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Weitere Ermittlungen gegen Lernout & Hauspie

26.09.2000
Kreative Bilanzierung weckt Verdacht

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Skandal um den belgischen Softwarekonzern Lernout & Hauspie (L&H) weitet sich aus. Jetzt ermitteln die US-Börsenaufsicht und die Easdaq gegen den belgischen Anbieter von Spracherkennungs- und Übersetzungsoftware, der im Verdacht steht, seine Bilanzen manipuliert zu haben.

L&H gibt an, im abgeschlossenen ersten Geschäftsquartal 2000 insgesamt 53 Prozent seiner Einnahmen oder 58,9 Millionen Dollar ausschließlich in Korea erwirtschaftet zu haben. Ein Jahr zuvor waren dort im vergleichbaren Zeitraum lediglich Produkte für 97 000 Dollar verkauft worden. In den USA und Europa ging das Geschäft in jenem Quartal sogar um 27 Prozent auf 51,8 Millionen Dollar zurück.

Auch die Jahresbilanz für 1999 birgt Ungereimtheiten. Das Unternehmen wies 80,3 Millionen Dollar Umsatz in Singapur aus, weitere 62,9 Millionen Dollar in Korea. Beide Länder waren im Jahr zuvor gerade mal für Einnahmen in Höhe von 300 000 Dollar gut. Angesichts dieser Zahlen sah die US-Börsenaufsicht offenbar Veranlassung, die Bilanzen genauer anzuschauen.

Aufgeweckt wurden die Ermittler von den Journalisten des "Wall Street Journal". Die Wirtschaftsgazette hat mehrere Beiträge veröffentlicht, in denen an der Validität der von L&H genannten Kunden in den asiatischen Ländern gezweifelt wird. So seien drei der Abnehmer in Südkorea in Wirklichkeit keine Kunden mehr, außerdem habe L&H die angeblichen Verkäufe an andere Firmen in diesem Land übertrieben dargestellt. Das Management wies die Kritiker ab und beauftragte eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die den Fall aufklären soll.

Die Journalisten ließen jedoch nicht locker und recherchierten auch in Singapur. L&H hatte dort 15 Unternehmen genannt, die im vergangenen Jahr angeblich Lizenzrechte im Wert von 57 Millionen Dollar an der Spracherkennungssoftware erworben hätten. Das entspricht 17 Prozent des weltweiten Umsatzes. Für alle Firmen gab es jedoch nur eine einzige Adresse in Singapur, No. 5 Shenton Way. Die Journalisten fanden die Firmen vor Ort nicht vor, wohl aber einen dort ansässigen Rechtsanwalt, der abgesehen von der Bestätigung, viele der Unternehmen hätten hier tatsächlich ihren Firmensitz eingetragen, keine Stellung nehmen wollte.

Weitere vier Kunden, die von L&H in Singapur genannt wurden, konnten die Rechercheure trotz der von L&H angegebenen Adresse ebenfalls nicht finden. Die Ermittlungsergebnisse sind deswegen so brisant, weil die insgesamt 19 Firmen in diesem Land für nahezu 100 Prozent des dort angefallenen Umsatzes stehen.

Zu allem Überfluss entdeckte die Wirtschaftszeitung, dass die Spuren von acht der Kunden aus Singapur zurück nach Belgien führen - und zwar zu der Venture-Capital-Gesellschaft Flanders Language Valley Fund (FLV Fund). Dieser Fund wurde unter anderem von Jo Lernout und Pol Hauspie ins Leben gerufen, und beide Gründer der belgischen Softwareschmiede haben noch immer maßgeblichen Einfluss darauf. Daher schließt das Blatt nicht aus, dass die Belgier selbst die Nachfrage nach ihren Produkten künstlich in die Höhe getrieben haben, um so den Aktienkurs zu stützen.

John Duerden, neuer Chief Executive Officer (CEO) des Unternehmens, hat zu den Ermittlungen der US-Börsenaufsicht die volle Unterstützung seitens der Softwareschmiede zugesagt. Duerden hatte im vergangenen Monat Gaston Bastiaens abgelöst, der - nach eigenen Angaben unabhängig von dem Finanzskandal - zurückgetreten war.

Inzwischen kümmern sich neben der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) auch Ermittler der Easdaq in Brüssel um das Softwarehaus. Beide Institutionen haben angekündigt, eng zusammenzuarbeiten. Weder bestätigt noch dementiert wurden Gerüchte, wonach sich die Easdaq auch die Aktivitäten des ebenfalls börsennotierten FLV Fund genauer ansehen will. Dennoch stürzte der Aktienkurs dieses Fund am vergangenen Montag um 21 Prozent auf 8,90 Dollar, nachdem er zeitweilig sogar um 50 Prozent nachgegeben hatte. Noch schlimmer erwischte es L&H: Der Kurs, der in diesem Jahr schon bei 72,50 Dollar notierte, ist inzwischen auf 12,50 Dollar abgerutscht.