Wenig Spielraum für Innovation

23.02.2007
Von 
Sabine Prehl ist freie Journalistin und lebt in München.
Steigende Anforderungen an die IT und permanenter Kostendruck machen CIOs nach wie vor zu schaffen.

Die fortschreitende Globalisierung und die wachsende Komplexität des Geschäfts stellen die CIOs vor immer höhere Herausforderungen. Wachstum bei gleichzeitigem Stellenabbau, zu viele Projekte sowie unklare Ziele haben häufig zur Folge, dass die IT-Organisation den in sie gesetzten Erwartungen nicht gerecht werden kann. Die Frage, wie sich Prozesse technisch optimal unterstützen lassen und auf diese Weise für mehr Qualität und zugleich Einsparungen sorgen, treibt die CIOs nach wie vor um. Das zeigten auch die Diskussionen auf den "Hamburger IT-Strategietagen", zu denen die Schwesterpublikation der computerwoche, "CIO", und die Initiative "Hamburg@work" hochkarätige IT-Manager geladen hatten.

Hier lesen Sie …

  • wie CIOs versuchen, Einsparungen zu erzielen, ohne auf Innovationen zu verzichten;

  • warum eine Neuaufstellung der IT manchmal der einzige Weg ist, um diese Ziele zu erreichen;

  • welche Ansätze es gibt, um auch in einem hochkomplexen und heterogenen Geschäft eine bessere Prozessunterstützung durch die IT zu erzielen;

  • welche Vorteile eine Enterprise Architecture in diesem Zusammenhang bietet.

Klaus-Hardy Mühleck, CIO des Automobilherstellers VW, brachte es auf den Punkt: "Es gibt zwar mittlerweile gute theoretische Ansätze, um die Kosten zu senken und zugleich Innovationen durchzusetzen. Aber in der Praxis funktionieren sie meist nicht, weil die Organisation der Systeme und Prozesse so komplex geworden ist." Knapp bemessene Budgets machten die Situation nicht einfacher, so der Manager. Laut einer aktuellen Capgemini-Umfrage unter 103 Anwenderunternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz steigen die IT-Budgets zwar wieder; der Anteil für Innovationen ist jedoch nach wie vor rückläufig: "Viele CIOs stehen unter so hohem Druck, dass ihnen dafür wenig Spielraum bleibt", begründete Martin Bettels, Vice President Alliances & Innovation bei Capgemini, das Ergebnis.

Effizienz ohne Mehrausgaben

VW hat mittlerweile einen Weg zu mehr Effizienz gefunden, der ohne nennenswerte Mehrausgaben auskommt. Hintergrund war eine Neuorganisation der IT mit dem Ziel der kompletten Vernetzung aller Geschäftsbereiche. Dieses Projekt hatte CIO Mühleck kurz nach seinem Amtsantritt im Herbst 2004 in Angriff genommen, um die Prozessunterstützung und damit die Kundenorientierung zu verbessern.

Seit Anfang 2005 ist die neue Matrix gültig. Eine der Neuerungen ist die Umsetzung des VW-Konzepts einer "digitalen Fabrik": Danach werden die Produktionsprozesse von Anfang an von der IT unterstützt etwa durch virtuelle Techniken, die die physische Realität in der Fabrikhalle eins zu eins abbilden. Laut Mühleck konnte VW auf diese Weise den Output an neuen Modellen verdoppeln, ohne zusätzlich Leute einzustellen.

Noch sind nicht alle mit der Neuorganisation verbundenen Aufgaben gelöst. Als "Herausforderung" bezeichnete Mühleck etwa die Einbindung externer Partner wie Dienstleister und Lieferanten in die neue Struktur. Schließlich werden bei VW rund 25 Prozent der Wertschöpfung extern erbracht. "Ideal wären globale Standards, damit wir uns um diese Dinge nicht mehr kümmern müssen", so der CIO. Bis dahin sei es allerdings noch ein langer Weg, aber vielleicht hilft uns ja Web 2.0 dabei."

Auch die Bosch Rexroth AG, ein Spezialist für Antriebs- und Steuerungstechnik sowie Hydraulik, hat die Neuaufstellung der IT in den vergangenen Jahren vorangetrieben. Vor allem den steigenden Anforderungen der Globalisierung wurde die bisherige IT-Landschaft nicht mehr gerecht. Globale Herausforderungen Das vor fünf Jahren aus einem Merger zwischen Bosch und Mannesmann Rexroth hervorgegangene Unternehmen ist mit über 60 Fertigungsstätten und Vertriebsgesellschaften in 39 Ländern vertreten und verkauft seine Produkte in weit mehr als hundert Ländern über Partner. Dabei setzt der Konzern immer stärker auf globale Delivery-Modelle. Die Fertigung für den Bosch-Rexroth-Standort in Australien erfolgt beispielsweise in Niedriglohnländern wie Indien; Spezialteile werden aus Deutschland zugeliefert.

Der IT-Organisation kommt bei der Steuerung solcher Aktivitäten eine zentrale Rolle zu. Einer Studie von Pricewaterhouse-Coopers (PwC) zufolge sehen 84 Prozent der CEOs die IT als effektivstes Instrument an, um die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen. "Weltweit agierende Konzerne brauchen eine einheitliche IT-Struktur, um ihre Prozesse optimal zu unterstützen", bestätigte Michael Nilles, Vice President IT bei Bosch Rexroth. "Richtig" global aufgestellt sei allerdings derzeit kaum ein Unternehmen: "Nur ein paar Konzerne etwa Philips und IBM haben es bereits geschafft, ihre IT so zu vereinheitlichen, dass sie die Geschäftsprozesse in allen Teilen der Welt unterstützt". Im Business- und in der IT gälten so unterschiedliche Maßstäbe vor allem im Hinblick auf die Größe des Budgets , dass ein Alignment viel schwerer umzusetzen sei als häufig angenommen.

Inzwischen ist es Nilles gelungen, einen großen Teil der IT-Prozesse auf die globalen Strukturen seines Unternehmens auszurichten. Hilfreich war dabei die Entscheidung, die bisherigen "Business-Silos" abzuschaffen, also die Entwicklung und Fertigung sowie die entsprechenden Vertriebskanäle an die jeweiligen Prozesse und Systeme zu koppeln. Auch die schwierige Aufgabe, den Wertbeitrag der IT für das Geschäft zu messen, hat Nilles weitgehend gelöst: Heute werden die Projekte nach Kriterien wie "Bedeutung" und "Return-on-Investment" klassifiziert und anhand der jeweiligen Zielerreichung bewertet.

Durch Maßnahmen wie Standardisierung und Harmonisierung konnte der Konzern zudem seine IT-Ausgaben senken. Einsparungen dürften allerdings nicht zu Lasten von Innovation gehen, betonte Nilles: "Beim Thema Kostensenkung betrachten wir grundsätzlich nur den Betrieb. Die Projektkosten bleiben unangetastet."

Komplexität managen

Wie es gelingen kann, eine hochkomplexe Geschäfts- und IT-Umgebung in den Griff zu bekommen, verdeutlichte auch der Vortrag von Rainer Janßen, CIO bei der Münchener Rück. Als Rückversicherer hat der Konzern sehr heterogene Geschäftsabläufe. Dementsprechend komplex ist auch die Anwendungslandschaft: Trotz jahrelanger Standardisierungsbemühungen sind noch rund 1000 verschiedene Softwareprodukte im Einsatz.

Um die Komplexität des Geschäfts auf IT-Ebene abzubilden, muss diese so dynamisch gestaltet sein, dass sie flexibel auf neue Anforderungen reagieren kann. Vor diesem Hintergrund war ein fundiertes Architektur-Management unerlässlich. CIO Janßen entschied sich daher für den Aufbau einer Enterprise Architecture (EA), einer detaillierten Beschreibung von Struktur und Betrieb der IT, aus der Anwender ablesen können, wie sie ihre Ziele am effektivsten erreichen.

Die EA der Münchner Rück besteht aus drei Schichten: der Geschäftsarchitektur (Strategie, Organisation und Governance), der Informationsarchitektur (Daten und Anwendungen) sowie der Infrastruktur. Eine besondere Herausforderung stellt nach den Worten von Janßen die Beschreibung der Geschäftsarchitektur dar. Voraussetzung dafür sei ein ganzheitliches Verständnis für das eigene Business, was vielen Unternehmen allerdings fehle. Zudem werde die Geschäftsarchitektur häufig nur partiell, sprich: für bestimmte Anwendungen, in die IT-Infrastruktur integriert. Auch die zunehmende Flut an geschäftsrelevanten Informationen erleichtere die Situation nicht gerade.

Kommunikation entscheidet

Die größte Schwierigkeit besteht jedoch darin, den Wert einer EA so zu vermitteln, dass er für alle Beteiligten nachvollziehbar ist. Einer Erhebung von Gartner zufolge entfallen bei solchen Vorhaben im Schnitt rund 30 Prozent der Arbeit auf interne Kommunikation. "Man muss den Fachbereichen, in unserem Fall hauptsächlich Finanz- und Marketing-Experten, immer wieder erklären, was wir von ihnen wollen das braucht Zeit", bestätigte Janßen. Auf Unterstützung durch externe Berater können Anwender hier nur bedingt zählen: "Es gibt wenig Anbieter, die in diesem Bereich genug Erfahrung mitbringen", hat der CIO beobachtet. "Auch EA-Management-Tools sind keine große Hilfe, da sie nur über einen beschränkten Funktionsumfang verfügen."

Langer Atem notwendig

Trotz der zahlreichen Hürden geht Janßen jedoch davon aus, dass sich das Thema am Markt durchsetzen wird. "Es wird wohl noch dauern, bis eine EA so selbstverständlich ist, wie es Geschäftsprozessmodellierung oder UML heute sind. Aber ich glaube, dass sich hier ein langer Atem lohnt."

Generell rühren viele Probleme der CIOs daher, dass sich die IT-Branche in Sachen Industrialisierung noch ganz am Anfang, fast noch im Handwerksstadium, befindet. Die vorliegenden Beispiele zeigen jedoch, dass das einige Firmen ihrem Ziel, trotz knapper IT-Budgets die Kosten zu senken und gleichzeitig Innovationen durchzusetzen, bereits ein gutes Stück näher gekommen sind.