Tool-Einsatz zur sicheren Bewertung von DV-Projekten

Wella verpasst ihrer IT einen neuen Schnitt

20.10.2000
MÜNCHEN (uo) - Die Wella AG, Darmstadt, strukturiert sich um - weg von regionalen Betriebseinheiten, hin zur Spartenorganisation. Die IT-Abteilung des Konzerns muss sich dem neuen Konzept anpassen. Zu ihren Aufgaben gehört es, weltweit Projekte aufzusetzen und zu steuern.

Heute ist Wella in drei Sparten tätig: zum einen Friseurbedarf, der reicht von der richtigen Schere über Saloninterieur bis zum Shampoo, zum anderen Retail, dieser Bereich umfasst den Verkauf von Haarpflegeprodukten über den Einzelhandel, zum dritten Kosmetik und Duft, das ist der Wella-Geschäftsbereich, der derzeit am stärksten wächst. Letzteres war zuvor bereits als weltweite Sparte unter dem Dach der Cosmopolitan Cosmetics GmbH organisiert, während sich das Friseur- und das Endverbrauchergeschäft sich hauptsächlich nach Regionen und Standorten gliederte.

Da die Sparten in den Vertriebswegen, im Marketing und der Produktion differieren, weisen sie auch unterschiedliche IT-Probleme auf. Deshalb behandelt die DV-Seite sie wie verschiedene Kunden, denen jeweils ein eigener Ansprechpartner zugewiesen wird (siehe Grafik "IT als interne Dienstleistung"). So gibt es in der IT-Organisation etwa einen Key-Account-Manager für Cosmopolitan Cosmetics (siehe Kasten "Haut und Haar") und einen für die Wella Holding. Rund zwei Drittel der 15400 Wella-Mitarbeiter (im Jahr 1999) arbeiten außerhalb Deutschlands. Deshalb existieren neben den Spartenverantwortlichen zugeordneten auch noch spartenübergreifende IT-Manager, die für die Regionen Amerika, Asien und Europa zuständig sind.

Die DV-Manager sind zugleich das Bindeglied zwischen den internen Kunden und der weltweit insgesamt 360 DV-Mitarbeiter zählenden IT-Organisation des Konzerns. Sie arbeiten mit den Wella-Geschäftsbereichen die IT-Strategien aus und setzen diese Vorgaben zusammen mit den Kollegen aus den konzerneigenen Kompetenzzentren um.

Für diese Struktur der IT-Abteilung zeichnet Chief Information Officer (CIO) Hans-Jürgen Hoffmann verantwortlich, der nun seit rund einem Jahr für Wella tätig ist. Er teilt die IT-Kompetenzzentren in zwei Aufgabenbereiche ein: Applikationen und Technik. Die Techniker kümmern sich um die DV-Infrastruktur, etwa um Local Area Networks (LANs), Wide Area Networks (WANs) und Rechenzentrumsdienstleistungen. Das Management des technischen "Competence Center" befindet sich in Köln, während die Mitarbeiter weltweit verteilt sind.

Die Anwendungsspezialisten befassen sich zur Zeit im Wesentlichen mit der weltweiten Einführung der SAP-Standardsoftware R/3 auf AS/400-Rechnern sowie der Internet-Präsenz des Konzerns. Die Betriebswirtschaftssoftware aus Walldorf löst laut Hoffmann einen "ERP-Zoo" aus zirka 20 verschiedenen Produkten ab, darunter auch Eigenentwicklungen. In Asien werde der Rollout voraussichtlich im Jahr 2002 beendet sein und weltweit im Jahr 2005, so Hoffmann. Dann sollen 4000 bis 5000 Benutzer mit der Standardlösung arbeiten. Hierzulande steckt Wella momentan mitten im Release-Wechsel auf die R/3-Version 4.6 B. Neben der Einführung von Standardprodukten entwickeln die Kompetenzzentren auch selbst Software. So erstellte die IT-Mannschaft in Korea eine Vertriebsanwendung für den Handheld-Einsatz. Neben dem weltweit agierenden Anwendungszentrum in Darmstadt gibt es auch regionale Zentren, beispielsweise das nordamerikanische SAP-Center in der Nähe von Los Angeles.

E-Commerce-Applikationen gehören nach Angaben von Hoffmann zu den wichtigsten Themen im Konzern und sind direkt beim Vorstand aufgehängt. In diesem Monat stellen die Wella-Entwickler die Pilotversion eines Friseurportals fertig, über das die Haarsalons die gewünschten Produkte ordern können.

Diese Anwendung soll im kommenden Jahr zuerst in Großbritannien eingesetzt werden. Darüber hinaus plant Wella einen Marktplatz für das E-Procurement, hauptsächlich für den Einkauf von B- und C-Artikeln.

Zu Vereinheitlichung der DV tragen konzernweite IT-Standards bei, über die sich die hiesigen IT-Manager in 14-tägigem Rhythmus verständigen. Bei Bedarf können die Kollegen aus Asien und Amerika per Videokonferenz an den Beratungen teilnehmen. So soll der Web-Auftritt mit Hilfe der E-Commerce-Lösung "Enfinity" von der Intershop GmbH, Jena, realisiert werden, während das Content-Management-System "VIP" von der Gauss Interprise AG, Hamburg, stammt. Die Firewall liefert in der Regel die amerikanisch-israelische Firma Checkpoint Software. Derzeit stehen Entscheidungen bezüglich Data-Warehouse-Software und Customer-Relationship-Management an.

Die Einigung auf strategische Produkte und damit die Vereinheitlichung der Hard- und Softwarelandschaft habe allerdings auch ihre Grenzen, räumt Hoffmann ein. Immer wieder seien "Inseln" zumindest "temporär notwendig", um neue Techniken einzuführen und aktuelle Probleme schnell zu lösen.

Bei dem CIO laufen letztlich die IT-Aktivitäten seiner weltweit verstreuten Mitarbeiter zusammen. Er kontrolliert, ob die Unternehmensstandards eingehalten werden. Zudem ist er für das Budget verantwortlich; im Jahr 1999 stellte Wella rund 70 Millionen Mark für IT-Investitionen bereit. Den Überblick darüber zu behalten, wer in welchem Projekt involviert ist, wo alles funktioniert, wann etwas zu eskalieren droht oder Nachbesserungen angebracht sind, bedeutet bei etwa 50 parallel laufenden Projekten eine Herausforderung.

Hoffmann will sich die Bewertung der Projekte mit einem Softwareprodukt der BPR Samberg + Partner, Kiel, vereinfachen. "Pro Check" ermöglicht die Beurteilung eines IT-Vorhabens nach seiner Wirtschaftlichkeit und der strategischen Bedeutung.

Um eine solche Einordnung vornehmen zu können, müssen die Projektplaner, also die Key-Account-Manager, ihre Projekte mit Hilfe des Tools klassifizieren. Die Merkmale finden sie in einer Checkliste. Diese besteht aus Aspekten, die den zu erwartenden Nutzen beschreiben, und Kriterien, mit denen sich der Aufwand kalkulieren lässt.

Die möglichen Projektziele und ihre Erfolgsfaktoren werden, sofern sie unternehmensspezifisch sind, zum Teil direkt aus den Unternehmenszielen, wie sie etwa im Geschäftsbericht stehen, abgeleitet. Mit Letzteren sind Kennzahlen verknüpft, die den Erfolg eines Projekts messbar machen: die Umsatzrendite, der Shareholder Value, aber auch der tägliche Aufwand für den Rechenzentrumsbetrieb pro Nutzer. Das sind derzeit rund 200 Mark ohne Rundumservice und 400 Mark mit Support.

Zugleich hilft das BPR-Tool bei der Einschätzung der Chancen gegenüber dem finanziellen Risiko. Die Projektplaner geben eine Bandbreite an, die zwischen dem geringsten und dem höchsten zu erwartenden Aufwand liegt beziehungsweise zwischen dem "best" und "worst case". Die Spanne vermittelt einen Eindruck von der Planungsgenauigkeit, mindert aber auch den psychologischen Druck, auf den Punkt genau sagen zu müssen, wann ein Projekt beendet ist oder wie viel Manpower und sonstige Ressourcen aufzuwenden sind.

Nicht bei allen Projekten ist unmittelbar der wirtschaftliche Nutzen zu erkennen. So sind E-Commerce-Projekte zwar eindeutig von strategischer Natur, über ihre Rentabilität lässt sich im Vorfeld jedoch nur spekulieren. Dennoch kann das Tool zur Unterscheidung von potenziellen Hits von Flops dienen, beharrt Hoffmann. Die Projektplaner könnten alle qualitativen Vorteile ihres Vorhabens dokumentieren, aber den quantifizierbaren Nutzen vorerst vernachlässigen. Dadurch bekämen Ideen eine Chance, die sonst vielleicht untergingen. Zugleich erhielten über die Checklisten alle Projektbeteiligten und Entscheider dieselbe Informations- und Diskussionsgrundlage. So lasse sich besser entscheiden, welche Projektvorschläge gut seien und weiterverfolgt werden sollten und welche aussortiert oder zurückgestellt gehörten. Außerdem könne die Checkliste dazu genutzt werden, die Projektvorschläge zu verfeinern und zu präzisieren.

Kooperation mit dem HerstellerBei Wella arbeitet erst einmal der für Asien zuständige Key-Account-Manager in Kundenprojekten mit dem Werkzeug. Vier bis fünf weitere IT-Manager setzen es für die Budgetplanung ein, im kommenden Jahr sollen es flächendeckend zirka 50 DV-Manager verwenden. Bis dahin feilt die IT-Leitung noch an Unternehmensspezifika der Checklisten wie unterschiedliche Zielhierarchien für die Retail-, die Friseur- und Kosmetiksparte, die der Hersteller BPR in das Tool einarbeiten muss.

Hoffmann kann jedoch froh sein, dass zunächst ein überschaubarer Kreis von ihm persönlich bekannten Managern die Software nutzen wird. Denn wenn die Projektleiter bei den Angaben zum erwarteten Nutzen oder den notwendigen Ressourcen schummeln, um ein Projekt durchzudrücken, kann auch die Software nur falsche Ergebnisse präsentieren.

Neben dem BPR-Tool Pro Check benutzt Wella auch das Projektsteuerungswerkzeug "Pro Pilot" des Herstellers. Das existiert allerdings erst als Prototyp. Es dient dazu, den Ist-Verlauf des Projekts dem geplanten idealen aus Pro Check gegenüberzustellen. Dadurch ermöglicht es eine Vorschau auf das weitere Geschehen. Ziel des Tool-Einsatzes ist es, möglichst frühzeitig zu erkennen, ob Kosten und Zeitrahmen eingehalten werden können, ob bei Schieflage interveniert werden muss und ob Verzögerungen Kollisionen mit anderen Projekten verursachen. Hoffmann und seine Mitarbeiter bringen ihre Erfahrungen in die Entwicklung des BPR-Werkzeugs ein. Für ihn sind die BPR-Produkte Instrumente, die ihn in der Auswahl der für Wella richtigen IT-Projekte unterstützen. Insofern sind die Internet-basierten Tools auch ein Mosaikstein im Gefüge einer virtuellen IT-Abteilung, in der die Mitarbeiter weltweit verteilt sind.

Haut und Haar

Die rund 15 400 Mitarbeiter der Wella AG, Darmstadt, erwirtschafteten 1999 einen Umsatz von 2,37 Milliarden Euro. Der Vorsteuergewinn lag bei 152,6 Millionen Euro. Im laufenden Jahr erwartet der Konzern eine siebenprozentige Steigerung der Einnahmen.

Das Wella-Kerngeschäft mit 80-prozentigem Umsatzanteil ist die Haarkosmetik. Hier reichen die Anfänge in die Zeiten Kaiser Wilhelms I. zurück. Friseur Franz Ströher fertigte ab 1880 zunächst im Familienbetrieb Haarteile und Perücken. Seine erste Fabrik entstand im sächsischen Rothenkirchen; sie wurde 1911 in das Handelsregister aufgenommen. 1924 erwarben seine Söhne Karl und Georg die Lizenz zur Produktion von Dauerwellenapparaten und meldeten das Wortzeichen Wella zum Patent an. Seit den 30er Jahren ist die Firma im Versand von Haarpflegemitteln und dem Bau von Friseurgeräten international tätig. Krieg und Enteignung unterbrachen die Erfolgsgeschichte zwar, doch in den 50er Jahren erfolgte mit der Cremehaarfarbe "Koleston" der erneute Aufschwung.

1994 erfolgt die größte Akquisition in der Firmengeschichte: Wella kauft den Kölner Kosmetikanbieter Muelhens KG, dessen bekannteste Marke 4711 ist. Das Kosmetik- und Duftgeschäft, das in diesem Jahr unter dem Dach Cosmopolitan Cosmetics GmbH zusammengefasst wurde, erzielte 1999 einen Umsatz von 442 Millionen Euro und ist damit der zweitgrößte Geschäftsbereich.