Statt einer "Checkliste der Selbstverständlichkeiten"

Welches Mehrplatz-System kann schon das Ei des Kolumbus sein

06.09.1991

Die Aufgaben scheinen sich auf den ersten Blick zu gleichen. Sowohl die Meier AG als auch die Müller GmbH und der Handwerksbetrieb Maler wollen ihre Buchhaltung über die DV abwickeln. Und doch wird die Meier AG zu einem IBM-Großrechner unter MVS greifen, die Müller GmbH ein Unix-System oder eine AS/400 installieren und der Malerbetrieb ein PC-Netzwerk aufbauen. Welche Argumente sprechen für und gegen die jeweiligen Systeme?

Welches DV-System auf welche Bedürfnisse am besten zugeschnitten ist, läßt sich nicht mit einem Satz beantworten. Zu viele Faktoren spielen in die Entscheidung für oder gegen ein DV-System hinein. Die Müller GmbH mag sich anstelle der AS/400 für ein Unix-System entscheiden, weil ein befreundeter Betrieb ebenfalls unter Unix arbeitet, weil der Verkäufer der Unix-Anlage qualifizierter und vertrauenswürdiger ist, weil ein Bekannter des Geschäftsführers an Unix glaubt oder oder.

Neben diesen subjektiven Motivationen stehen die objektiven Gründe.

In Betracht zu ziehen sind Faktoren wie Investitionsaufwand, baulicher Aufwand, Schulungserfordernisse, personeller Bedarf, Anpassung der Organisationsstrukturen, Flexibilität des Systems, Zukunftssicherheit, Verantwortlichkeiten, Firmengröße, Datensicherheit und vieles mehr. Diese Faktoren sollen hier angesprochen werden.

Zu allererst muß sich die Rechneranlage in die Organisationsstrukturen der Firma einfügen. Eine Franchise-Firma mit dezentraler Organisation wird mit einem Zentralrechner wenig anfangen können. Ein hierarchisch geführter Familienbetrieb mit nur einem Produktionsstandort hingegen dürfte eine zentrale DV begrüßen.

Außerdem muß überlegt werden, wie weit verzweigt die Bildschirm-Arbeitsplätze installiert werden sollen. Ein Ethernet-Netzwerk eignet sich nicht für weltweite Kommunikation. Terminals in einem Münchener Reisebüro, die an einem Hamburger Großrechner hängen, werden immer lange Antwortzeiten haben. Die Rechnerkonfiguration muß also an allen Plätzen der Firma gleich leistungsstark sein, wenn sie sinnvoll zum Einsatz kommen soll. Eventuell müssen verschiedene Mehrplatz-Systeme vernetzt werden.

Das Rechnersystem muß auch mit den personellen Strukturen der Firma deckungsgleich sein. Eine Crew von hochqualifizierten Ingenieuren wird sich ungerne etwas von einer zentralen DV-Abteilung vorschreiben lassen wollen und viele Probleme selbst lösen können. Eine Behörde oder große Verwaltung mit vielen Sekretärinnen und Sachbearbeitern hingegen besitzt bereits zentrale Rechenzentren. Hier wird DV-Know-how im Problemfall gesucht und eine Zentrale akzeptiert.

Auch psychologisch muß der Rechner passen

Auch die eventuell schon vorhandene DV-Abteilung muß mit der zu installierenden Lösung leben können. Daß dabei die DV-Fachleute mit dem neuen Rechner technisch zurecht kommen, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber auch psychologisch muß der Rechner passen. Rechenzentrumsleute, die jahrelang in einem Closed Shop gearbeitet haben, werden kaum mit einem PC-Netzwerk arbeiten wollen. Der Kompetenzverlust ist zu groß.

RZ-Teams, die es bereits gewöhnt sind, als Dienstleistungsabteilung zu agieren, werden dagegen Netzwerke und Unix-Lösungen begrüßen.

Nicht zu unterschätzen sind die notwendigen Voraussetzungen baulicher Art für verschiedene Mehrplatz-Systeme. Empfindliche PC-Netzwerke in einer Gießerei zu installieren dürfte schwer fallen.

Hier können nur besonders geschützte Terminals mit eingeschränkter Tastatur eingesetzt werden. Dafür lassen sich PCs auch im engsten Büro unterm Dach noch unterbringen.

Ausfall der zentralen DV besonders gefährlich

Dagegen brauchen Großrechner eine Klimaanlage, oft sogar eigene Gebäude. Bisweilen müssen diese bauliche Maßnahmen zum Brand- und Überflutungsschutz aufweisen. Zu groß ist die Gefahr wenn eine zentrale DV zum Beispiel durch ein Feuer ausfällt.

Bei der Planung einer DV-Anlage sind auch die Verkabelungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Kabelschächte, Lichtwellenleiter und vieles mehr müssen installiert werden. Dafür bedarf es der baulichen Voraussetzungen.

Eine wesentliche Rolle bei der Wahl eines Mehrplatz-Systems spielt die Größenordnung der Anwendung. Ein Großrechner lohnt sich selbstverständlich nicht für Drei-Mann-Betriebe.

PC-Netzwerke kommen für Betriebe zwischen zwei und 100 Mitarbeitern in Betracht. Unix-Systeme, AS/400, RISC-Rechner, DEC-VAX, Nixdorf 8870, Multiuser-DOS und Bull-Rechner sind eine Lösung für Betriebe in der Größenordnung von 20 bis 300 Mitarbeitern. Kleinere Großrechner unter MVS oder ausgebaute AS/400-, IBM /36- und IBM /38-Maschinen sind etwas für Unternehmen mit bis zu 2000 Angestellten. Ab 800 Mitarbeitern kann sich bereits ein Großrechner von IBM, ICL oder Unisys sowie eine Siemens-BS2000- oder eine Nixdorf-8890-Anlage lohnen.

Letztlich entscheidend ist, wie viele Mitarbeiter tatsächlich gleichzeitig und mit welcher Intensität an dem System arbeiten sollen. Wenn in einem Reisebüro nur gelegentlich Flugbuchungen durchzuführen sind, ist die Rechnerbelastung niedrig.

Werden dagegen in einer Erfassungsabteilung des Finanzamtes von zahlreichen Mitarbeitern den ganzen Tag nur Vordrucke am Bildschirm ausgefüllt und Steuertabellen berechnet, dann ist die Belastung hoch. Entsprechend muß das Rechnersystem ausgelegt sein.

Schulung und Know-how als weitere Komponenten

Die verschiedenen Mehrplatz-Anlagen erfordern unterschiedliches Fachwissen beim Anwender sowie Bereitschaft zur Weiterbildung und Schulung. Gut installierte Netzwerke sind relativ wartungsfrei, und der Anwender ist auch mit minimaler Schulung in der Lage, an dem System zu arbeiten. In kleineren Betrieben zeigen die Mitarbeiter zudem oft mehr Eigeninitiative, was das Erlernen eines Programms angeht. Der Griff zum Handbuch ist hier eine Selbstverständlichkeit.

Zentrale Rechneranlagen verlangen dagegen fast immer nach einem Operator oder gar einer zentralen DV-Abteilung mit entsprechend fachkundigen Kräften. Ein MVS-Rechner ist eben nicht vom Buchhalter zu steuern.

Bei den größeren Rechneranlagen sind zudem die Aufwendungen für Schulungen erheblich. Zunächst muß der Operator oder die DV-Abteilung in der technischen Abwicklung einer Applikation geschult werden. Zum anderen haben die Anwender in den Abteilungen die Nutzung des Systems zu erlernen.

Aber auch die DV-Fachleute müssen die Anwendung in- und auswendig kennen. Die DV-Spezialisten werden in großen Betrieben nämlich schnell auch für den kleinsten Bedienungs- und Verständnisfehler zu Rate gezogen. Dafür hat man die DV-Leute ja schließlich.

Je mehr zentrale DV-Abteilungen benötigt werden, desto größer ist natürlich auch der Personalaufwand. Und die Kosten dafür lassen sich nicht einfach mit der Zahl der beschäftigten Kräfte multiplizieren. Schließlich muß ein DV-Leiter erheblich mehr verdienen als ein Operator.

Während sich ein PC-Netzwerk mit Glück noch durch einen qualifizierten Mitarbeiter aus Buchhaltung, Technik oder einer anderen Abteilung handeln läßt, wird für ein größeres Unix-System oder eine AS/400 oft schon ein Vollzeit-Operator notwendig.

Bei MVS-, BS2000-, Nixdorf-8890-, ICL- oder Unisys-Rechnern wird in jedem Fall ein DV-Fachmann benötigt. Bei größeren Modellen und Ansprüchen hat man leicht eine mehrköpfige DV-Abteilung.

Je mehr die DV-Lösung im eigenen Hause geändert und überwacht werden kann, desto größer ist die Flexibilität und die Unabhängigkeit vom Lieferanten, desto eher ist auch die Investition für die Zukunft abgesichert. Das aber spricht für größere zentrale Rechnersysteme und DV-Abteilungen.

Vom Buchhalter am PC wird man nämlich nicht erwarten dürfen, daß er sich neben seinem Alltagsgeschäft noch um die Organisation der DV kümmert. Das wird er nebenher machen. Dementsprechend laienhaft bleibt die Einrichtung des Systems, entsprechend bescheiden ist das DV-Know-how in der Firma. Programmanpassungen, Netzwerkerweiterungen und vieles mehr müssen von einer externen DV-Firma vorgenommen werden. Abhängigkeit ist programmiert.

Ein fachkundiger Operator dagegen und erst recht eine DV-Abteilung sind in der Lage, Programme anzupassen, Arbeitsplätze einzurichten, Abläufe zu gestalten. So wird im Großrechnerbereich auch oft, der Quellcode einer Software ausgeliefert, was im PC-Bereich wegen der Raubkopien undenkbar wäre. Einer Groß-DV erlaubt das aber, die Programme weitestgehend den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Außerdem ist der Anwender so unabhängig vom Schicksal des Softwarelieferanten. Geht der pleite, kann die Software trotzdem noch verwendet und weiterentwickelt werden.

Ist allerdings das eigene Rechnersystem und die eingesetzte Software sehr exotisch, dann gerät die Firmenleitung leicht in eine Abhängigkeit von der eigenen DV-Abteilung. Auf dem Arbeitsmarkt sind qualifizierte DV-Kräfte ohnehin nur schwer zu bekommen.

Bei der Software- und Systemanwendung ist eine DV-Abteilung durch ihr Know-how zudem flexibler in der Gestaltung der Arbeitsabläufe. Die DV kann selbst entscheiden, wann und wie ein Backup der Daten zu machen ist, während dies dem PC-Benutzer der Datensicherheit wegen vorgeschrieben werden muß.

Während PC-Software schon aufgrund der Preise fast nur als Standardpaket verkauft wird, läßt sich Software für Systeme der Mittleren Datentechnik und erst recht bei Großrechnern weitestgehend den Bedürfnissen des Anwenders anpassen. So ist eine benutzerspezifische Programmoberfläche bei Großrechnersoftware fast selbstverständlich, während der PC-Anwender froh sein muß, wenn er Währungsformate oder Bildschirmfarben umstellen kann.

Sicherheitsaspekte spielen eine Rolle

Gerade im Buchhaltungsbereich müssen die Sicherheitsaspekte einer DV-Anlage großgeschrieben werden. Nicht jeder Mitarbeiter soll Programme und Daten unbefugt ändern können, nicht jede Aushilfe soll die Umsatzentwicklung als Grafik am Bildschirm verfolgen.

Entsprechend wichtig sind Funktionen wie Paßwortschutz, Zugriffsrechte und Protokollierung. Während Paßwörter und verschiedene Zugriffsrechte bereits auf PCs zum Einsatz kommen, gibt es eine saubere Protokollierung aller Vorgänge erst im Großrechnerbereich. Und nur hier sind die Schutzmechanismen wirklich so ausgefeilt, daß eigentlich nicht viel passieren kann.

Für zentrale Systeme höhere Personalkosten

Von besonderer Bedeutung sind natürlich auch die Kosten einer Rechneranlage. Generell läßt sich sagen, daß der Gesamtaufwand je nach Größe des beschafften Rechnersystems steigt. So kostet ein PC zwischen 2000 und 30 000 Mark, eine AS/400 ab 80 000 Mark und ein Großrechner ab 400 000 Mark. Rechnet man aber die Kosten auf die Zahl der Arbeitsplätze, die angeschlossen werden, um, so ergibt sich ein anderes Bild. Der einzelne PC-Arbeitsplatz wird dabei nämlich viel teurer sein, als ein Großrechner-Terminal. Das liegt schon allein darin begründet, daß der PC über eigene Rechenintelligenz, eigenen Speicher und oft auch eigene Peripherie, wie etwa einen Drucker, verfügt.

Bei den Betriebskosten hingegen wird zu Buche schlagen, daß für ein zentrales Rechnersystem höhere Personalkosten aufzuwenden sind. Wenn allerdings ein PC-Netzwerk mangelhaft installiert wurde, dann können auch hier die Wartungskosten hoch sein und das Investitionsvolumen leicht übersteigen.