Deutsche Internet-Anbieter bleiben locker

Weihnachten wird zum Showdown für Web-Shops

17.11.2000
MÜNCHEN - Sein oder Nichtsein - nach Einschätzung von Experten wird das bevorstehende Weihnachtsgeschäft für viele Online-Shops zur Frage des Überlebens. Besonders kleine Händler sind den hohen Anforderungen kaum gewachsen und geraten unter Druck. Doch die wenigsten Betreiber wollen Hardware, Software und Personal aufstocken. Von Klaus Manhart*

Süßer die Kassen nie klingeln - die Tage vor Weihnachten gelten beim traditionellen Handel seit jeher als Umsatz-Spitzenzeit. Im E-Commerce ist das nicht anders: Auch hier steigen zum Jahresende die Klickraten. Manch ein Online-Händler setzt darauf, mit dem Weihnachtsgeschäft die mäßigen Einnahmen des bisherigen Jahresverlaufs vergessen zu machen. In den vergangenen Jahren, so stellten Analysten des Marktforschungsunternehmens Forrester Research fest, erzielte ein Teil der Internet-Händler 90 Prozent des Jahresumsatzes in den zwei Wochen vor Heiligabend. Das lag vor allem an vielen Neukunden, die in der Weihnachtszeit zum ersten Mal online eingekauft haben.

So erfreulich der vorweihnachtliche Boom in den letzten Jahren für die Händler war, so ernüchternd fiel die Bilanz für die Kunden aus. Viele Online-Shops waren auf den Ansturm der Einkäufer nicht vorbereitet. Überlastete Server, zu wenig Personal, Pannen bei der Bearbeitung, Verzögerungen und schlichtweg Nichtlieferung verärgerten die Shopper. Nach einer Studie von Andersen Consulting bekamen 40 Prozent der Shop-Kunden, deren Auftrag überhaupt erfüllt wurde, ihre Päckchen erst nach der Bescherung. Zwei Drittel gingen gar völlig leer aus, da ihre Wunschprodukte ausverkauft waren.

Entsprechend schlecht fiel das Urteil der Internet-Nutzer über Online-Shops aus. Wie die Marktforscher im vergangenen Jahr feststellen konnten, vergaben die Anwender nach einer anfangs positiven Einschätzung während der kritischen Vorweihnachtszeit zunehmend schlechte Noten. Auch das Jahr 2000 wird zum Kundentest - und bedeutet für manchen Online-Shop wohl das Ende seiner kurzen Geschichte.

Die spitzt sich noch weiter zu. Eine Reihe von Startups geben diesen Winter ihr Online-Debüt, sind aber für einen großen Kundenansturm schlecht gerüstet. Außerdem hat die Zahl der Web-Nutzer in diesem Jahr enorm zugelegt. So glaubt Forrester Research, dass im US-Weihnachtsgeschäft allein zehn Milliarden Dollar zu holen sind - das sind 66 Prozent mehr als im Vorjahr. Jupiter Communications ist noch optimistischer und rechnet mit zwölf Milliarden Dollar zwischen November und Jahresende.

Die europäischen Online-Umsätze im Weihnachtsgeschäft 1999 beliefen sich laut Jupiter auf rund 790 Millionen Euro. Viele Online-Shops wiesen nach Ansicht der Analysten Defizite im Bereich Kundenservice auf: 65 Prozent der Anbieter waren nicht in der Lage, eine einfache Mail-Anfrage innerhalb von 48 Stunden zu beantworten. Wegen der demografischen Angleichung der Online-Kundschaft an die Normalbevölkerung geht die Studie von einer überdurchschnittlich steigenden Nachfrage nach Serviceleistungen aus.

Was die Situation für Online-Händler laut Forrester in den nächsten Wochen aber besonders kritisch macht: In diesem Jahr geben nicht Neulinge den Ton beim Netz-Shopping an, sondern erfahrene Internet-Surfer. Demnach werden dieses Jahr 93 Prozent der Shopper, die seit mindestens einem Jahr online sind, für durchschnittlich 600 Dollar pro Haushalt einkaufen. Diese Klientel ist gegenüber langsamen Servern unzuverlässigen Logistikservices besonders kritisch eingestellt. Viele erinnern sich an die katastrophalen Zustände des letzten Jahres und erwarten für diesen Advent einen reibungslosen Ablauf. Gartner-Analystin Geri Spieler glaubt deshalb, dass die Kunden auf dem US-Markt Lieferschwierigkeiten und Ausfälle bei Web-Angeboten kaum mehr verzeihen werden.

Unter Druck sind besonders die kleineren Händler und die Startups, für die das Adventsgeschäft oft das Ende der Testphase einläutet. Sie könnten auf der Strecke bleiben, da sich zunehmend die großen, traditionellen Handelsketten im Web breit machen. Oftmals fehlt den Kleinen sowohl das Geld für umfangreiche Marketing-Kampagnen als auch der finanzielle Spielraum für Preisnachlässe. Die Großen hingegen sind mit ihrer geballten Marktmacht und Erfahrung mit dem traditionellen Weihnachtsgeschäft besser für den großen Ansturm aus dem Netz gerüstet. Schon seit Monaten bauen sie ihre Shopping-Angebote aus und erweitern ihre Vertriebs- und Lieferlogistik. Gestützt auf jahrelange Erfahrung wissen sie, wie sich Waren und Logistik einkaufen lassen, ohne dabei Überkapazitäten aufzubauen. Darüber hinaus hegen sie gute Beziehungen zu führenden Logistikanbietern, die um Weihnachten in der Regel voll ausgebucht sind.

Angesichts der anstehenden Reifeprüfung sind Deutschlands Web-Händler erstaunlich ruhig. Eine Umfrage unter 25 Anbietern ergab, dass nur jeder zweite Online-Händler sein Personal für das Weihnachtsgeschäft aufstockt. Die Shop-Betreiber, die ihre Mitarbeiterzahl erhöhen, setzen die zusätzlichen Kräfte vor allem im Call-Center und im Lager ein. Noch erstaunlicher: Keiner der befragten Online-Shops rüstet seine technische Infrastruktur für das Weihnachtsgeschäft auf - weder mit umfangreicheren Hosting-Verträgen noch mit leistungsfähigerer Hardware.

Viele Shop-Betreiber versichern, bereits langfristig Vorsorge getragen zu haben. So hat Buchversender Booxtra.de aus Augsburg bereits im Sommer seine technische Infrastruktur für Belastungen auf bis zu 300000 Visits pro Stunde eingerichtet. "Das sollte selbst im Weihnachtsgeschäft reichen, in dem wir mit bis zu 800 000 Besuchern pro Woche rechnen", argumentiert Geschäftsführer Klaus Driever. Auch das Online-Spielwarengeschäft Mytoys hat sich bereits im Laufe dieses Jahres eine neue E-Commerce-Plattform auf Basis von Intershop Enfinity zugelegt und dabei seine Hardware erweitert. Weitere Investitionen für das Weihnachtsgeschäft sind nicht geplant.

Keine neuen Gimmicks zum FestAuch an den Features der Online-Auftritte wird sich nicht viel ändern. Das typische Beispiel ist Flowers.de: "Wir arbeiten gerade an einer ganzen Reihe von Veränderungen an unserem Online-Shop, die nicht unbedingt wegen Weihnachten, jedoch auf jeden Fall noch vor Weihnachten implementiert werden sollen." So soll der Kunde in der Lage sein, seine Daten für künftige Bestellungen im System zu speichern, statt sie bei jedem Besuch neu eingeben zu müssen. Außerdem kann er Blumen künftig im Abo bestellen.

Der Online-Shop des Verlags Zweitausendeins möchte lediglich die Suchfunktionen verbessern. Bei der 4c AG und ihren angeschlossenen Internet-Läden 4c-parfum.de, 4c-obstler.de, 4c-wein.de sowie 4c-wohndesign.de können Kunden nun auch mit ihrer Kreditkarte zahlen. Das Unternehmen ging diesen Schritt, da die Ausfallquote beim Einzug per Lastschrift bei bis zu 20 Prozent liegt. Wäscheversender Nicetomeetyou.de plant für Anfang November eine Personalisierung der Site, so dass die Inhalte für den Besucher individuell aufbereitet werden. Außerdem können Surfer künftig ihre Suchprofile archivieren, einen Erinnerungsdienst nutzen, Wunschliefertermine angeben und sich einen personalisierten Newsletter per E-Mail zuschicken lassen.

Die meisten Firmen aber - wie der Online-Händler Getmobile.de - nehmen keine Veränderung am System vor. Wohl auch deshalb, weil sie befürchten, dass die Einführung neuer Systeme und Technologien kurz vor der verkaufsintensivsten Zeit zum Bumerang werden könnte.

Während die technische Infrastruktur für den Weihnachtsansturm kaum aufgerüstet wird, sind die Online-Anbieter mit Marketing-Aktionen um so aktiver. Fast jeder Web-Händler betreibt auf Weihnachten abgestimmte Werbung und lockt mit entsprechenden Angeboten. Die Condomi AG setzt auf spezielle Warenkörbe zum Fest der Liebe, und Wäscheversender Nicetomeetyou.de bietet ab dem 10. Dezember "Last-Minute-Geschenke" mit Liefergarantie bei einer Bestellung bis zu 48 Stunden vor Heiligabend. Doch es bleibt abzuwarten, ob die Web-Server und die Logistik dem Kundenansturm standhalten können.

Auch die virtuellen Buchläden haben sich einiges einfallen lassen. So wird Booxtra 1000 Titel in Buchspecials redaktionell empfehlen und startet im November mit der nächsten Stufe seiner Direct-E-Kampagne, die vorsieht, dass sich die Käufer Literatur vom Server laden können. Kunden von Amazon.de können ihren eigenen elektronischen Wunschzettel zusammenstellen, den der Schenkende einsehen und daraus per Mausklick auswählen kann.

Ob die Kunden mit den besuchten Online-Shops zufrieden sind und wiederkehren, hängt nach Expertenmeinung aber weniger von Marketing-Gags, der technischen Infrastruktur oder der Schnelligkeit der Website ab. In einer Umfrage von Bizzrate nannten die meisten Shop-Besucher auf die Frage, welche Qualität Online-Shops erfüllen müssen, die schnelle Lieferung noch am selben Tag. Die Performance der Website landete dagegen auf Platz drei.

Am wenigsten Sorgen müssen sich die Logistikunternehmen selbst machen. Für sie ist das vorweihnachtliche Business as Usual angesagt - ob die Kunden aus der Old oder New Economy stammen, kümmert sie wenig. Sie stellen sich wie jedes Jahr auf ein vermehrtes Paketaufkommen mit zusätzlichem Personal und Fahrzeugen ein. Spezielle Vorkehrungen für den E-Commerce plant in Deutschland aber keiner der großen Versender.

Vor die Wahl gestellt, die Logistik komplett auszulagern oder vollständig in Eigenregie zu übernehmen, bevorzugen die meisten Shop-Anbieter den traditionellen Mittelweg: Bestellbearbeitung und Verpackung im eigenen Haus, den Versand übernehmen externe Dienstleister. So erledigt Flowers.de die komplette Auftragsbearbeitung, den Kundenservice, das Binden der Blumensträuße sowie das Verpacken in den eigens dafür entwickelten Transportkartons. Der Transport zum Empfänger erfolgt über die Deutsche Post Euro Express.

Eine ähnliche Philosophie verfolgt Mytoys: "Wir können keine Lieferung garantieren", sagt Projekt-Managerin Claudia Berardis. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die Waren innerhalb von 24 bis 48 Stunden beim Kunden ankommen. Ein Supply-Chain-Konzept stellt die hohe Warenverfügbarkeit sicher. Die Zustellung übernimmt auch hier die Deutsche Post. Gegen Aufpreis können Kunden die Lieferung durch die Express-Option beschleunigen.

Einige Shops verfügen über eigene Vertriebszentren und arbeiten eng mit ihren Logistikpartnern zusammen. Bei Getmobile.de beruht die Auslieferung auf einer eigenen Logistik, basierend auf einer im Haus entwickelten Software, über die der Frachtdienstleister angebunden ist.

Doch bei allen Logistikanstrengungen - irgendwann ist bei der besten Organisation Schluss. "Wir empfehlen bis zum 18. Dezember zu ordern, damit die Sachen rechtzeitig auf dem Gabentisch landen", rät Ralf Kessenich von Zweitausendeins. "Der Rest ist Blitzlieferung und Gottvertrauen."

*Klaus Manhart ist freier Journalist in München.

Befragte Web-ShopsFür diesen Beitrag wurden eine Reihe deutscher Web-Shops befragt, welche Vorkehrungen sie für das Weihnachtsgeschäft treffen. Folgende Firmen haben geantwortet.

Zweitausendeins

www.zweitausendeins.de

Bootra Internet-Buchshop

www.booxtra.de

getmobile AG

www.getmobile.de

Amazon.de GmbH

www.amazon.de

Digicamcenter

www.digicamcenter.de

CONDOMI Gothe & Partner GmbH

www.condomi.com

myToys.de GmbH

www.myToys.de

Nicetomeetyou

www.nicetomeetyou.de

TECHNIK direkt

www.technikdirekt.de

Flowers.de

www.flowers.de

4c-ag

www.4c-alessi.de

www.4c-wein.de

www.4c-parfum.de

www.4c-whiskey.de

www.4c-obstler.de

www.4c-specials.de

www.nervenkrieg.de

www.4c-wohndesign.de

Schlemmerstadt

www.schlemmerstadt.de

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www.eurotel.de (national)

www.globalTV.de

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Räuchertempel

www.raeuchertempel.de