Fehlende Netzeffekte, Enterprise-Software, Compliance, Hierarchie

Welche Faktoren das Enterprise 2.0 ausbremsen

04.06.2009
Von 
Wolfgang Sommergut ist Betreiber der Online-Publikation WindowsPro.

Hybride Organisationsmodelle

Eine Möglichkeit, beide Ansätze zu verbinden, praktiziert die IBM in der Kooperation mit Open-Source-Projekten. Die involvierten Entwickler agieren nach den dort geltenden Spielregeln, während das Unternehmen die hierarchische Struktur insgesamt beibehält. Dieser hybride Ansatz, der Inseln der Selbstorganisation in die herkömmliche Organisation einbettet, ist auch deshalb wegweisend, weil sich nicht alle Tätigkeiten für das Enterprise 2.0 eignen. Vielmehr bietet es sich vor allem für wissensintensive Arbeiten an.

Selbstorganisation macht viele Koordinationstätigkeiten des mittleren Managements entbehrlich. Daher zählt diese Gruppe nicht zu den größten Unterstützern des Enterprise 2.0.
Selbstorganisation macht viele Koordinationstätigkeiten des mittleren Managements entbehrlich. Daher zählt diese Gruppe nicht zu den größten Unterstützern des Enterprise 2.0.

Die Schaffung solcher Inseln der Selbstorganisation dürfte indes bei den weniger privilegierten Kollegen den Wunsch nach ähnlichen Arbeitsbedingungen hervorrufen, so dass Unternehmen die Parallelwelten unter einen Hut bekommen müssen. Gleichzeitig gibt es bei den Abteilungen, die dem Vorbild des Web 2.0 folgen, auch Verlierer und jene, die sich als solche fühlen.

Dazu zählt das mittlere Management, das einer Umfrage der ECM-Organisation AIIM zufolge eine solche Umstellung am wenigsten vorantreiben. Freilich könnte die mit dem Enterprise 2.0 einhergehende Transparenz auch im Fußvolk die erste Euphorie dämpfen, wenn die Leistung und die Kompetenz des Einzelnen für jeden ersichtlich werden.

Aushöhlung des Firmenkonzepts

Der traditionell hohe Aufwand für die Koordination und die Kommunikation, der nötig war, um Individuen in einen stark arbeitsteiligen Prozess einzubinden ("Transaktionskosten"), galt bis dato als wichtigstes Argument für hierarchische Organisationen. Anweisungen des Führungspersonals können dort relativ schnell Ressourcen für gewünschte Aktivitäten mobilisieren. Dies scheint angesichts von Teams, die sich mittels einfacher und allseits verfügbarer Collaboration-Tools selbst organisieren, immer fragwürdiger. Sie zeigen auch bei komplexen Vorhaben, dass dank der dramatisch gefallenen Koordinationskosten eine Zusammenarbeit auch für komplexe Vorhaben außerhalb von Unternehmen oder bürokratischen Einrichtungen möglich ist.

Zur Disposition stehen mit einer Umstellung Richtung Enterprise 2.0 auch scheinbar unabkömmliche Leistungen eines Unternehmens wie die Bereitstellung von Bürogebäuden oder Arbeitsmitteln. John Chambers, CEO von Cisco, rief bereits das Ende der firmeneigenen Geräte aus, VMware oder Citrix überlassen es ihren Angestellten, welchen Rechner sie erwerben möchten. Flexible Arbeitsmodelle reduzieren den Bedarf an Büros, die genau betrachtet auch nur Tools zur Koordination von Mitarbeitern sind, indem sie physisch an einem Ort versammelt werden.

Vieles deutet darauf hin, dass Unternehmen, die immaterielle Güter produzieren, sich zunehmend dem Modell von Online-Communities angleichen müssen, auch wenn dies scheinbar unumstößliche Organisationskonzepte in Frage stellt. Dabei können sie nicht nur von diesen Vorbildern profitieren, sondern müssen immer mehr mit ihrer Konkurrenz rechnen. Wer hätte denn noch vor einigen Jahren gedacht, dass lose organisierte Individuen über das Web nicht nur komplexe Betriebssysteme und aufwändige Enzyklopädien entwickeln, sondern auch den Banken das Kerngeschäft des Geldverleihs streitig machen könnten?