Wenig Bewegung bei Mainframe-Betriebssystemen Die IBM-Strategie: Nicht mehr Offenheit als unbedingt noetig Von Wolfgang Schmuecker*

04.03.1994

Die IBM oeffnet nach und nach ihre Betriebssystem-Welten. Nachdem das Desktop-Betriebssystem OS/2 kuenftig nicht nur fuer Intel-, sondern ebenso fuer die RISC-Prozessoren der Power-PC-Reihe verfuegbar ist, werden auch die Midrange-Betriebssysteme OS/400 fuer die AS/400 und AIX, das Unix-Derivat der IBM, immer staerker auf relative Hardware-Unabhaengigkeit getrimmt. Zurueckhaltender gibt sich Big Blue dagegen bei der Oeffnung seiner Grossrechner-Betriebssysteme MVS und VSE. Offenheit ist weniger eine technische Frage als vielmehr eine Marketing-Ueberlegung. Und hier gilt nach wie vor die Devise: Nur soviel Offenheit wie unbedingt noetig. Dabei definiert IBM Offenheit nicht ausschliesslich als Hardware-Unabhaengigkeit, sondern zieht auch die Einsatzfaehigkeit in heterogenen Netzumgebungen als Kriterium heran. Diese Haltung zeigt das Unternehmen insbesondere bei der Migration des De-facto-Standards SNA (System Network Architecture), bei Werkzeugen wie Netview und Transaktionsmonitoren wie CICS. Auch in diesen Bereichen betreibt IBM eine kontrollierte Oeffnung gegenueber Nicht-IBM-Systemen.Der wohl dramatischste Sinneswandel vollzieht sich derzeit beim Betriebssystem der AS/400. Das seit seiner Ankuendigung 1988 als lupenrein proprietaer geltende OS/400 mit seiner integrierten Datenbank wird seit 1993 sukzessive geoeffnet. OS/400 wird, glaubt man den Technologie-Briefings des IBM-Labors in Rochester, 1995 erstmals auf RISC-Prozessoren zur Verfuegung gestellt werden. Nach Aussagen des IBM-Managers Frank Soltis, in Rochester fuer die AS/400-Architektur verantwortlich, ist es theoretisch moeglich, OS/400 auch auf DEC-Alpha- oder anderen 64-Bit-Prozessoren lauffaehig zu machen. In der Tat eignet sich das Betriebssystem hierfuer aufgrund seiner Architektureigenschaften wie Single Level Storage und dem Machine Interface als interpretativer Schnittstelle zwischen dem eigentlichen Betriebssystem-Kern und der echten Hardware. Das Betriebssystem arbeitet bereits heute intern mit einer 128-Bit-Adressierung, die bei der AS/400 jedoch auf die 48-Bit-Hardware eingeschraenkt wird. Mit der Verfuegbarkeit des IBM-eigenen RISC-Chips unter der Entwicklungsnummer "620" soll OS/400 ab 1995 auf den 64-Bit-Adressraum hin optimiert werden. Inwieweit IBM das AS/400-Betriebssystem tatsaechlich auch auf anderen Hardwareplattformen anbieten will, bleibt abzuwarten. Technisch, so erklaerte Frank Soltis in einem Gespraech, eigne sich OS/400 jedoch fuer "ultimative Offenheit". Dazu soll auch das voellige Redesign des Betriebssystems mit Hilfe objektorientierter Werkzeuge verhelfen.Einen vergleichbaren Weg der Neuentwicklung geht die IBM derzeit auch in ihrem AIX-Labor in Austin, Texas. Hier bereiten die Techniker das auf die RS/6000 ausgelegte Unix- Derivat auf eine 64-Bit-Zukunft vor.Kernel-Architekturen strebt die IBM auch bei der Entwicklung der Desktop-Betriebssysteme an. So hat das Unternehmen den OSF-Mach-Kernel fuer ihr Workplace/OS uebernommen. Kernel-Architekturen, die prinzipiell die Moeglichkeit zur Hardware-Unabhaengigkeit bieten, sind bei OS/400 und AIX bereits etabliert. Die Lizenzierung des OSF-Codes (Open Software Foundation) fuer die offenen Standards DCE (Distributed Computing Environment) fuer verteilte Systemumgebungen und DME (Distributed Management Environment) fuer Netzwerkumgebungen ist ein weiteres Signal. Vorsichtiger geht die IBM bei der Oeffnung im Grossrechnerumfeld vor. Fuer die weltweit rund 40000 VSE-Lizenzen ist kaum mit Hardware-Unabhaengigkeit zu rechnen. Auch MVS/ESA wird in absehbarer Zeit auf /370 und /390-Architekturen begrenzt bleiben. Hier zeichnen sich eher Entwicklungstendenzen in Richtung eines "kleineren" MVS ab. Dabei sind die Designziele von MVS durch die Zukunftsplaene der Enterprise Systems bestimmt. Auch die Grossrechner-Reihe ES/9000 soll ab 1995 mit RISC-Prozessoren ausgestattet werden. Bereits im Fruehjahr dieses Jahres kuendigt IBM hier erste Parallelprozessoren an, die von MVS adaequat unterstuetzt werden muessen. Oberhalb der Betriebssystem-Ebene strebt die IBM konsequent eine Einbettung ihrer Produkte in heterogene Systemumgebungen an. Vor allem beim hauseigenen SNA-Netz wird dies deutlich. SNA ist nach Schaetzung von IBMs Kommunikations-Chefin Ellen Hancock weltweit rund 50000mal implementiert. Seit September 1990 arbeitet IBM sukzessive an der OSI-Konformitaet ihrer Netzwerkarchitektur. So hat Big Blue seitdem seine urspruenglichen Produkte Open Systems Network Support, Open Systems Transport und Session Support durch das OSI-Communications-Subsystem ersetzt. Es besteht aus - dem X.400 Open Network Distributed System - mit Gateways zu anderen X.400-konformen Protokollen sowie dem- OSI File System - einer Implementierung des OSI-Standards FTAM (File Transfer Access and Management).Dabei soll APPN (Advanced Peer-to- peer Networking) durchgaengig fuer alle Standard-Betriebssysteme, von DOS und OS/2 ueber AIX bis hin zu Grosssystemumgebungen wie VM und MVS zur Verfuegung stehen. Mit dem Common Programming Interface for Communication (CPI-C) ist zudem die Voraussetzung geschaffen, die vorhandene Hard- und Software im Rahmen von APPN zur Entwicklung verteilter Anwendungen zu nutzen. Offene Ansaetze beim SNA-Netzwerk ACF/VTAM fuer MVS/ESA macht APPN auch fuer die Rechner der /390-Reihe einsetzbar. Die Verfuegbarkeit der APPN- Unterstuetzung fuer die RS/6000 und entsprechende Erweiterungen fuer AIX- SNA-Services /6000 sind ebenfalls vorgesehen.Nachdem IBMs OSI-Programme zunaechst lediglich X.25 unterstuetzten, sind inzwischen Verbindungen zu ISDN (Integrated Services Digital Network) und lokalen Netzen mit Token Ring, Ethernet, Token Bus oder FDDI (Fiber Distributed Data Interface) verfuegbar. Fuer praktisch alle IBM Plattformen ist darueber hinaus der volle TCP/IP-Support angekuendigt oder verfuegbar.Auf der Anwendungsseite oeffnet IBM ihren Transaktionsmonitor CICS fuer neue Plattformen. Angesichts der milliardenschweren Investitionen in transaktionsorientierte Anwendungen macht die weitere Pflege von CICS durchaus Sinn. Vor allem mit der Verfuegbarkeit von CICS unter AIX oder auch unter HP-UX werden den Unix-orientierten Anwendungswelten Features wie Transaction-backout zur Verfuegung gestellt, die in kommerziellen Anwendungen unverzichtbar sind. So bietet CICS - anders als das klassische Unix - im Falle eines Systemabsturzes Recovery-Mechanismen, die dem Anwender einen klaren Aufsetzpunkt fuer die Weiterarbeit gestatten.* Wolfgang Schmuecker ist Geschaeftsfuehrer der Schmuecker und Partner Informationssysteme GmbH, Frankfurt