines Wahlgewinns des kommunistischen Kandidaten Sjuganow. Wenn dann erneut ein abrupter Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik stattfände, sei ein neues Kesseltreiben gegen das private Unternehmertum zu erwarten, heißt es.

Wie dem auch sei, für die russischen IT-Firmen ist die Zeit der großen Gewinne (zumindest aus dem Hardware-Handel) ohnehin vorbei. Die Nachfrage hat sich längst, um beim Thema Software-Markt zu bleiben, auf Anwendungslösungen konzentriert. Im Zusammenhang damit sieht Marktforscher Prokin nicht nur Anzeichen für eine Bereinigung beziehungsweise ein Schrumpfen, sondern auch für eine Neuaufteilung des Marktes. Einige der früheren Top-Firmen verschwinden spurlos, bisher Namenlose rücken in den Vordergrund. Das wäre im Prinzip alles normal, wenn die Veränderungen von positiven Faktoren verursacht wären. Es wachsen aber im wesentlichen die Firmen, die sich mit dem "grauen Geschäft" befassen: Nicht vollkommen legale Lieferungen, Umgehung der Zollbestimmungen, Minimierung eigener Aufwendungen auf Kosten der Kunden sind leider die Wachstumskatalysatoren - und natürlich vor allem das Problem der Software-Piraterie, angesichts dessen nun die Branche selbst entsprechende Konsequenzen gezogen hat.

Partnersuche in Rußland

Ausländischen Unternehmem wurde auf der COMTEK '96 mit einer Reihe neuer Publikationen die Partnersuche in Rußland erleichtert. So enthält unter anderem die Neuauflage des nunmehr zweibändigen IT-Firmenkataloges "Who is who auf dem russischen Computermarkt" Namen und Adresse von über 7000 russischen IT-Firmen. Die Marktforschungsgesellschaft Dator bringt noch im Juni die Neuauflage ihres Kataloges der 100 führenden russischen IT-Unternehmen auf den Markt.

Selbstorganisation der russischen Software-Branche

Innerhalb des Russischen Computerverbandes (RKS) hat sich vor kurzem eine eigenständige Software-Sektion gebildet, die sich den strategisch wichtigen Problemen der Branche widmen will. Dazu gehören:

1.Die Schaffung einer Organisation zum Schutz der Anwender von IT-Systemen.

2.Die Bekämpfung von Software-Piraterie in der Form staatlicher Kontrolle und konsequenter Verfolgung von Organisationen, die Raubkopien herstellen und vertreiben.

3.Eine Vertretung der russischen Software-Branche in staatlichen Organisationen und Strukturen.

4.Die Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit.

5.Die Einleitung geeigneter Maßnahmen zur internationalen Vermarktung russischer IT-Produkte und -Lösungen auf internationaler Ebene.

6. Die Unterstützung kleiner technologieorientierter Unternehmen, insbesondere in der Gründungsphase.Quelle: Weber

*Dr. Mathias Weber ist Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Informationssysteme e.V. in Berlin.