Wenn das WAN das LAN ausbremst

20.03.2009
In LANs ist Bandbreite kein Problem. Ganz anders sieht die Situation im Weitverkehrsnetz (WAN) aus. Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

Die Entwicklung in den LANs ist der in den WANs weit voraus. Das gilt für alle Ebenen des OSI-Modells, von den Leitungen bis hinauf zu den Anwendungen einschließlich ihres Service-orientierten Managements. Besonders frappant sind die Überkapazitäten der LAN-Verkabelung. "Die Hersteller passiver Komponenten sind weit über das Ziel, genauer gesagt den Bedarf, hinausgeschossen", kommentiert Mathias Hein, freier IT-Berater in Neuburg an der Donau. Die Verkabelungsindustrie träume mittlerweile von 40 und 100 Gigabit/s via Ethernet. Dabei könnten diese Hersteller nicht einmal glaubhafte Anwendungen anführen, die einen Bandbreitenbedarf von 1 Gigabit/s an den Endgeräten schaffen würden, moniert Hein. Wie sehr Vermarktung und Bedarf auseinanderdriften, macht das Beispiel Gigabit Ethernet deutlich. Vor zwölf Jahren herausgekommen, ist dieser Endgeräteanschluss nur in wenigen Unternehmen und dort lediglich in ausgesuchten Bereichen mit Echtzeit-Videoapplikationen im Einsatz.

Hein zieht eine Parallele zu hochspekulativen Finanzprodukten: "Nach oben wird die Luft bekanntlich dünner. Der Absturz, in diesem Fall überdimensionierter Verkabelungsversuche, ist damit nur noch eine Frage der Zeit." Der geplante ISO-Standard für die FA-Klasse stehe in den Sternen. "Und dort", so Hein, "gehört er auch hin." Bereits in der EA-Klasse ist nicht einmal die ISO-Standardisierung für die aktiven Komponenten abgeschlossen. Hein: "Das liegt unter anderem daran, dass sich US- und EU-Fraktion im Standardisierungsgremium mit UTP (Unshielded Twisted Pair) und STP bekriegen." An sich standardisierte Switch- und Router-Systeme liefen so mangels verbindlicher Vorgaben Gefahr, ins proprietäre Zeitalter zurückzufallen.

Wie wenig die überdimensionierten Verkabelungsofferten zum realen Bedarf der Unternehmen passen, wird an den WAN-Schnittstellen überdeutlich. "Hier müssen sich die meisten Unternehmen, selbst dort, wo sich der Verkehr zwischen Hauptstandorten ballt, mit Leitungsbandbreiten von weniger als 10 Mbit/s bescheiden – ein Viertausendstel des LAN-Traums 40 Gigabit Ethernet", berichtet Jörg Fischer, Leiter für strategische Geschäftsentwicklung bei Alcatel-Lucent in Deutschland. Er sieht im Anschlussbereich mit Fiber-to-the-Building respektive Fiber-to-the-Home, kurz: FTTx, den WAN-Bereich aufholen: "FTTx hält immerhin 100 Mbit/s und mehr vor." Allerdings gehe das Aufholen langsam und konzentriere sich vorerst auf Ballungszentren wie Köln, München, Hamburg und Frankfurt am Main: "Bei WAN-Endgeräteanschlüssen wie DSL ist derzeit VDSL das Höchste der Gefühle."

Hoffnung auf Berlin

UMTS bezeichnet Fischer für Anwendungen, die einen konstanten Kommunikationsstrom voraussetzen, aufgrund einer zu geringen Bandbreite im Downstream und viel zu langer Antwortzeiten upstream als "völlig ungeeignet. Inwieweit sich Wimax oder LTE als mobile Alternative für einen konstanteren Kommunikationsstrom durchsetzen können, bleibt abzuwarten." Hoffnungen setzt Fischer auf das Investitionsprogramm "Breitband für Jedermann" der Bundesregierung. Es soll die Bandbreitenunterschiede zwischen Stadt und Land auf lange Sicht nivellieren und vielleicht der bandbreitenstarken Glasfaser im Anschlussbereich zum Durchbruch verhelfen.

Christian Biller, verantwortlich für das LAN-Portfolio bei Siemens IT Solutions and Services, analysiert die unterschiedliche Ausgangssituation im LAN und WAN: "Wenn Unternehmen geschäftsrelevante Applikationen einführen, sollten sie eine ganzheitliche Sicht auf das Projekt haben und alle betroffenen Geschäftsprozesse bewerten. Dazu gehören die beteiligten Netze, Netzkomponenten sowie Hard- und Software." Das gelte sowohl für den IT-Eigen- als auch den -Fremdbetrieb. Biller ergänzt: "1-Gigabit-Ethernet im Kernbereich und 100-Mbit/s-Ethernet im Access-Bereich sind derzeit noch die Regel." Leitungsbandbreiten von 1 Gigabit/s seien zwar technisch auch im WAN möglich, derzeit dort aber nicht verbreitet. Angesichts solcher Engpässe könne Application Acceleration weiterhelfen: "Durch die Kombination von Protokolloptimierung, Kompressions- und Caching-Mechanismen können der Bandbreitenbedarf erheblich reduziert und die Reaktionszeiten verkürzt werden." Ganz anders zeige sich die Situation im LAN. "Die Netze sind hier weitgehend für die 1-Gigabit/s-Technologie vorbereitet. Aktive Netzkomponenten können einfach nachgerüstet und bestehende Kupferverkabelung kann beibehalten werden."

Biller rät, innovative Themen wie Unified Communications, insbesondere mit Video-Einbindung, in erfahrene Hände zu legen. "Dazu gehört auf Provider-Seite ein modulares und flexibles Dienstleistungsportfolio und ausreichende Erfahrung, um Verbindungsengpässe schon beim Design zu vermeiden." Gerade bandbreitenintensives Echtzeitvideo sollte nur dort eingesetzt werden, wo es für das Unternehmen nachweislich zu Mehrwert führt. Weniger, also nicht hinreichende Anschlüsse bei videointegrierten Lösungskonzepten außen vorzulassen, ist meist mehr. "So können die Unternehmen Qualitätsproblemen bei der Ausgabe von vornherein aus dem Weg gehen", sagt Stefan Kellerwessel, Senior Consultant bei Logica.

Kosten entscheiden

Mehr Bandbreite und Quality of Service (QoS) im WAN sind nicht die einzigen Argumente für moderate klassische Aufrüstmaßnahmen im LAN. "Beides muss zu erschwinglichen Kosten bereitstehen", so Kellerwessel. Er rät den Carriern und Mobilfunkbetreibern, ihre Gebührenmodelle für den Business-Bereich komplett neu zu überdenken. Bessere Übertragungsperspektiven durch Wimax und WLANs sieht der Logica-Berater nur bedingt: "In Europa kommt Wimax bisher nicht über eine Rolle als Nischenlösung hinaus." Die WLAN-Technik werde von den Mobilfunkbetreibern eher halbherzig vorangetrieben.

Für bedachtsames Herangehen der Unternehmen an bandbreiten- und QoS-fordernde Applikationen sprechen weitere Gründe. "Die Sicherheit muss den integrierten Applikationen Ende-zu-Ende folgen können", unterstreicht Bernd Redecker, Head of Security Solutions, Professional Services, bei Wincor Nixdorf. Aus dem WAN-Bereich heraus erfolge jedoch der Wechsel von einer netzwerkbasierenden zu einer in den Anwendungen eingebetteten Sicherheit nur langsam: "VPN-Boxen, IP-Sec(urity) und so genannte End-to-End-Managed Security Services, deren Sicherheit bei genauerer Betrachtung an den LAN-Übergängen endet, sind eindeutige Indizien dafür." Innerhalb ihrer Domänen seien die Unternehmen erheblich weiter.

Applikations- und Netzsicherheit

Bis die Anbieter aus dem WAN nachzögen, so Redecker, gehe es für die Unternehmen darum, ihre Applikationssicherheit und die Netzsicherheit der Dienstleister bestmöglich zu verknüpfen. "In dieser Konstellation muss sich der Anwender an den WAN-Schnittstellen auf die Netzsicherheit des Dienstleisters verlassen oder besser dessen Sicherheitsniveau durch eigene Security-Mechanismen auf den eingesetzten Endgeräten ergänzen." LANs und WANs sind laut Redecker noch weit voneinander entfernt: "Während die WAN-Provider sich auf das Management der Übertragungsstrecken konzentrieren, fokussieren die Unternehmen innerhalb ihrer LANs mit Service-Management die komplette IT einschließlich der Applikationen." Ihr Management ziele sogar zunehmend in Form von Business-Service-Management auf die Geschäftsprozesse ab. "Dadurch können betriebswirtschaftliche Kenndaten angezeigt werden, sobald Einschränkungen innerhalb der IT auftreten", blickt Redecker erwartungsvoll auf die WAN-Seite.

Verfügbare Bandbreiten

Selbst bei Maximaldurchsatz erreichen Alternativen kein WAN-Tempo:

  • UMTS 384 kBit/s

  • HSPA 14,6 Mbit/s

  • HSPA+ 42 Mbit/s

  • Wimax 110 Mbit/s

  • LTE 170 Mbit/s

  • DSL 6 Mbit/s

  • ADSL2 16 Mbit/s

  • VDSL 55 Mbit/s