Die schwierige Suche nach dem CISO

"Weg von der Tastatur aufs Vorstandsparkett"

14.12.2016
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Je höher das Thema IT-Security im Unternehmen aufgehängt wird, desto wichtiger wird das Profil des CISO. Nur wenige reine IT‘ler eignen sich für diese Rolle.

Jörn Ottendorf, Management Consultant bei Russell Reynolds Associates, beschäftigt sich intensiv mit dem Rollenprofil des Chief Information Security Officer (CISO) und den Themen Risiko-Management und IT-Sicherheit. Sein Unternehmen hat eine Matrix entwickelt, um den Bedarf für die Position eines CISO zu klären und daraufhin den bestmöglichen Kandidaten für eine Organisation zu finden. Im Interview erläutert Ottendorf, wie die Matrix funktioniert und wie Unternehmen das Thema IT-Security professionell angehen sollten.

Jörn Ottendorf hat sich intensiv mit der CISO-Rolle in deutschen Unternehmen auseinandergesetzt.
Jörn Ottendorf hat sich intensiv mit der CISO-Rolle in deutschen Unternehmen auseinandergesetzt.
Foto: Russell Reynolds Associates

COMPUTERWOCHE: Wer entscheidet federführend über IT-Security-Strategie und -Budgets? Der CISO, sofern es ihn gibt?

JÖRN OTTENDORF: Schön wäre es. Unsere CISO-Matrix zeigt, dass es ganz unterschiedliche Ausprägungen davon gibt, wie CISOs agieren, wie sie verankert sind. Das hat zwei wesentliche Treiber: Zum einen ist das die Frage, wie diese Personen selbst agieren, wie "managermäßig" sie auftreten können - denn oft sind es ja doch sehr technisch orientierte Menschen, die IT-Sicherheit von der Pike auf gelernt haben, es aber nicht so sehr verstehen, ihre Themen in die Organisation zu tragen. Je reifer die IT-Sicherheit in einem Unternehmen, desto mehr "Executive" steckt auch im CISO. Zum anderen geht es um die Wahrnehmung der eigenen Bedrohungslage und die Wahrnehmung der Funktion CISO in der eigenen Organisation und auch deren organisatorische Einbindung seitens der Unternehmensführung.

Diese beiden Treiber führen heute noch immer leider viel zu häufig dazu, dass die CISOs nicht an den richtigen Tischen sitzen und dass nicht die richtigen Themen besprochen werden.

CW: Welche Unternehmen machen es denn richtig?

OTTENDORF: Es gibt Branchen, die einen gewissen Regulierungsdruck haben und die auch aufgrund dessen schon weiter sind. Dazu gehören beispielsweise die Investmentbanken oder auch die Anbieter kritischer Infrastruktur, die durch das IT-Sicherheitsgesetz aus dem letzten Jahr noch einmal stärker in die Pflicht genommen werden. Dazu gehören aber auch Unternehmen beispielsweise aus der pharmazeutischen Industrie, die besondere regulatorische Anforderungen haben. Alle Genannten haben eine reifere CISO-Organisation und ein Verständnis dessen, was Informationssicherheit leistet.

Der erste Indikator für uns ist die Frage, wie ein Unternehmen Cyber-Security versteht. Unternehmen ohne fortschrittliche Denke antworten uns, dass es sich hier um ein IT-Problem handelt. Das ist es aber nicht - es ist ein Thema der Unternehmenssteuerung, der gesamtunternehmerischen Risikoabwägung. Unternehmen, die einen regulatorischen oder wettbewerbsverursachten Druck haben, sind deshalb in Denken und Handeln in diesem Bereich weiter als andere Industrien beispielsweise im klassischen deutschen Mittelstand.

Sitzt der CISO mit am Vorstandstisch oder nicht?

CW: Was macht einen guten CISO aus?

OTTENDORF: Die richtig guten CISOs unterscheiden sich von den Security-Verantwortlichen der IT-Abteilungen darin, dass sie einen Management-Auftritt haben - dass sie im Prinzip die gleiche Entwicklung wie die CIOs genommen haben. CISOs müssen in den nächsten Jahren das noch leisten, was die CIOs bereits geschafft haben - nur in kürzerer Zeit. Schauen wir uns die CIOs von vor zehn, 15 Jahren an, sehen wir IT-Abteilungsleiter - heute sehen wir Personen, die aufgefordert sind, die Digitalisierung mit zu treiben, Impulse zu geben, die Unternehmensstrategie zu verstehen, aktiv auf die einzelnen Geschäftsbereiche zuzugehen und zu zeigen, wie Technologie helfen kann, das Geschäft zu entwickeln - und nicht eben nur Projektempfänger sind.

Genauso müssen sich auch CISOs positionieren. Die guten tun das, indem sie sagen: "Ich sitze mit am Tisch. Ich spreche nicht über eine Firewall oder ein Response-System, sondern darüber, was das Thema IT-Security für unsere Digitalisierungsstrategie heißt, für unsere Unternehmensrisikosteuerung, für unsere Gesamtunternehmensstrategie." Sich da nicht in technischen Details zu verlieren, sondern in der Lage zu sein, dem Vorstand Bericht zu erstatten, gegebenenfalls dem Aufsichtsrat Bericht zu erstatten, ein entsprechendes Auftreten zu haben, andere für die eigenen Ideen gewinnen zu können, kommunizieren zu können, die eigene Executive-Rolle stärker entwickeln zu können - darauf kommt es an.

Diese Skills sind nicht notwendigerweise mit dem Thema IT-Sicherheit verknüpft. Wer sich als junger Mensch für den Bereich Security entscheidet, sich für Hacking interessiert, aber auf die "gute Seite" möchte, ist nicht unbedingt dazu geeignet, beim Vorstand und im Aufsichtsrat aufzutreten. Sich aber dorthin zu entwickeln, ist Aufgabe der CISO-Community. Dafür hat diese aber weniger Zeit als die CIOs - die mussten das in zehn bis zwölf Jahren schaffen. Die CISOs hingegen - gerade dann, wenn es zu einem größeren Vorfall auch in Deutschland kommen sollte - werden schneller stärker in die Pflicht genommen werden, diese Entwicklung in einem Bruchteil dieser Zeit zu nehmen.

CW: Wie gut ist die deutsche CISO-Community aufgestellt?

OTTENDORF: Die CISOs sind untereinander gut vernetzt. Dazu trägt unter anderem die Deutsche Cyber-Sicherheitsorganisation, kurz DCSO, bei, in der sich einige große Unternehmen zusammengetan haben. Der Austausch hat sich intensiviert, er könnte aber gerade im Hinblick auf öffentliche Behörden noch intensiver werden. Im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sitzen insgesamt einfach zu wenige Leute - verglichen mit dem, was CISOs beispielsweise in Großbritannien oder den USA an öffentlicher Unterstützung erhalten. Dort sind die Themen IT-Security und CISO-Profil viel weiter gediehen und dort wird auch viel mehr investiert.

Insgesamt ist die Community für die Aushängeschilder der Unternehmenslandschaft auf einem guten Weg. Unser Ansatz ist aber ja nicht, diese drei bis vier Prozent, die sich heute schon entsprechend weiterentwickelt haben, zum Maßstab zu nehmen - sondern es geht um die 80, 85 Prozent, die noch ganz schön hinterherhängen. Diesen Unternehmen dabei zu helfen, zu begreifen, wie eine potenzielle Entwicklung des Themas IT-Sicherheit und des CISOs aussehen kann und auf welche Themenfelder man dabei schauen muss, versuchen wir in unserer CISO-Matrix abzubilden.

Es geht auch darum, dem Thema etwas die Komplexität zu nehmen. Mit CIOs können Sie noch auf einer technischen Ebene diskutieren, diese berichten häufig dann aber an den CFO - und mit diesem wiederum ist es dann vorbei mit der technischen Diskussion. Hier gilt es, das Ganze herunter zu brechen - und hierzu haben wir versucht, die wichtigsten Themenfelder aufzuzeigen, auf die Unternehmen bei der Rollenfindung für ihre CISOs zu achten haben. Die Themen sind abgeleitet von den technischen Standards des National Institute of Standards and Technology, kurz NIST - gewandelt auf die Management-Perspektive. Das hat sich als sehr hilfreich erwiesen.

Zunehmend gefragt: der Chief Information Security Officer, kurz CISO.
Zunehmend gefragt: der Chief Information Security Officer, kurz CISO.
Foto: g0d4ather - www.shutterstock.com

Welcher CISO-Level ist gefragt?

CW: Wie finde ich als Unternehmen heraus, ob sich jemand zum CISO eignet?

OTTENDORF: Auch wenn das eher eine klassische Management-Prognostik-Frage ist, die gar nicht so viel mit dem CISO-Thema direkt zu tun hat, will ich versuchen, sie im CISO-Kontext zu beantworten. Natürlich brauchen Sie die technische Kompetenz, um die technische Organisation unterhalb des CISO zu führen - diese Kompetenz muss aber nicht bis ins letzte Detail ausgeprägt sein. Nicht jeder technische Experte eignet sich zur Führungskraft. Auch hier ergibt sich wieder die Analogie zum CIO, der heute über viele Systeme im Detail überhaupt nichts mehr weiß, die Organisation aber trotzdem effektiv steuern kann, wenn er gut ist.

Unserer Matrix ist die Frage "What level of CISO do you need" übergeordnet - und wir versuchen, sie mit der Hilfe einiger "Verhaltensanker" zu beantworten. Unternehmen können so herausfinden, welchen CISO-Level von 1 bis 4 sie für sich selbst benötigen und ob sie mit ihrer Management-Diagnostik und Talentförderung bestimmte Mitarbeiter dorthin entwickeln können.

Um konkret auf die Frage zu antworten: Es muss klar sein, wo eine Organisation hinmöchte, welches CISO-Level sie benötigt, wie groß die zu führende Organisation am Ende sein wird - in welcher Gewichtsklasse die Führungskraft sozusagen mitspielen soll. Sind diese Punkte geklärt, stellt sich die entscheidende Frage, ob ein Unternehmen dem in Frage kommenden Mitarbeiter, der heute vielleicht noch IT-Abteilungsleiter oder IT-Sicherheitsleiter ist, zutraut, sich dahin zu entwickeln. Dafür kommen einerseits die althergebrachten Werkzeuge der Management-Diagnostik zum Einsatz, anderseits ist es natürlich auch immer etwas Bauchgefühl, ob man jemandem das Wirken in den Vorstand hinein zutraut.

Die von Russell Reynolds Associates entwickelte Matrix "What level of CISO do you need?" dient Unternehmen als Kompass und Entscheidungshilfe bei der Suche nach einem geeigneten CISO. Je höher der geforderte Level, desto bedeutender seine Aufgaben im Gesamtkontext und hierarchisch höher aufgehängt sind die Themen IT-Sicherheit und IT-Sicherheitsstrategie im Unternehmen.
Die von Russell Reynolds Associates entwickelte Matrix "What level of CISO do you need?" dient Unternehmen als Kompass und Entscheidungshilfe bei der Suche nach einem geeigneten CISO. Je höher der geforderte Level, desto bedeutender seine Aufgaben im Gesamtkontext und hierarchisch höher aufgehängt sind die Themen IT-Sicherheit und IT-Sicherheitsstrategie im Unternehmen.
Foto: Russell Reynolds Associates

CW: Wie fällt die Antwort in der Realität aus?

OTTENDORF: Wahrscheinlich lautet die Antwort in vielen Fällen, dass es schwierig werden könnte für die Personen, die sich klassisch in den Bereich IT-Sicherheit bewegt haben in den vergangenen zehn bis 15 Jahren, diesen Schritt zum CISO zu machen. Es ist eben noch eine ganz besondere Community und nicht alle werden die Lust haben, von der Tastatur weg aufs Vorstandsparkett zu gehen.

CW: Viele CISOs sind nach wie vor lediglich ausführende Projektempfänger, die Mitarbeiter auf Sicherheitsrisiken aufmerksam machen, Awareness "nach unten" schaffen. Wie können sie stattdessen den Weg "nach oben" einschlagen, mehr aktiv in die Geschäftsleitung hinein wirken?

OTTENDORF: Mit zunehmendem Reifegrad und zunehmender Ausdifferenzierung der eigenen Organisation sollten diese operativen Themen abgegeben werden. Das Thema "Awareness in der eigenen Organisation" ist zwar eine ganz wichtige Hausaufgabe, die uns noch über Jahre begleiten wird, aber in keinem Fall eine CISO-Aufgabe. Die Aufgabe des CISO ist vielmehr, dieses Thema in den Vorstand oder auch den Aufsichtsrat zu bringen und vielleicht eine kleine Schulung darüber zu machen, wie schnell ein iPhone gehackt werden kann. Das machen im Übrigen auch bereits viele CISOs, um bei ihren Vorgesetzten das Gefühl für die Bedrohungslage in ein realistisches Licht zu rücken. Bewusstsein in der Gesamtorganisation zu schaffen, in dem man beispielsweise eine interne Test-Phishing-Mail verschickt, ist hingegen eine Aufgabe, die natürlich auch von einem Security-Team übernommen werden kann.

Mehr zum Thema CISO, seinen Aufgaben und Herausforderungen lesen Sie in der aktuellen "CISO Security Studie" der COMPUTERWOCHE. Der Berichtsband mit ausführlichen Ergebnissen, Key Findings und Kurzanalysen ist in der Whitepaper-Datenbank der COMPUTERWOCHE erhältlich.