Weiterbildung: Auch über 40 geht noch was

06.06.2007
Von 
Michael Schweizer ist freier Autor in München.

"Fachkräfte fallen nicht vom Himmel"

Der habilitierte Soziologe Andreas Boes ist Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München und lehrt als Privatdozent an der Technischen Universität Darmstadt.

CW: Gibt es den Fachkräftemangel, über den sich die Branchenverbände beschweren, tatsächlich?

BOES: Wenn Unternehmen davon ausgehen, dass Fachkräfte vom Himmel fallen, dann können sie jetzt in der Tat den Eindruck eines Mangels gewinnen. Zum Beispiel ist das Studienfach Informatik durch die Krise seit 2001 nicht mehr so gefragt. Viele Firmen haben kein richtiges Ausbildungsbewusstsein. Sie glauben, dass außerhalb etwas getan werden muss, damit ihnen gute Mitarbeiter zur Verfügung stehen.

CW: An welchen Spezialisten fehlt es?

BOES: Es gibt zu wenig Leute für alles, was mit komplexen Internet-Technologien zu tun hat, und für die Verknüpfung von IT und TK. Ebenso für alle höherwertigen Aufgaben, die Prozesse und Projekt-Management betreffen.

CW: Woran liegt das?

BOES: Die Branche hat im Boom die Cobol- und Mainframe-Spezialisten, die ja durch das Jahr-2000-Problem noch einmal sehr gut beschäftigt waren, nicht mehr für die neuen Techniken qualifiziert. Da haben viele den Anschluss verloren. In der Krise hat sich dann allgemein eine Rotstiftpolitik ausgebreitet. Weiterbildung galt nur noch als Kostenfaktor.

CW: Lässt sich mit E-Learning gut sparen?

BOES: Manche Unternehmen, zum Beispiel IBM, betreiben sehr gute E-Learning-Konzepte. Sie sorgen dann aber nicht dafür, dass die Mitarbeiter auch Zeit haben, um solche Angebote wahrzunehmen. Alle, die zum Lernen stabile Zeitstrukturen brauchen, kommen zu kurz. Vor allem Frauen lehnen die Informalisierung der Weiterbildung ab.

CW: Wie reagieren Mitarbeiter, wenn ihnen Kurse gestrichen werden?

BOES: Viele akzeptieren es. Sie schimpfen, gehen aber nicht dagegen vor. Das hat auch mit dem individuellen Interessenhandeln zu tun, das in der IT-Branche verbreitet ist. Tendenziell unterscheiden sich jedoch hier die Geschlechter: Männer ballen die Faust meist nur in der Tasche. Frauen ist Weiterbildung sehr wichtig, sie tun viel dafür.

CW: Wie viel Weiterbildung brauchen IT-Experten?

BOES: Die IT ist immer noch eine weiterbildungsaktive Branche, nur ist eben auch der Bedarf besonders hoch. Wenn man auf dem Laufenden bleiben will, sind zehn Tage pro Jahr realistisch. Bekommt man fünf, ist das aber derzeit schon gut. Teilweise ist das in Tarifverträgen geregelt. Ob die gelebt werden, ist allerdings unklar.