Technische Probleme bei Multi - Vendor - Netzen sind aus der Welt:

Wenn das "Wie" gelöst ist, folgt die Frage nach dem "Was"

01.07.1988

MÜNCHEN - Komfort, Integration und Power - erst die Verbindung der drei Anforderungen schafft Anwendungstiefgang in einem (noch) recht präzise aufgeteilten Markt. Für die Zahl der Unternehmen, und mit ihr der Prozessorwelten, die im Bereich technischer Workstations das Sagen haben, reicht bislang eine Hand. Zunehmend lockt deshalb der Griff ins Multi - Vendor - Wundertütchen.

Doch Komponenten - Puzzle hat noch seine Tücken; Hardware und physische Verbindung sind im Griff, die Software macht die Sache spannend. So speziell die Anwendungen für technische Workstations von ihrer Historie her waren, so eng umgrenzt ist in der Tat die Liste jener Unternehmen, die einen nennenswerten Marktanteil zu verzeichnen haben. Motorola und Intel liefern zum größten Teil die Herzstücke der Systeme; Apollo Domain, Sun, Hewlett-Packard und DEC (eigener Prozessor) nebst anderen ( siehe Kasten ) das Hardware - Drumherum im engeren Sinne.

Wettkampf unter den Prozessor - Herstellern

Die Wahl eines Herstellers beeinflußt somit trotz aller Öffnungen von vornherein die Welt, in der der Anwender mit seiner Konfiguration leben wird. Dennoch, die Leistungsunterschiede zwischen den Prozessoren sind nicht so gravierend wie erwartet.

Die Wahl des Basisprozessors bei den Workstation - Lieferanten sei oftmals auch politischer Natur, meinen Experten aus der Branche. Im Wechsel der Chip - Serien habe zwar jeder mal wieder ein halbes Jahr Vorsprung in der Leistung, aber in den meisten Fällen handele es sich oft nicht einmal um eine Verbesserung um den Faktor 2, so Insider.

Die Intel - Linie mit dem 386er hatte beispielsweise den Vorteil, daß die virtuelle Speicherverwaltung auf dem Chip integriert war, was bei dem Motorola 68020 nicht der Fall war. Die Konsequenz: es wurde für den Anwender etwas teurer, die Speicherverwaltung extern besorgen oder entwickeln zu lassen. Hier hat Motorola beim 68030 jetzt nachgezogen, und die integrierte Speicherverwaltung aufgelegt.

Dieser Chip hat auch reichlich Cache eingebaut - der Intel wiederum nicht. In diesem Wechselspiel wird Intel in der nächsten Generation auch wieder aufholen...

Der generelle Trend bei technischen Workstations der Zukunft geht hin zu noch mehr Performance. Hier bieten sich die RISC -Prozessoren an. Die Produzenten dieser Systeme indes haben in anderen Bereichen dazugelernt.

Hardwaretechnisch scheinen drei Unternehmen prädestiniert, im RISC - Bereich Initiativen auszuleben - Motorola mit dem 88000 -Chipset, Sun und AT&T mit dem Sparc - Design und Mips, eine kleinerer amerikanischer Chip - Hersteller für Systeme im High - End -Bereich.

Die Grundproblematik allerdings ist bei RISC - Maschinen, daß noch einmal von der Hardware auf die Software verlagert wird. Die Hardware wird einfacher, die Grundsoftware wie Compiler zum Beispiel muß daher ausgefeilter sein.

Die Offenheit der Architekturen der drei genannten Hersteller wird unter Beobachtern als gute Voraussetzung für einen satten Marktanteil gewertet - bei anderen RISC - Manufakturen ist diese Offenheit zur Zeit nicht erkennbar.

Elementarer als die nackte Leistung der heute hauptsächlich eingesetzten Chips ist bei Netzwerken die Problematik der Betriebssysteme. Als nachgerade typisch im Einsatz für technische Workstation - Anwendungen ist Unix anzusehen. Hier hat Motorola mit seiner Chip - Serie sehr starken Einfluß gehabt.

Dennoch, auch wenn verschiedene Hersteller einen identischen Chip - Typus als Basis gewählt haben, wie beispielsweise den Motorola 68020 bei einer Sun -, Apollo - oder HP - Workstation, so sind diese Systeme von der Software her doch nicht untereinander binär -kompatibel - fertig generierte Programme eines Systems laufen nicht direkt und problemlos auf einem anderen.

Vom Programmierlevel her zwar gleich, haben die Implementierungen im Regelfall unterschiedliche Interrupt - Einsprünge oder Aufrufadressen (siehe CW Nr.22 vom 27. Mai 1988, Seite 28).

Hier, so ist sich Marketing Manager Michael Büning von der GEI Rechnersysteme GmbH, Aachen, sicher, liegt auch einer der Gründe, warum es so wenig etablierte Namen in diesem DV - Bereich gibt: Die Softwarebasis fehlt in vielen Fällen, Neueinsteiger scheitern oft an diese Frage.

Intel, etwas später in die Unix - Welt eingetreten, setzt jetzt auf MS - DOS - Erfahrung. Bei ihrer Unix - Implementierung ist ein enger Standard gesetzt worden, der mittels eines " Application Binary Interface" die Workstation - Hersteller zu mehr Konformität veranlassen soll. Bei Unix - Systemen auf der Basis 386 könne die Software blank ausgetauscht werden, schwärmt Büning. Auch MS - DOS - Programme lassen sich recht elegant in solche Systeme einbinden. Die Motorola -gebundenen Hersteller tun sich in dieser Frage etwas schwer: Entweder heißt es, ein Co - Prozessor - Board einzuschieben, auf dem fast ein ganzer PC zu finden ist (wird teuer) oder eine Softwaresimulation zu fahren (wird langsam).

Bei einer 386 - Basis können auf der Maschine neben der Unix -lmplementierung auch mehrere MS - DOS - Programme laufen; Experten sehen hier einen Grund für Sun, mit einer neuen Workstation -Familie namens 386i eine Brücke zwischen diesen Welten zu schlagen (siehe auch CW Nr. 17 vom 22. April 1988, Seite 1).

Der nächste Schritt zum vollständigen Multi - Vendor - Puzzle zwischen Workstation und PC liegt in Überlegungen zur physischen Verbindung und zu Kommunikationsverfahren: Ethernet und NFS, so der Spontangedanke von Vernetzungsprofis.

Die Sun - Entwicklung Network File System (NFS) ist mittlerweile akzeptiert. NFS aber beschäftigt sich in keinster Weise mit Datenstrukturen, sondern bildet nur das Filesystem ab, so daß im Normalfall die gleichen oder zumindest abgestimmte Programme benötigt werden, um die Daten zu übernehmen.

Fast alle Mitbewerber bieten dieses Verfahren an, mit dem - vereinfacht dargestellt - die Platte des Unix - Systems als zusätzliches Laufwerk auf dem PC verfügbar ist. Mittels Ethernet - Karte für den PC und PC - NFS ist dann der volle Zugriff auf die Unix - Welt geschaffen.

Probleme bei der Einbindung von Unix

Um Systeme unterschiedlicher Hersteller nutzen zu können, bietet Apollo Domain NCS an. Das "Network Computing System" besteht aus den drei Komponenten RPC ( Remote Procedure Call), dem NIDL Compiler (Network Interface Definition Language) und dem Location Broker, der zur Ausführungszeit bestimmt, welche Hosts Teilberechnungen durchführen sollen.

Doch die Tücken der Unix - Welt bleiben: Die Anwendungen, in denen typischerweise technische Workstations laufen, sind grafikorientiert - und hier hat jeder Hersteller von Workstations seine eigene Grafikstandardschnittstelle, seine Präsentation auf dem Bildschirm, seine Funktionsaufrufe und seine eigenen Tool - Boxen definiert.

Hier Multi - Vendor - Netze zu betreiben, mit einer X - und einer Y - Workstation bedarf eines erheblichen Änderungs- und Anpassungsaufwandes für alles, was mit Grafik zu tun hat.

Dennoch, Land ist in Sicht: X - Windows Version 11. Diese Version aus den MlT - Labors ist langsam marktreif; die Einigung auf diese Basis für Grafikaufrufe erscheint wahrscheinlich. X -11 gibt Definitionen, um Aufrufe für Grafikgrundlagen (Linien, Flächen füllen, Texte ausgeben, Fenstersystemaufbau) zu vereinheitlichen. Das Problem ist, daß das eigentliche Windowing - System mit der Maus in X - 11 noch nicht enthalten ist, erläutert Gert Maas, Marketingleiter von Sun Microsystems.

"Grafikorientiert" heißt aber heutzutage mehr, als "primitive" Zeichen. Der Einsatz von Dialogboxen, Flight Bars und ähnlichem ist gang und gäbe, aber von X - 11 nicht abgedeckt. Die Normung steht hier noch in weiter Ferne. Einen Vorstoß in diese Richtung haben unlängst Sun und AT&T mit der Toolbox "Open Look" gemacht; Support von Lotus und Ashton - Tate auf der PC - Schiene ist für diese grafische Benutzeroberfläche angekündigt.

Generell gilt: Die Grafikstandards, die heute existieren, CORE/ GKS/ CGI/ PHIGS, liegen nach Meinung der Spezialisten trotz ihrer Funktionalität immer noch an der unteren Grenze - CORE und GKS werden dabei in ihrer Einsatzhäufigkeit als leicht rückläufig bewertet, PHIGS scheint zu kommen.

Ein weiterer Bereich, der Multi - Vendor - Netze spannend macht, liegt in der Kommunikationssoftware und ihrem Zusammenspiel mit dem Betriebssystem. Als Standard gerade auch bei Netzen, die mit Geräten unterschiedlicher Hersteller bestückt sind und Unix fahren, hat sich TCPIP (Telecommunications Program Interchange Protocol) durchgesetzt.

Die Zukunft gehört den Multi - Vendor - Netzen

TCPIP ist als Basis in fast allen Netzprotokollen wiederzufinden und läuft in seiner Ursprungsform auf nahezu allen Rechnern. Aufsätze und Erweiterungen indes "manufacturer-made". . . Zur Frage des Durchsatzes ist generell zu berücksichtigen, daß ein Betriebssystem aus dem eigentlichen Kernel besteht, um den Shells herumgelegt sind.

Je mehr Shells nun eine Utility oder ein Tool bis zum Kern durchdringen muß, desto langsamer wird der Prozeß nach außen hin. Hohe Funktionalität heißt also Einbuße im Durchsatz. Unix, als Betriebssystem sowohl für Mikros als auch Großrechner, hat den Vorteil, daß die Komunikationssoftware direkt auf dem Kernel aufsitzt, so daß die Reaktionsfreudigkeit unterstützt wird. VMS im Gegensatz zu Unix stellt dagegen eine hohe Funktionalität zur Verfügung, reagiert aber dementsprechend langsamer. Unabhängig von physikalischen Einschränkungen wie Leitungsgeschwindigkeiten kann deshalb mit TCPIP unter Unix ein besserer Durchsatz erzielt werden, als mit VMS und DECnet.

Im wesentlichen aber seien periphere Zugriffe und die Art der Übertragungsleitung limitierend bei Durchsatzfragen. So gelten die Platten als erste Begrenzung; bei einer Übertragung von Memory zu Memory ist der nächste Engpaß dann im Netz selbst zu suchen. Sun bietet deshalb in Kürze neben Ethernet, das sich als Standard durchgesetzt hat, ein 100 Megabit Glasfasernetz an, auf dem sich "TCPIP dann voll austoben kann", so Haas.

Schwächen zeigt TCPIP bei Terminalemulationen oder interaktiven Anwendungen, da das Protokoll mehr auf Programm - zu -Programm - Kommunikation und Dateientransfer abgestimmt sei.

Neben Unix existieren natürlich auch einige unternehmensspezifische Welten, von denen im wesentlichen IBM und DEC zu nennen sind. Gerade bei Multi - Vendor - Netzen geht es meistens um die Kommunikation zu diesen Bereichen. Die gängigen Protokolle und Kanalinterfaces der IBM gehören inzwischen zum Standardrepertoire jedes Unternehmens, das sich mit technischen Workstations befaßt. Auch für DECnet - Emulierungen in den verschiedenen Ebenen ist gesorgt.

Auch im klassischen Einsatzgebiet technischer Workstations, dem CAD/CAM - Bereich spielt die Datenorganisation und ihre Bereitstellung für andere Unternehmensbereiche eine immer wichtigere Rolle.

Die modernen Anwendungen gruppieren sich deshalb zunehmend um ein Datenbanksystem. Experten raten, das Interesse zuerst auf die Frage der Datenbankauswahl zu legen. Eine gängige relationale Datenbank, die auch für mehrere Hardwareplattformen verfügbar ist, wie Oracle, Ingres, Sybase oder Unify, sollte in den Mittelpunkt der Anwendung rutschen. Hier ist Herstellerunabhängigkeit Gebot. Die Erfahrung zeigt, daß bei geschickter Auswahl schon gut 80 Prozent der möglichen Fehler vermieden werden können.

Der zweite Problemkreis, die physikalische Kommunikation, wird in dem Moment leicht lösbar, in dem die Datenstrukturen untereinander verträglich sind, man sich also auf ein "vernünftiges" Datenbanksystem festgelegt hat. Auf dieses kann dann von den verschiedenen Aufgabenbereichen (CAD, Produktionsplanung Administration) zugegriffen werden Die in früheren Zeiten übliche Vorgehensweise der CAD - Hersteller, eigene Datenbankstrukturen als Bestandteil des eigenen CAD - Systems zu entwickeln, ist im Schwinden begriffen. CAD - Teil und Datenbank werden zumindest bei den großen Herstellern entkoppelt, um den Zugriff aus verschiedenen Bereichen zu erleichtern.

Benutzerfreundlichkeit läßt es zunehmend als nicht opportun erscheinen, Systeme einzusetzen, die über alphanumerische Bildschirme und Tastaturen arbeiten. Windowing Grafiksysmbole und Maus liegen voll im Trend. Die Rechenleistung für diesen Komfort ist vorhanden, profitieren können nicht nur die Anwender, sondern auch die Programmierer.

* Horst-Joachim Hoffmann ist freier DV-Fachjournalist in München

Die wichtigsten Workstationen - Lieferanten

Motorola - Basis :

Appollo Domain Computer GmbH, Computervision GmbH, Cromemco GmbH, CTM Computertechnik Müller GmbH, Deutsche Olivetti GmbH, Hewlett - Packard GmbH, Isicad GmbH, Kontron Miceocomputer GmbH, Masscomp GmbH, PSC Computersysteme GmbH, Siemens AG, Sun Microsystem GmbH, Valid Logics System Gmbh

Intel - Basis :

Compaq Computer GmbH, Datagraph GmbH, Mikron GmbH, Nixdorf Computer AG, Unisys Deutschland GmbH